Die CDU, das Klima und Corona: "Es ist unsere Aufgabe, den Protest aufzugreifen"

"Aufstiegsversprechen einlösen": Jens Spahn. Bild: Heinrich-Böll-Stiftung, CC BY-SA 2.0

Jens Spahn über Wirtschaft und Wärmepumpen, über Klimaschutz, Karl Marx und die K-Frage – und warum er gerne Gesundheitsminister in der Pandemie war.

"Miteinander diskutieren: Das ist Demokratie", schreibt Jens Spahn, der sich selbst als "Münsterländer, Ehemann, Katholik" beschreibt. Jens Spahn ist seit 2002 Abgeordneter im Bundestag. Er war Staatssekretär im Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble, bevor er 2018 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel Gesundheitsminister wurde – auch zur Zeit der Corona-Pandemie.

Seit 2012 ist er im Bundesvorstand, seit 2014 auch im Präsidium der CDU und war auch Vize-Vorsitzender der Partei. Seit Ende 2021 ist er Vize-Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag und zuständig für die Politik-Bereiche Wirtschaft, Klima und Energie.

Spahn gilt als "liberalkonservativ" (Zeit) und als "Israel-Fan" (Spiegel). Obwohl er dem wirtschaftsnahen Flügel der CDU zugerechnet wird, forderte er 2022 etwa die Einführung einer Übergewinnsteuer für Energieunternehmen.

Telepolis sprach mit ihm über Klimaschutz, politische Lager und die Zukunft der Christdemokraten.

Klimaschutz: "Eine erwachsene Debatte wäre dringend nötig"

Was halten Sie von den Blockade-Aktionen der "Letzten Generation" auf deutschen Flughäfen zum Ferienstart letzte Woche. Kann man so das Klima retten?
Jens Spahn: Das sind gefährliche und kriminelle Taten. Dem Klimaschutz hilft das Nullkommanull. Weder in der Sache noch für die Akzeptanz. Es muss endlich Konsens unter Demokraten werden, dieses Vorgehen der letzten Generation zu ächten.
Aber warum stehen sich denn zurzeit zwei Gruppen in der Gesellschaft so anscheinend unversöhnlich gegenüber: "Klimaretter:innen" und "normale Menschen"? Oder wird dieser vermeintliche Gegensatz oft übertrieben dargestellt?
Jens Spahn: Dieser Gegensatz ist Nonsens. Der Eindruck folgt aus der Re-Ideologisierung der Klimadebatte. Für die große Mehrheit im Land ist Klimaschutz eine Frage der Vernunft. Dem steht eine kleine Gruppe gegenüber, die will, dass alle ihrer persönlichen Vorstellung folgen.
Wir werden effektiven Klimaschutz aber nicht mit Panik, Verboten und Verzicht erreichen. Im Gegenteil: Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum, um die Investitionen zu finanzieren. Wir brauchen die Marktwirtschaft, weil sie effektiver ist. Wir brauchen mehr private Investitionen.
Dafür gibt es derzeit zu wenig Impulse. Allein mit staatlichen Investitionen und bürokratischem Kleinklein werden wir auf keinen grünen Zweig kommen. Und wir brauchen Wohlstand, um die Akzeptanz zu erhalten.
Einige leugnen den Klimawandel aber ganz oder die Beteiligung menschlicher Einflüsse darauf. Geht es in der gesamten Klima- und Energiediskussion denn nur noch um extreme Positionen? Ist die Sachlichkeit abhandengekommen?
Jens Spahn: Es hilft jedenfalls der Sache nicht, wie die Debatte teilweise geführt wird. Die einen rufen: Es ist heiß! Die anderen: Aber morgen regnet's! Eine erwachsene Debatte wäre dringend nötig.
Wir werden in Deutschland das Klima nicht allein retten können. Für uns ist Klimaschutz vor allem ein Wohlstandsprojekt. Die Nachfrage nach CO2-neutralen Produkten wird weltweit steigen, die Kosten des CO2-Ausstoßes auch.
Das bedeutet: Der Wohlstand von morgen wird klimaneutral erwirtschaftet. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten und steigern wollen, müssen wir ein klimaneutrales Industrieland werden.

Wirtschaft: "Alle Zeichen deuten auf einen Abstieg"

Das sogenannte Heizungsgesetz hatte ja nun aber bei einigen große Empörung hervorgerufen, auch in Ihrer Fraktion. War diese Empörung denn wirklich gerechtfertigt?
Jens Spahn: Absolut. Dieses Ampelgesetz hat extrem viel Unmut im Land produziert. Weil die Bürger gemerkt haben: Hier wird aus ideologischen und parteipolitischen Gründen die Brechstange angesetzt. Es wird dabei weder effektiv noch pragmatisch gehandelt. Da ist es als Opposition unsere Aufgabe, den Protest aufzugreifen und Verbesserungen zu fordern. Wenn so schlecht regiert wird, können wir das nicht tolerieren.
Wie wird, kann und soll es denn mit dem Heizungsgesetz nach Ihrer Meinung weitergehen – nach der Sommerpause?
Jens Spahn: Die Ampel-Regierung will das Gesetz ohne richtige Beratung direkt nach der Sommerpause beschließen. Damit setzt sie ihr verkorkstes Verfahren fort und ignoriert das Bundesverfassungsgericht.
Wir als Union fordern einen Neustart des Gesetzes. Die Bürger erwarten ein gutes Gesetz, kein überhastetes. So wie es aktuell ist, werden wir ihm jedenfalls nicht zustimmen. Die Förderung ist immer noch unklar, die Anforderungen der Wärmeplanung werden viele Kommunen überfordern und die Hürden für Wasserstoffheizungen sind so hoch, dass es einem Verbot gleichkommt. Um nur einige Kritikpunkte zu nennen.
Viele Fachleute erwarten ja aber eine längere und stärkere Rezession. Geht es nun langfristig bergab mit der deutschen Wirtschaft? Und was wäre, wenn die Energiepreise noch einmal stark ansteigen?
Jens Spahn: Es ist nicht lange her, da hat der Bundeskanzler noch ein neues Wirtschaftswunder angekündigt. Davon sind wir meilenweit entfernt. Tatsächlich deuten gerade alle Zeichen auf einen Abstieg. Wir bräuchten jetzt eine wirtschaftspolitische Wende.
Aber was wäre denn Ihr Masterplan für die Transformation der Gesellschaft? Wie könnte man die Energiewende, die Wärmewende, die Klimawende, die Verkehrswende, den Umbau der Wirtschaft, Inklusion und Teilhabe anders und besser gestalten?
Jens Spahn: Wir müssen eine Agenda für Wachstum starten. Wir haben dazu eine Deutschlandstrategie vorgeschlagen. Sie umfasst vier zentrale Punkte. Erstens: eine Politik für stabile Finanzen. Zweitens: Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts stärken. Drittens: Den Wettbewerb der besten Ideen nutzen durch Technologieoffenheit. Viertens: eine Agenda für mehr Souveränität.

"Das Aufstiegsversprechen muss wieder für alle eingelöst werden"

Wird China denn nicht die Wirtschaft des Westens in den nächsten Jahrzehnten vielleicht derart unter Druck setzen im Hinblick auf Produktivität und Wertschöpfung, dass die Marktwirtschaft auch im Westen "brutaler" wird? Oder wie könnte der Westen darauf anders reagieren?
Jens Spahn: Ich bin überzeugt davon, dass die soziale Marktwirtschaft einer Demokratie allen anderen Systemen überlegen ist. Dafür müssen wir uns aber wieder auf ihre Stärken besinnen. Starke Konkurrenz ist ganz sicher nicht die größte Herausforderung für unsere Unternehmen. Damit können sie in einem fairen globalen Wettbewerb umgehen. Allerdings ersticken sie derzeit in immer mehr Bürokratie. Hinzu kommen die hohen Energiekosten, der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften und ein Steuer- und Sozialsystem, das zunehmend leistungsfeindlich ist. Das sind die Felder, die wir angehen müssen.
Was sagen Sie denn zu den neuen Leitlinien der Bundesregierung zum Umgang mit China – auch im Hinblick auf etwaige verdeckte Spionage-Bedrohungen durch Wirtschaftsunternehmen wie etwa Huawei?
Jens Spahn: Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits vor Monaten eine China-Strategie vorgelegt und darin unter anderem einen China-Check gefordert: Einen jährlichen Bericht, der die Abhängigkeiten gegenüber systematisch China analysiert und Konsequenzen ableitet.
Nun hat sich endlich auch die Ampel-Regierung positioniert. Allerdings klaffen Wort und Tat bei der Ampel bislang auseinander. Erinnern wir uns nur daran, wie Olaf Scholz die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafenterminal gegen alle Bedenken durchgedrückt hat. Wenn die Ampel nun sagt, wir müssen unabhängiger von China werden, ist das richtig. Wir werden sie daran messen.
Aber haben denn nicht alle Parteien versäumt, alle Menschen wirtschaftlich "mitzunehmen" in die Wohlstands- und Leistungsgesellschaft? Auch die AfD macht den "Abgehängten" keine wirtschaftlichen Perspektiven auf.
Und selbst BKA-Präsident Holger Münch stellte zur Vorstellung der letzten polizeilichen Kriminalstatistik ungewohnt sozialpolitisch fest, dass Kriminalität fast immer das Resultat von Perspektivlosigkeit ist und konstatierte zur sozialen Ausgrenzung etwa durch Armut: "Was dagegen zu tun, ist lange bekannt".
Jens Spahn: Richtig ist: Das Aufstiegsversprechen muss wieder für alle in unserer Gesellschaft eingelöst werden. "Wohlstand für alle" war immer ein Pfeiler für Zusammenhalt in unserem Land. Was bei diesen Debatten aber gerne unter den Tisch fällt: Armut und Perspektivlosigkeit sind in den letzten Jahren in großem Umfang eingewandert.
Das hat Konsequenzen. Vom Kitaplatz über den Sprachkurs bis zum Wohnungsmarkt: wir sind in vielen Bereichen an der Belastungsgrenze. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat dazu treffend gesagt: Unsere Herzen sind weit, unsere Möglichkeiten aber endlich.

KI: "Die Arbeit wird uns nicht ausgehen"

Es ist ja nun aber ohnehin seit Jahren viel von Politikverdrossenheit die Rede – besonders nach den Krisen der letzten Jahre mit ihren wirtschaftlichen Auswirkungen im Alltag aller Menschen: Energiepreise, Inflation, Wohnungsnot, Armut, Umbau der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Was muss getan werden, um diese Politikverdrossenheit zu bekämpfen? Oder droht gar eine Demokratieverdrossenheit?
Jens Spahn: Wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Das führt naturgemäß zu Verunsicherung. Politik hat in solchen Zeiten die Aufgabe, Sicherheit zu geben. Dazu gehört, die von der Politik selbst geschaffene Veränderungen auf ein Minimum zu reduzieren.
Derzeit passiert das Gegenteil: Statt sich rundum auf die zentralen Aufgaben zu konzentrieren, möchte die Ampel unsere Gesellschaft nach ihren Vorstellungen umbauen. In der "Zeit" stand kürzlich der kluge Gedanke, dass man ein verkorkstes Heizungsgesetz nicht mit einer Neuregelung des Personenstandsrechts kompensieren kann. Das trifft es.
Kenner der Digital-Ökonomie wie Sascha Lobo warnen aber davor, dass KI und die akzelerierte Digitalisierung der Gesellschaft zum Ausschließen weiter Teile der Bevölkerung führen werden. Steht allen eine gewaltige Umwälzung bevor – mit und ohne Ampel?
Jens Spahn: Diese Sorge deckt sich nicht wirklich mit der Lage an unserem Arbeitsmarkt. Es fehlen längst Arbeitskräfte auf allen Qualifikationsstufen. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Ich sehe eher die Chance, dass KI und Automatisierung unsere Arbeit wieder produktiver machen. Und das wird dringend nötig sein. Derzeit arbeiten so viele Menschen in Deutschland wie nie, die Produktivität ist aber nicht gestiegen. Allein, wenn wir Renten, Gesundheitssystem und Investitionen in Klimaschutz stemmen wollen, wird die Produktivität steigen müssen.
Schon Karl Marx als auch tatsächlich George W. Bush prognostizierten, dass Globalisierung letztlich die Armut weltweit besiegen würde. Braucht Globalisierung aber nicht humane Regeln, dass auch wirklich alle von der Globalisierung profitieren, wie ja schon unter der Großen Koalition der damalige CSU-Minister Müller einforderte?
Jens Spahn: Die Wahrheit ist, dass wir tatsächlich auf einem guten Weg sind, Armut, Hunger, Seuchen und Kindersterblichkeit in der Welt zu besiegen. Hunderte Millionen Menschen aus allen Teilen der Welt sind bereits aus der Armut gehoben worden. Wäre die Welt Marx gefolgt, hätte das nicht geklappt. Ein wichtiger Baustein ist, den freien Handel in der Welt zu intensivieren. Wir brauchen mehr Handelsabkommen, gerade mit Demokratien, mit unseren strategischen Partnern. Das macht uns weniger abhängig von einzelnen Ländern und fördert den Wohlstand weltweit.

"Die CDU ist keine linke Partei. Ein Glück!"

Vielen befürchten aktuell einen starken "Rechtsruck" der Union – weil Partei-Chef Merz die AfD "einfangen" möchte nach deren Umfrage-Hochs. Ist die Sorge der Mahner unter den Beobachtern vor einer solchen Entwicklung der CDU nach rechts nicht ganz unbegründet?
Jens Spahn: Ich habe bei diesen Diskussionen manchmal den Eindruck, einige vergessen, dass die CDU keine linke Partei ist. Ein Glück! Denn die demokratische Mitte hat auch eine rechte Seite. Der "Rechtsruck" ist ein Kampfbegriff. Wir tun als Union gut daran, uns frei von solchen Kategorien zu machen. Es geht darum, Positionen und Inhalte zu vertreten, die für unser Land und seine Bürger richtig sind.
Bereuen Sie im Nachhinein manchmal, vor der Corona-Pandemie Gesundheitsminister geworden zu sein? Und welche Maßnahme in den Lockdowns würden Sie mit heutigem Abstand auf keinen Fall noch einmal genau so treffen?
Jens Spahn:In dieser schweren Phase unserem Land und seinen Bürgern gedient zu haben, empfinde ich als Ehre. Ich habe dieses Amt mit allen Höhen und Tiefen sehr gerne ausgeübt. Die Schulschließungen waren in dieser Form rückblickend falsch. Was das für Kinder und Jugendliche bedeutet, war zu lange zu wenig im Blick.
Angela Merkel galt lange als "Klimakanzlerin". Wird Friedrich Merz der nächste Klimakanzler? Oder wird es Herr Wüst? Oder freut sich ein Dritter aus der CSU?
Jens Spahn: Erstmal freue ich mich, wenn auch Sie annehmen, dass die nächste Regierung von der Union angeführt wird. Wir sind uns in der Union alle sehr einig darüber, jetzt keine Personaldiskussionen zu führen. Friedrich Merz hat klar gesagt: Wir werden das rechtzeitig vor der Wahl entscheiden. Jetzt wollen wir über die Inhalte debattieren, die für den Kurs unseres Landes entscheidend sind.

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