Die Bondmärkte regieren die Welt

Glaubt man europäischen Spitzenpolitiker, dann wurde durch sie ein ökonomischer Weltuntergang vermieden, die Risikoindikatoren der Finanzmärkte entlarven die Krise hingegen als eher kleineres Event

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Kaum hatten die Finanzmärkte den ersten Schreck überwunden, ging es an den Börsen und vor allem mit dem Euro weiter nach unten. Dafür wurde nicht zuletzt Deutsche Bank Chef Ackermann verantwortlich gemacht, der in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" zu bezweifeln wagte, dass "Griechenland über die Zeit wirklich diese Leistungskraft aufbringt, seine rund 300 Mrd. Euro Schulden wirklich zurückzuzahlen".

Ackermanns Zweifel sind dabei wohl nicht nur im Fall Griechenlands durchaus berechtigt, gibt es doch kaum ein Land, das seine Schulden jemals nachhaltig getilgt hätte. So war es zuletzt das höchste der Gefühle, wenn ein Land das Verhältnis von Bruttosozialprodukt zu Schulden konstant halten konnte, die Wirtschaft also schneller wuchs als die Schulden. Getilgt ist damit aber noch lange nichts. Viel mehr war Deutschland so wie fast alle anderen OECD-Länder auch am konjunkturellen Höhepunkt zumeist gezwungen, die Zinsen für alte Schulden mit neuen Schulden zu bezahlen.

Und so wie sich die demographischen Verhältnissen in den westlichen Industriestaaten und die voraussichtlichen Kosten des Klimawandels nun einmal darstellen, ist ohnehin nicht absehbar, wie auch nur ein einziger Staat, der nicht über hohe Erdölexporte verfügt, es schaffen will, seinen Schuldenstand über den nächsten Konjunkturzyklus nachhaltig zu reduzieren. Daran werden auch die nun geplanten Sparprogramme nichts ändern, denn die werden wohl europaweit nur zu noch drastischeren Rückgängen der Steuereinnahmen und insgesamt noch höheren Defiziten und Staatsschulden führen.

Insofern ist die Skepsis der Bondmärkte gegenüber verschwenderischen Regierungen zwar durchaus begründet, ob den Märkten deshalb aber gleich die Weltherrschaft überlassen werden muss, bleibt indes offen. So dürfte dem scheidenden Linke-Vorsitzenden Oskar Lafontaine durchaus zuzustimmen sein, wonach die Regierungen nur noch "Marionetten", wären, die den Finanzmärkten "hinterher hecheln".

Die Dominanz der privaten Kreditgeber über die politischen Machthaber ist freilich keine neue Entwicklung. So wurde der Wahlkampfmanager von Ex-US-Präsident Bill Clinton, James Carville, schon Anfang der 1999er Jahre weltweit für die Äußerung bekannt, dass, wenn es eine Reinkarnation gäbe, er nicht mehr als US-Präsident, Papst oder Baseball-Star wiederkehren wolle, sondern als Bondmarkt. Denn dann könne er jeden einschüchtern – und wie recht er damit hatte, hat sich ja gerade eindrucksvoll bestätigt.

I used to think if there was reincarnation, I wanted to come back as the President or the Pope or a baseball hitter. But now I want to come back as the bond market. You can intimidate everyone.

James Carville, Clinton-Berater

Flucht des internationalen Kapitals aus dem Risiko

Nur was war da an den Finanzmärkten eigentlich Schlimmes geschehen? Tatsächlich hatte sich die Lage an den Finanzmärkten, nachdem es ein Jahr lang quer durch die Märkte recht euphorische Kursgewinne gegeben hatte, im April ein wenig verschlechtert und Anfang Mai dann erheblich zugespitzt. So hatte der meistbeachtete Schrittmacher für die allgemeine Verfassung der Finanzmärkte, der US-Leitindex S&P 500, in der ersten Maiwoche sehr schwach notiert und fast 10 Prozent verloren, hatte zuvor aber seit Februar gut 20 Prozent zugelegt.

Nachdem nun am Donnerstag, dem 7. Mai, EZB-Chef Jean-Claut Trichet auf der Pressekonferenz nach der EZB-Ratssitzung behauptet hatte, der Rat hätte nicht einmal darüber diskutiert, Eurozonen-Staatsanleihen künftig direkt aufzukaufen, hatte sich der Absturz an den Börsen verschärft und kulminierte wenig später in einem 20minütigen Einbruch der Wall Street um weitere zehn Prozent, der allerdings bis Handelsschluss großteils aufgeholt wurde und "technisch" bedingt gewesen sein soll.

Allerdings ging der Einbruch am Freitag ungebremst weiter und gleichzeitig waren auch die Kurse griechischer Staatsanleihen in den Boden gestampft worden. Während die Papiere der starken Euroländer gleichzeitig deutlich zulegen konnten, gaben die Bonds von Portugal, Irland, Spanien und Italien jedoch ebenfalls deutlich nach.

Entsprechend diesem global sichtbaren Trend zur Risikovermeidung war auch die Emissionstätigkeit der Unternehmen und vor allem der Banken weitgehend zum Erliegen gekommen, während die Preise für Ausfallversicherungen auf ihre Schulden anstiegen. So war der Preis für Ausfallversicherungen auf die Schulden der spanischen Großbank Santander (der "5yr CDS") am Freitag um 80 Zähler auf 254 Basispunkte (100 BP. = 1 Prozentpunkt – d.h. es kostet 245 000 Euro um 10 Millionen Euro an Santander-Schulden für ein Jahr zu versichern) nach oben geschossen und hatte sich erst mit dem Rettungspaket wieder auf um die 160 BP reduziert. Gleichzeitig war auch der Euro massiv eingebrochen und notierte so tief wie zuletzt nach der Lehman-Pleite.

Kurz und gut, die Kapitalmärkte hatten ausgehend von den schwachen europäischen Staatsanleihen ihre Risikoneigung ab Mitte April generell reduziert, wodurch Aktien und schlecht geratete Bonds verkauft und "sichere Häfen" wie als erstklassig erachtete Staatsanleihen oder Gold gekauft wurden. Diese Flucht des internationalen Kapitals aus dem Risiko führte zudem zu einem hohen Dollarbedarf so dass an den Märkten schon seit vier Wochen von einer Dollar-Knappheit die Rede ist, die den Euro von einem Stand von um die 1,35 USD bis dato ungebremst auf unter 1,25 USD hat abfallen lassen.

Die Retter Europas

Während die Medien nun an die Lehman-Pleite erinnerten und einzelne Händler von einem "deja vu" sprachen, war die daraus resultierende politische Panikmache jedenfalls enorm. Während deutsche Regierungspolitiker sich angesichts ihrer wenig rühmlichen Rolle in dieser Affäre in Sachen Schwarzmalerei der Opposition den Vortritt gewährten, ließ Österreichs Innenministerin Maria Fekter durchsickern, sie habe vor dem sonntäglichen Krisengipfel die Einsatzpläne "zum Schutz der Infrastruktur und zum Umgang mit aufgebrachten Menschenmassen" für den Fall aus der Schublade geholt, dass "wegen der Wirtschaftskrise Bankfilialen geschlossen bleiben oder die Geldausgabe an den Bankomaten gestoppt wird".

Der Rettungsschirm sei "gerade noch" rechtzeitig aufgespannt worden, meinte Österreichs Finanzminister Josef Pröll, der sich im ORF und im deutschen TV nicht nur als Retter Europas gerierte, sondern auch unverblümt davon sprach, dass ohne das Rettungspaket die Sparbücher der Bevölkerung wertlos werden und der Geldverkehr hätte zusammenbrechen können. Das dürfte in Österreich nicht ungehört geblieben sein. In der Folge erreichten auch den Autor dieser Zeilen Anfragen besorgter Sparer, ob es jetzt nicht an der Zeit sei, die Sparbücher leer zu räumen und das Bargeld unter der Matratze zu lagern bzw. in Gold zu investieren.

Nach den am meisten beachteten Krisenindikatoren ist die aktuelle Krise meilenweit von gravierenden Folgen entfernt

So sieht der VIX-Index, der die Volatilität am US-Aktienmarkt widerspiegelt, ja noch halbwegs bedrohlich aus und hatte sich Ende letzter Woche immerhin auf über 40 Zähler verdoppelt. Das war vermutlich aber vor allem durch den rätselhaften Kurseinbruch am Donnerstag verursacht, als die US-Aktienindizes für 20 Minuten fast zehn Prozent im Minus lagen, wobei dieser Panik-Index 2008 immerhin mehr als 70 Zähler betragen hatte.

Absolut harmlos zeigte sich hingegen der TED-Spread, der die Differenz zwischen dem Referenzzinssatz im Interbankengeschäft (Dreimonats-Libor) und der Umlaufrendite für US-amerikanische Dreimonats-Schatzwechsel angibt. Dieser Krisenindikator gilt als entscheidende Maßzahl für das Vertrauen der Banken untereinander und war vergangene Woche gerade einmal von knapp zwanzig auf 32 Zähler angestiegen – übrigens ein Niveau, das im Boomjahr 2005 niemals unterschritten wurde, während der TED-Spread am Höhepunkt der Subprimekrise im Oktober 2008 sogar auf über 450 Zähler hochgeschossen war.

Bleiben die "Souvereign Spreads", die Risikoaufschläge, die für griechische Anleihen Anfang Mai in Richtung von zehn Prozent gelaufen und auch bei anderen Problemländern durchaus kräftig angezogen hatten. Allerdings lagen diese Aufschläge gegenüber Deutschland selbst am Höhepunkt der Panik für Italien und Spanien bei weniger als zwei Prozentpunkten und waren auch für Irland und Portugal unter vier Prozentpunkten geblieben - und das obwohl sich die Zinsen für den "sicheren Hafen" Deutschland deutlich reduziert hatten, was die Risiko-Spreads also auch auf der positiven Seite expandieren ließ.

Warum die Banken, nur weil die Marktpreise von griechischen und anderen südeuropäischen Staatsanleihen einbrechen, ohne Rettungspaket ihre Schalter hätten schließen müssen, ist jedenfalls nicht unmittelbar einsichtig. Immerhin war der aktuelle Finanzierungsbedarf Griechenlands auch schon vor dem Wochenende durch EU-Zusagen gedeckt und eine echte Pleite vorerst ausgeschlossen. Da die EZB zudem griechische Anleihen nun unabhängig von allfälligen Ratingänderungen zu akzeptieren bereit war, könnten die Banken diese Papiere völlig unabhängig vom jeweiligen Marktwert stets zu 95 von 100 zum Diskont bei der EZB einreichen, um sich Liquidität zu verschaffen oder die Anleihen zu refinanzieren.

Natürlich hätte die absehbare Panik an den Börsen zu allerlei Verwerfungen an den Finanzmärkten führen können und sicherlich die üblichen üblen Folgen gehabt. Ein echter Bank-Run der kleinen Sparer wäre aber wohl erst auf Aufforderung durch die Politik erfolgt. Denn immerhin spielen sich, seit es Einlagensicherungen gibt, die Bankenkrisen am Interbankenmarkt ab, und da hatten sich auch im Euroraum die Zinsen für Dreimonats-Geld am jüngsten Krisenhöhepunkt gerade einmal von 0,58 Prozent auf 0,63 Prozent erhöht.

Wären die Kurse von Eurostaaten-Anleihen also noch stärker eingebrochen, dann hätten die Banken im nächsten Quartalsbericht zwar sicherlich einige Wertberichtigungen vornehmen müssen (so man nicht, wie in den USA üblich, einfach die Bilanzierungsregeln geändert hätte), an dem stark positiven "Carry", dem Zinsertrag aus dem Preis von kurzfristigem Zentralbankgeld und langfristigem Coupon, hätte sich real aber nichts verändert. Und ob ein allfälliger Börsencrash die Banken versenkt hätte, ist angesichts der im Schnitt sehr geringen Aktien-Engagements der meisten Banken ebenfalls zweifelhaft.

Was hingegen die Schwierigkeiten der Unternehmen angeht, ihre Anleihen zu platzieren, sollte nicht vergessen werden, dass sich die Großunternehmen in den Monaten zuvor bereits in gewaltigem Ausmaß am Bondmarkt hatten finanzieren können und ihren Finanzbedarf teilweise bereits auf Jahre hinaus gedeckt haben. Die scharfe Reduktion der Emissionstätigkeit, die zuletzt in einigen Marktsegmenten auf ein knappes Zehntel eingebrochen war, könnte also weniger auf eine Finanzierungsverweigerung durch die Märkte, als darauf deuten, dass die emissionswilligen Unternehmen lieber auf bessere Konditionen warten wollten.

Ist der Euro nur zu hart gewesen?

Immerhin waren die Zinsen im langfristigen Vergleich extrem niedrig gewesen und die zuvor durchaus euphorischen Märkte sind vielleicht gerade dabei, zu einer realistischeren Risikoeinschätzung zurückfinden. Freilich müsste das dann bald auch die USA und Großbritannien treffen, deren Staatsfinanzen sich kaum viel besser darstellen als jene Griechenlands. Nur werden ihnen von den Bondmärkten derzeit dennoch so niedrige Zinsen abverlangt, wie kaum jemals zuvor.

Sollte hingegen ein Land wie Italien seine Anleihen plötzlich nicht mehr zum gewünschten Kurs absetzen können, verfügen Regierung und Notenbank dort vermutlich noch immer über ausreichende informelle Argumente und ausreichend starke Banken, um diese zu überreden, die Emission vorübergehend in die eigenen Bücher zu nehmen und nötigenfalls an die EZB weiterzureichen, bis sie private Käufer dafür finden. Dass die Banken ohne Rettungspaket also - wie nach der Lehman-Pleite - die Kreditvergabe untereinander eingestellt hätten, scheint ja auch Ackermann offenbar nicht befürchtet zu haben.

Bleibt die Angst um einen weiteren Einbruch des Euro, der von den Rettungsaktionen aber ohnehin nicht profitiert hat. Viel mehr scheint das Nachgeben der EZB, die nun so wie die FED und die Bank of England mit Zentralbankgeld direkt am Markt Staatsanleihen und Unternehmensanleihen aufkauft, den Investoren kaum viel Vertrauen eingeflösst zu haben.

Darüber hinaus dürften die Probleme Südeuropas mehr als allem anderen wohl einem zu starken Euro geschuldet sein. Denn wie der langfristige Chart DM/USD seit 1971 zeigt, notierte etwa die harte D-Mark in ihrer gesamten Laufbahn kaum ein Jahr lang höher zum Dollar, als jetzt der Euro nach seinem Einbruch auf rund 1,25 Dollar. So liegt laut OECD der "faire" Wechselkurs für EUR/USD derzeit gemäß Kaufkraftparität knapp unter 1,20 EUR/USD, während der Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Mundell seit Jahren predigt, dass die EZB den Euro-Kurs unbedingt unter 1,30 halten müsse, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Vermutlich würde man die Politiker aber überschätzen, wollte man die Panikmache als Versuch interpretieren, den Euro auf ein konkurrenzfähiges Niveau herunter zu drücken. Viel mehr drängt sich die Frage auf, ob da nicht einfach nur die Gelegenheit genutzt wurde, den europäischen Wählern massive künftige Steuererhöhungen und gleichzeitig weitere Geschenke an die Banken als unvermeidlich zu verkaufen.