Die Bundeswehr und die Waffen

Deutscher Soldat mit einem G-36-Gewehr. Bild: DoD

Alte Rüstungsseilschaften will Ursula von der Leyen durch Management-Methoden ersetzen

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2014 war so ein Jahr, in dem die Bundeswehr nicht aus den Schlagzeilen rauskam. Mal blieb eine Transall der Bundeswehr auf Gran Canaria liegen, mal steckten deutsche Soldaten mangels geeigneter Flugzeuge in Afghanistan fest. Schließlich musste Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eingestehen, dass viele Hubschrauber und Flugzeuge gar nicht einsatzbereit sind.

Kanzlerin Angela Merkel mahnte an, dass jetzt alle Fakten auf den Tisch gehörten und Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher kritisierte die Ausrüstung der Bundeswehr als "Zumutung für die Soldaten und ihre Familie".

Ein Gewehr in der Kritik

Dann geriet auch noch das G36-Gewehr, die Standardwaffe der Bundeswehr, in die Kritik. In Schießtests hatte die Bundeswehr herausgefunden, dass das G36 bei höheren Umgebungstemperaturen wie etwa im Afghanistan nicht mehr genau schießt. Ein Gewehr, das nicht trifft - das war der ultimative Gau für die Truppe.

Ministerin von der Leyen traf schließlich am 22. April 2015 eine Entscheidung: Alle 167.000 Gewehre werden ausgemustert. Der Beifall war ihr damals sicher: Endlich fällt mal jemand eine klare Entscheidung für die Truppe, für die Soldaten.

Inzwischen weiß man: Vor Gericht hatte die Einschätzung der Ministerin wie auch von großen Teilen der Öffentlichkeit keinen Bestand, dass es sich beim G36 um ein Ramsch-Gewehr handelt. Anfang September gab das Landgericht Koblenz dem Hersteller Heckler & Koch Recht. Der Tenor des Urteils: Das Gewehr machte genau das, was es sollte und was bestellt war. Die Bundeswehr bekommt deshalb keinen Schadensersatz.

Konsequenzen im Ministerium

Das Verteidigungsministerium kündigte zunächst Berufung an, verzichtete dann aber darauf. Trotzdem beschäftigt das G36 die Bundeswehr weiter. Erstens muss Ersatz gefunden werden, 2017 soll eine entsprechende Ausschreibung starten.

Zweitens soll als Konsequenz aus dem Skandal ein Compliance Management System eingeführt werden, wie es große Unternehmen haben. "Für ein modernes und transparentes Verwaltungshandeln reicht es oft nicht aus, alles ordentlich in verschiedenen Vorschriften geregelt zu haben. Vielmehr braucht es ein umfassendes Ethikbewusstsein im Sinne eines selbst gesetzten Verhaltensstandards", so eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums gegenüber "Telepolis". Das Ministerium habe hier in der öffentlichen Verwaltung eine "Vorreiterrolle".

Zurückgeht die Idee auf den früheren Commerzbankchef Klaus-Peter Müller, den Ursula von der Leyen als externen Sachverständigen geholt hatte. Dieser sollte den Entscheidungsprozess zum G36 zu begutachten. Vor allem ging es um die Frage, warum es von den ersten Meldungen, dass das G36 den Anforderungen nicht genüge, bis zur Entscheidung der Ministerin vier Jahre dauerte. Damit ging es letztlich um die Frage, wie die Rüstungsbeschaffung im Verteidigungsministerium besser organisiert und effizienter werden kann.

Müller legte im Oktober 2015 seinen Bericht vor. "Für die "Causa G36" gibt es nicht eine Ursache, sondern eine Vielzahl systemisch angelegter Ursachen", folgerte er. Als eine dieser Ursachen machte er ein Compliance-Defizit (Regeltreue) in der Organisationskultur aus: "unzureichender Prozess zum Umgang mit anonymen Schreiben in der Causa G36; kein umfassendes Compliance Management System". Um diesen Missstand zu beheben, schlug Müller vor, dass im Verteidigungsministerium modernes Management Einzug erhalten solle:

"Prüfen und ggf. einführen (von weiteren Elementen) eines Compliance Management Systems, z.B. Hinweisgebersystem und "Code of Conduct" für die Zusammenarbeit mit Wirtschaft/Industrie; interne Aufklärung von Vorwürfen unabhängig von Entscheidungen der ermittelnden Staatsanwaltschaft oder anderer staatlicher Stellen"

Abgeschottete Bundeswehr

Basierend auf diesen Empfehlungen machte sich eine Arbeitsgruppe bestehend aus Mitarbeitern des Ministeriums und Experten der Europa-Universität Viadrina an die Arbeit, ein neues Regelwerk zu erstellen. Was dabei herauskam, zeigte sich, als die "Bild"-Zeitung aus dem Papier zitierte: Soldaten und Beamten sollten demnach "jeden informellen Kontakt" zu Journalisten und Parlamentariern vermeiden.

Das solle nicht nur für Presseanfragen gelten, sondern auch für jedes persönliche Treffen gelten - selbst dann, wenn es sich um Bundestagsabgeordnete handelt. Als sozusagen kritische Zonen für den Soldaten machte der Entwurf insbesondere Veranstaltungen und Empfänge aus. Wie der Militärblogger Thomas Wiegold bemerkte, war aus dem "Regelwerk vor allem für den Umgang mit der Industrie (...) eins für den - als störend empfundenen? - Umgang mit Abgeordneten und Journalisten" geworden.

Maulkorb-Erlass?

BMVg-Sprecher Jens Flosdorff spielte die Bedeutung des Entwurfs am 12. Oktober in der Bundespressekonferenz herunter. Es handele sich um einen Referentenentwurf, der lediglich klare Rollenverteilungen sicherstellen solle: "So soll sich beispielsweise jemand, der als Marinesoldat angesprochen wird, nicht zum A400M äußern oder umgekehrt. (...) Auch sollen keine Kontakte zur Rüstungsindustrie unterhalten werden, die intransparent sind. Das ist die große Stoßrichtung."

Kritiker beruhigte das nicht. Sie sahen darin den "Versuch, ein abgeschottetes System im Stile des vordemokratischen Obrigkeitsstaats zu etablieren" (Wiegold). Die "Bild"-Zeitung schrieb gar, "Ursula von der Leyens Beamten droht ein Maulkorb". Auch Grüne und Linkspartei kritisierten die Pläne: Das Ministerium werde damit zur "Wagenburg", das Konzept vom Staatsbürger in Uniform stehe damit infrage.

Die grüne Abgeordnete Agnieszka Brugger nannte es verheerend, wenn sie sich bei ihrer Arbeit nur noch auf den offiziellen Dienstweg verlassen könnte. Die Ministerin wolle mit der Regelung verhindern, dass Rüstungsskandale ans Tageslicht kommen, vermutete sie.

Nur der CDU-Bundestagsabgeordnete Ingo Gädechens stellte sich hinter das Ministerium. Seine Begründung hatte allerdings nichts mit dem G36-Gewehr zu tun: Es handele sich natürlich um verschärfe Verhaltensregeln. Diese seien nötig, weil immer wieder Informationen etwa über Vorfälle in den Einsatzgebieten der Bundeswehr "durchgestochen" würden, also an die Presse weitergegeben werden, sagte er.

Neuer Entwurf

Offenbar hat das Verteidigungsministerium auf die Kritik reagiert. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, enthält eine neue Version des Entwurfs die umstrittenen Passagen nicht mehr, die den informellen Kontakt zu Journalisten und Abgeordneten untersagten. Stattdessen heiße es, "Kontakte zu Medienvertretern" müssten "im Einzelfall ausdrücklich autorisiert" werden.

Außerdem sind Verstöße gegen den Kodex nun nicht mehr wie in der ersten Version "umgehend anzuzeigen", was als Aufforderung zur Denunziation gewertet worden war. Möglich sei aber, sich an den Compliance-Management-Beauftragten wenden, wenn Verstöße bemerkt werden. Dieser soll zu Beginn des nächsten Jahres vorgestellt werden, ebenso wie der neue Verhaltenskodex.

Kritik bleibt

Begeisterung darüber ist bislang aber nirgends zu erkennen. Für Wolfgang Hellmich (SPD), den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, reicht die Geschäftsordnung des Verteidigungsministeriums völlig aus. Die geplante Neuregelung kritisierte er als "völlig überflüssig", auch in ihrer verbesserten Fassung.

Trotzdem darf man auf die neuen Verhaltensregeln gespannt sein, schließlich sind Kungeleien zwischen Ministerium und Rüstungsindustrie, die zu Kostensteigerungen bei Rüstungsprojekten auf Kosten der Steuerzahler führten, immer wieder beklagt und kritisiert worden - Stichwort "militärisch-industrieller Komplex". Außerdem gibt es die sogenannten wehrtechnischen Lobbyorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik oder den Förderkreis Deutsches Heer, in denen oft Offiziere Mitglieder sind und die als Scharnierstelle zwischen Politik und Rüstungsindustrie dienen. Es wird spannend, wie sich das neue Compliance Management hier auswirkt.

Lobbyist als Kurzarbeiter

Doch wie auch immer der Verhaltenskodex ausfällt - auch unter von der Leyen klappt es mit der Trennung von Regierung und Industrie nicht so richtig: So wechselte einer ihrer Berater, Gundbert Scherf, nach zwei Jahren im Ministerium zum Jahreswechsel umstandslos zurück zu seinem früheren Arbeitgeber, der Unternehmensberatung McKinsey. Der 34-Jährige war im Verteidigungsministerium "Beauftragter für die strategische Steuerung nationaler und internationaler Rüstungsaktivitäten der Bundeswehr", seine Chefin war Verteidigungsstaatssekretärin Katrin Suder, die ebenfalls von McKinsey kam. Sein Auftrag war es, das Rüstungsmanagement umzukrempeln. Durch bessere Kontrollen sollen künftig die Kosten der oft milliardenteuren Rüstungsprojekte in Grenzen gehalten werden.

Doch nun wird er Partner bei McKinsey. Dieser fliegende Wechsel geht manchen zu schnell, schließlich hat Scherf jetzt Kenntnisse über die Rüstungsprojekte der Bundeswehr. Dass er nun der Privatwirtschaft sein Wissen anbietet, wirft natürlich Fragen auf, auch wenn Scherf selbst verlautbart, er werde sich selbst nicht mit Rüstungsprojekten beschäftigen.

"Ursula von der Leyen betont immer wieder, wie sehr sie sich für mehr Transparenz und Compliance einsetzt. Wenn ein enger Berater der Verteidigungsministerin jetzt übergangslos zu McKinsey wechselt, werden die sowieso schon sehr laschen Regeln schamlos missbraucht", kritisierte die grüne Abgeordnete Agnieszka Brugger.