"Deutschland kann das schaffen!"

Seite 2: "Warum hat uns Frau Merkel nicht am Flughafen abgeholt, nachdem sie uns eingeladen hat?"

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Mit wem gibt es mehr Probleme - mit den Flüchtlingen oder mit den Behörden?

Jannis Plastargias: Es gibt Schwierigkeiten auf beiden Seiten. Die Organisation der Behörden ist langsam, andererseits kommen Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die nicht wissen, wie hier vieles läuft, und die teils zu hohe Erwartungen haben. Gerade Iraker erwarten viel vom deutschen Staat, da sie sich von Angela Merkel eingeladen fühlen. Das äußern manche auch in den Beratungsgesprächen. Wir haben gelacht, als jemand sagte "Warum hat uns Frau Merkel nicht am Flughafen abgeholt, nachdem sie uns eingeladen hat?" Wenn die einen viel erwarten und die anderen das nicht bedienen können, wird die Stimmung gereizt.

Dass Angela Merkel die Flüchtlinge eingeladen hat - das ist ein Thema, das vor allem bei rechten Mitbürgern für Empörung sorgt, die sagen, es kämen viel zu viele Flüchtlinge, Deutschland könne das nicht stemmen, das würde zu Problemen führen, und so weiter. Wie sehen Sie das?

Jannis Plastargias: Ich glaube das nicht. Deutschland ist ein reiches Land und ein Land, das mit vielen strukturellen Problemen zurechtkommen kann. Das war auch in der Vergangenheit so, nehmen wir nur mal die DDR und die Wiedervereinigung. Ich glaube nicht, dass die Flüchtlinge ein Problem sind. Deutschland kann das leisten und schaffen. Andere Länder haben viel geringere Möglichkeiten und Potentiale und nehmen trotzdem viel mehr Flüchtlingen auf, man denke an Jordanien oder den Libanon.

Jannis Plastargias. Bild: Philip Dehm

Sehen Sie in diesem Kontext sehr schwierige oder gar unlösbare Probleme?

Jannis Plastargias: Die Wohnungsnot in Frankfurt gab es schon vor den Flüchtlingen, und die jetzige Lage macht es nicht besser. Natürlich wollen gerade Familien möglichst schnell raus aus Hallen und Containern und in eine eigene Wohnung, aber das ist momentan in Frankfurt kaum zu leisten. Und ich sehe in absehbarer Zeit keine Lösung. Für mich ist klar, dass das mit den Massenunterkünften keine Dauerlösung sein kann und darf. Außerdem muss man schauen, dass bei der Verteilung der Menschen mehr durchmischt wird, dass Flüchtlinge dort Wohnungen bekommen, wo viele Deutsche wohnen, wo auch bildungsnahe Menschen wohnen, damit man sich gegenseitig unterstützen kann. In einigen kleineren Gemeinden wird das schon gemacht, in den Großstädten ist es schwieriger. Aber mit guter Planung sollte sich auch das in Zukunft realisieren lassen.

"Es wird auch auf lange Sicht keine strukturellen Probleme durch Flüchtlinge geben"

Welche Probleme können, welche müssen bald gelöst werden? Wo sehen Sie große Dringlichkeit?

Jannis Plastargias: Es gibt inzwischen mehr psychosoziale Beratungsstellen, mehr Ärzte und Psychologen, die auch Flüchtlinge behandeln. Aber da wünsche ich mir noch mehr Angebote und kürzere Wartezeiten, denn es gibt sehr viele Flüchtlinge mit psychischen Problemen. Ich glaube nicht, dass die Wohnungsnot so schnell gelöst werden kann. Eine große Schwierigkeit in den Massenunterkünften scheint mir die Ernährung. Man kann nicht erwarten, dass jemand binnen drei Wochen seine komplette Ernährung umstellt. Aber das wird über Catering organisiert, und da gibt es häufig deutsches Essen. Man würde den Menschen sehr entgegenkommen, wenn man ihnen die Möglichkeit gäbe, selbst zu kochen.

Es verwundert, dass gerade so etwas nicht funktioniert, bei all den orientalischen Imbissen und Restaurants in Deutschland...

Jannis Plastargias: Ich habe keinen Einblick, weshalb das so gemacht wird. Dafür sind die Behörden und einzelnen Träger verantwortlich. In den Unterkünften leben ja Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. Das macht es natürlich sehr schwer, alle zufrieden zu stellen. Die Träger versuchen auf unterschiedliche Weise dem entgegen zu kommen. Trotzdem höre ich von meinen Klienten, dass sie oft versuchen, außerhalb der Unterkünfte zu essen, und wenn ich mich mit ihnen treffe, nehmen wir als Kompromiss meist einen türkischen Imbiss. Da gibt es Halal-Gerichte, das kann dann jeder essen.

Aus dem was Sie sagen wird klar, dass es offenbar eine riesige Diskrepanz gibt zwischen der realen Flüchtlingssituation und der öffentlichen Wahrnehmung...

Jannis Plastargias: Das sehe ich auch so und kann es an Frankfurt auch belegen. Im letzten Jahr war alles etwas chaotisch und schwierig, aber inzwischen ändert sich das, es wurden mit großer Mühe neue Strukturen aufgebaut, das BAMF hat viertausend neue Leute eingestellt, und das ist überall so, wo es um Flüchtlinge geht. Und auch Ehrenamtler gibt es nach wie vor sehr viele. Es gibt noch immer viele Spenden und viel Unterstützung.

Die Lage wird von rechten Parteien instrumentalisiert, aber tatsächlich ist das alles gar kein Problem. Und es wird auch auf lange Sicht keine strukturellen Probleme durch Flüchtlinge geben. Im Gegenteil. Es wird vieles aufgefangen in ein paar Jahren, wenn wir auch mit der Integration weiter sind. Es sind viele Fachkräfte insbesondere aus Syrien und Iran dabei, also auch was den Arbeitsmarkt betrifft, gibt es keinen Grund zur Sorge. Gerade auch in Bereichen, die momentan noch Nachwuchsprobleme haben, wie etwa Kranken- und Altenpflege. Es sind viele zu uns gekommen, die das gerne machen würden. Ich bin optimistisch.