Die Digitalen Engel kommen

Ein Unternehmen verspricht Mini-GPS-Implantate für Millionen von Menschen zur Steigerung der Lebensqualität und zur Sicherheit für den E-Commerce

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Stolz meldet die amerikanische Firma Applied Digital Solutions, dass sie eben ein Patent für ein "persönliches" GPS-basiertes Lokalisierungssystem erworben habe, das wegen seiner geringen Größe und seiner Eigenschaften auch in Menschen implantierbar sei. Bis zum Ende des Jahres 2000 will man einen Prototyp fertiggestellt haben, jetzt sucht man erst einmal weitere Geschäftspartner, die einsteigen. Versprochen wird, dass der Markt für solche Systeme Umsätze von mehr als 100 Milliarden Dollar verspreche.

Natürlich gibt es schon eine ganze Reihe von Techniken und Chips, mit denen sich Dinge, Tiere oder Personen weltweit über das GPS lokalisieren lassen, doch ADS ist der Meinung, mit dem Patent eine Technik erworben zu haben, die alles bislang Angebotene übertrifft. Der Digital Angel - der Name ist natürlich gleich als Handelsmarke geschützt - soll nun, wie es so schön in der Werbesprache heißt, alle technischen Beschränkungen "erstmals in der Geschichte" überwinden. Der Clou am GPS-Sender/Empfänger scheint zu sein, dass er seine Energie "elektromechanisch durch die Muskelbewegungen" erhält und so angeblich jahrelang ohne Wartung in Betrieb sein kann. Aktiviert kann er entweder durch den Träger werden, der ihn unter seine Haut implantiert hat, oder aus der Ferne durch die Überwachungsorganisation. Überdies können damit auch bestimmte Körperfunktionen wie der Blutdruck gemessen und weitergesendet werden, um eine Notfallsituation zu signalisieren. Aber selbstverständlich kann man den GPS-Sender/Empfänger auch wegen seiner geringen Größe an "wertvollen persönlichen Besitzgegenständen und an Kunstwerken von unschätzbarem Wert" versteckt befestigen.

Vorgeschlagen werden von der Firma Personengruppen, die besonders für die dauerhafte Lokalisierbarkeit ihrer Aufenthalte geeignet wären. Das sind etwa Individuen, die man mit "hieb- und stichfesten Mitteln zur Sicherheit von E-Business und E-Commerce lokalisieren und identifizieren" will. Vielleicht gehen wir angesichts dieser Aussichten, nicht nur die Firmen mit persönlichen Daten und unsere Festplatte mit Cookies zur Identifizierung versorgen, sondern uns auch noch ein Implantat einbauen zu müssen, wenn wir einmal etwas online kaufen wollen, doch lieber anonym ins nächste Geschäfte und zahlen mit Bargeld, solange es das noch gibt. Dann besteht eine Personengruppe, die in Betracht kommt, aus Kindern, "die verschwunden sind oder missbraucht wurden". Das wäre freilich schon etwas spät, um ihnen einen Sender zu implantieren, aber so klingt das wahrscheinlich dramatischer und weniger paranoid, als wenn man sagen würde, dass man doch sicherheitshalber mal seine Kinder - und vielleicht auch seinen Beziehungspartner? - vernetzen soll, um über Schritt und Tritt von ihnen Bescheid zu wissen. Körperliche gefährdete Personen sind eine andere Personengruppe, die ADS gerne unter ihre globalen Fittiche nehmen würde, aber natürlich auch Sportler, die in Zeiten der Simulation in die schrumpfende Wildnis ausziehen, oder Soldaten, Diplomaten und wichtige Regierungsangehörigen. Letzteres wäre vielleicht gar nicht so schlecht, um zu verfolgen, wo die heimlichen Geldübergaben stattfinden. Und wenn man dann noch ein kleines Mikrofon in das Implantat einbauen würde, käme ein noch größeres Mehrwert zustande, sofern das auch elektromechanisch durch Muskelbewegungen mit Strom versorgt werden kann und man nicht dauernd herumjoggen muss, sondern auch gelegentlich mal still an einem Tisch sitzen kann. Für den Ausbau der "Festung Europa" wäre möglicherweise auch nicht schlecht, Immigranten oder solchen mit begrenzten Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigungen ein Implantat einzubauen. Schade nur, dass "Q" gestorben ist, dem James-Bond-Tüftler würden sicherlich noch viele Ausbaumöglichkeiten für die digitalen Engel einfallen.

Richard Sullivan, Vorsitzender von ADS, jedenfalls meint, dass der Digital Angel zu unser aller Glück und Zufriedenheit im nächsten Jahrhundert beitragen wird: "Wir glauben, dass sein Potential für die Verbesserung der Sicherheit von einzelnen Menschen und des E-Business sowie für die Lebensqualität von Millionen von Menschen praktisch unbegrenzt ist. Auch wenn wir erst am Beginn der Entwicklungsphase stehen, erwarten wir, dass wir Anwendungen für viele unterschiedliche Bereiche von der medizinischen Überwachung bis zum Strafverfolgung finden werden. Um jedoch im Einklang mit unseren Hauptaktivitäten im Business-to-Business-Bereich zu bleiben, werden wir die ersten Entwicklungen auf wachsende Feld der Sicherheit für den E-Commerce und die ID-Verifizierung der Benutzer konzentrieren." Schöne Aussichten, wenn vor dem Digital Angel alle von Kriminellen oder Tatverdächtigen über Risikopatienten bis hin zum E-Commerce-Kunden oder zu Kindern gleichberechtigt sind. Auch eine Art von Gerechtigkeit ...