Die Basis des Vertrauens

Wissenschaftler der Universität Zürich haben ein Hormon identifiziert, das Vertrauen im Menschen verstärkt

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Menschliches Zusammenleben basiert auf Vertrauen. Ganz gleich, ob wir Beziehungen eingehen, Verträge abschließen oder Waren kaufen, immer spielt Vertrauen eine große Rolle. Ökonomen und Psychologen von der Universität Zürich ist es in einem Experiment gelungen, den vertrauensverstärkenden Einfluss des Hormons Oxytocin in einem wirtschaftlichen Szenario zu belegen.

In einem Spiel, das wirtschaftliche Transaktionen simulierte und in dem es um bares Geld ging, wurden 128 gesunde männliche Studenten in „Investoren“ und „Treuhänder“ aufgeteilt. Zu Beginn jeder Runde bekam jeder der Studenten zwölf Geldeinheiten (GE).

Die Investoren konnten nun entscheiden, wie viele ihrer GE sie an den Treuhänder überweisen. Dieser Betrag wurde dann vom Experimentsleiter verdreifacht. Gab der Investor zum Beispiel acht GE, besaß der Treuhänder nun 12 + 3 x 8 = 36 GE. Anschließend konnte der Treuhänder beliebig viele seiner GE an den Investor zurückgeben. Das Spiel wurde insgesamt viermal gespielt, wobei jeder Spieler seine Rolle beibehielt und in jeder Runde einen anderen, zufällig ausgewählten Partner bekam. Am Ende des Experiments bekamen die Teilnehmer ihr Guthaben zu einem Wechselkurs von 0,40 SFr pro GE ausgezahlt.

Da nie dieselben Paare zweimal miteinander spielten, konnten die Treuhänder aber durch egoistisches Verhalten ihren eigenen Gewinn maximieren. Dieses Ungleichgewicht zwischen den Rollen, in dem die Treuhänder nie verlieren konnten, setzte allein die Investoren dem Risiko eines Verlusts aus. Sie mussten also darauf hoffen, für ihre anfängliche Investition von den Treuhändern belohnt zu werden, um ihr Startguthaben zu vergrößern. Eine Investition in den Spielparter war für sie deshalb entscheidend vom Vertrauen in dessen Reaktion abhängig.

Das Ergebnis des Experiments zeigt deutlich größere Investitionen in der Oxytocin-Gruppe (rot). Quelle: Nature

Das Besondere an dieser Studie, die kürzlich im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde, ist aber, dass der Ökonom Michael Kosfeld und der Psychologe Markus Heinrichs mit Kollegen 29 der Investoren 50 Minuten vor Spielstart das Hormon Oxytocin in Form eines Nasensprays verabreichten, während die anderen ein unwirksames Plazebo bekamen. Der durchschnittliche Geldtransfer war mit 9,6 GE in der Oxytocin-Gruppe dann auch höher als die 8,1 GE in der Plazebo-Gruppe. Von den 29 Studenten, die das Hormon bekamen, zeigten sogar 45% maximales Vertrauen durch Überweisung ihres gesamten Guthabens im Vergleich zu nur 21% in der Kontrollgruppe.

Die Forscher haben daraufhin ein Kontrollexperiment vorgenommen, um der Frage nachzugehen, ob Oxytocin einfach die Risikobereitschaft der Spieler erhöht oder wirklich gezielt das Vertrauen beeinflusst. Hieran nahmen 66 weitere Studenten teil, die diesmal jedoch alle in der Rolle von Investoren gegen einen Computer spielten, der das Verhalten der Treuhänder exakt simulierte. Das Risiko war für die Teilnehmer also genauso groß wie im vorigen Experiment, jedoch haben sich die 31 mit Oxytocin behandelten Spieler gegenüber dem Computer nicht anders verhalten als diejenigen der Plazebo-Gruppe. Beide Gruppen überwiesen im Schnitt 7,5 GE an die Maschine.

Interessant ist auch, dass das Hormon die Reaktion der Treuhänder nicht beeinflusste. Ganz gleich, ob diese vor Spielstart Oxytocin bekommen hatten oder nicht, verhielten sie sich im Spiel statistisch nicht voneinander unterscheidbar. Von den Autoren wird das als weiterer Hinweis darauf gedeutet, dass die Substanz gezielt Vetrauen beeinflusst und nicht etwa ganz allgemein prosoziales oder freundliches Verhalten anderen Menschen gegenüber fördert. Bei der Entscheidung der Treuhänder ging es ja nicht darum, dem Mitspieler zu vertrauen, sondern ihn für seine Investition zu belohnen (oder auch nicht).

Jenseits des Vertrauens

Aber Oxytocin ist schon länger dafür bekannt, zum Beispiel im Menschen Angst (Furcht oder Gelassenheit) und das Sexualverhalten von Tieren (Das Monogamie-Gen oder die Gentherapie zur Partnerbindung) zu beeinflussen. Außerdem spielt es eine wichtige Rolle bei der Geburt von Kindern, der Milchproduktion von Müttern und wird beim Orgasmus freigesetzt. Schon 1999 haben Forscher der University of California in San Francisco einen Zusammenhang zwischen Oxytocin und der Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Beziehungen fest gestellt.

Rebecca Turner, Leiterin der Gruppe, vermutet daher, dass „Oxytocin emotionale Erfahrungen in engen Beziehungen vermittelt.“ Markus Heinrichs, der an dem Vertrauensexperiment beteiligt war, hat in früheren Untersuchungen auch den Einfluss des Hormons auf das Erinnerungsvermögen und die Bewältigung von Stress untersucht. Hier hat er herausgefunden, dass Oxytocin, insbesondere im Zusammenhang mit zusätzlicher sozialer Unterstützung durch einen engen Freund, zu einer geringeren Freisetzung des Stresshormons Cortisol führt.

Ein interessantes Experiment mit Wühlmäusen haben Forscher von der University of Maryland durchgeführt. Das Besondere an diesen Mäusen ist, dass geschlechtsreife Weibchen lange mit den Männchen zusammen sein müssen, bevor sie sexuell aktiv werden. Sexuell unerfahrene Weibchen wurden deshalb von Bruce Cushing und Kollegen fünf Tage lang mit Oxytocin oder einem unwirksamen Plazebo behandelt, bevor sie mit sexuell erfahrenen Männchen zusammen gebracht wurden. Das Ergebnis war, dass die Weibchen, die das Hormon erhalten hatten, sich während der ersten 48 Stunden mit größerer Wahrscheinlichkeit mit dem Männchen paarten. Die Forscher spekulierten daher, dass Oxytocin in den Wühlmäusen die Effekte des sonst längeren natürlichen sozialen Kontaktes simulieren könne.

Das Paradies: Bild: oxytocin.org

Potential und Gefahren

Die Autoren der Nature-Veröffentlichung stellen nach ihrem Vertrauenexperiment die Spekulation an, dass Oxytocin vielleicht Personen mit sozialen Schwierigkeiten, zum Beispiel sozialer Phobie oder Autismus, dabei helfen könnte, Kontakte mit ihren Mitmenschen zu knüpfen. Vielleicht können sogar schüchtere Menschen davon profitieren, um ihre soziale Hemmschwelle zu überwinden.

Allerdings kann man die Forscher selbst für ihr Vorgehen ethisch kritisieren, da sie den Teilnehmern lediglich gesagt haben, es werde der Einfluss eines Hormons auf Entscheidungsfindung untersucht. Vor eventuell auftretenden Nebenwirkungen, die Hormone aufgrund ihrer systemischen Wirkung entfalten können, hat man sie nicht gewarnt. Schließlich sorgt die Hypophyse, die Hormondrüse im Gehirn, dafür, unsere Hormone in einem natürlichen Gleichgewicht zu halten. Das Experiment ist aber trotzdem vom Ethikrat der Universität Zürich genehmigt worden.

Der renommierte Hirnforscher Antonio Damasio warnt aber in einem dem Artikel angefügten Kommentar vor möglichem Missbrauch. Das Hormon könne etwa dazu benutzt werden, bei Wahlkampfveranstaltungen die umworbene Masse einzusprühen, um das Vertrauen in politische Kandidaten zu erhöhen. Wen das beunruhigt, den weist Damasio jedoch darauf hin, dass unsere bereits vorhandenen Werbe- und Marketingstrategien höchstwahrscheinlich darauf optimiert seien, Stoffe wie Oxytocin in unserem Gehirn freizusetzen, um so den Vertrauenseffekt auf natürliche Weise herzustellen.

Abseits vom Marktgeschehen ist aber auch denkbar, dass religiöse Sekten die Substanz gebrauchen könnten, um skeptische Menschen zum Beitritt zu bewegen oder wenigstens für ihre Ideologie zu öffnen. Ähnliches ist ja bereits durch die Tradition bekannt, Weihrauch in religiösen Veranstaltungen zu verwenden. Oxytocin könnte auch in Polizei- oder Geheimdienstverhören dazu benutzt werden, um einen Verdächtigen zur Aussage zu bewegen. Das wäre zumindest eine humanere Methode als die vielerorts noch immer zum Alltag gehörende Folter. Da es sich bei dem Hormon um einen natürlichen Stoff handelt, dürfte ein Missbrauch jedenfalls nur schwer nachweisbar sein.

Hormon der Liebe?

Während Forscher noch damit beschäftigt sind, die Auswirkungen des Hormons einzeln zu untersuchen, wird andernorts längst das Paradies eingeläutet. Auf der Internetseite Oxytocin heißt es etwa unter einem Bild paradiesischer Idylle,

…our post-human successors will be able, not just to love everyone, but to be perpetually in love with everyone as well.

Neben dem „zivilisierenden Neurotransmitter“ Serotonin, dem „Liebeshormon“ Oxytocin und dem „Schokoladenamphetamin“ Phenylethylamine soll eine „erleuchtete“ Gentherapie uns die Tür zum Paradies eröffnen. Ob uns die pharmakologischen Cocktails von heute und morgen aber dem Paradies näher bringen oder einem Alptraum gleichen, das muss sich erst noch heraus stellen.

Ein Stolperstein auf dem Weg zur Erleuchtungspille dürfte zum Beispiel sein, dass sich unser Körper in der Regel sehr schnell an die Substanzen anpasst und größere Dosen erforderlich werden, um den gleichen Effekt zu erzielen. Diese Spirale nennt man auch die „hedonische Tretmühle“ (von griech. hedone: „Freude, Vergnügen, Lust“), da wir immer weiter gehen müssen, um den selben glücksbringenden Effekt zu erzielen. Ein gewaltiger biologischer Imperativ, der vielleicht den Fortschritt der Spezies Mensch aufrecht erhält. Sisyphos auf dem Weg zur Bergspitze lässt grüssen.

In Stanislaw Lems Roman Der Futurologische Kongress etwa erlebt der Protagonist Ijon Tichy einen psychedelischen Horror-Trip: Bei dem Versuch der Polizeitruppen, einen Aufstand der Bevölkerung mit pharmakologischen Mitteln niederzuschlagen, gerät der Zukunftsforscher Ijon zwischen die Fronten und bekommt unfreiwillig eine gehörige Dosis des staatlichen Chemiecocktails ab, der ihn in wilde Halluzinationen einer utopischen Welt stürzt, gegen die selbst Aldous Huxleys Schöne Neue Welt alt aussieht. Diesen Alptraum kann Ijon schliesslich nur mit einem Sprung aus dem Fenster beenden. Um heraus zu finden, ob dieser halluziniert ist oder real, dafür muss man das Buch schon selbst lesen.

So fantasievoll erscheint Lems Geschichte allerdings nicht mehr, seit im britischen Trinkwasser Spuren des Antidepressivums Prozac (Fluoxetine) gefunden wurden. Um dieses weit verbreitete Mittel gibt es übrigens eine Kontroverse, dass es – genau wie im Fall des Fenstersturzes des fiktiven Charakters Ijon Tichy – auch die Bereitschaft zum Selbstmord erhöht.