"Die Extremisten übertönen"
Seite 2: Keine Gerechtigkeit, aber Terrorismusbekämpfung
- "Die Extremisten übertönen"
- Keine Gerechtigkeit, aber Terrorismusbekämpfung
- Uferlose Datensammlungen
- Auf einer Seite lesen
Auf ihrer Tagung im Dezember 2010 haben europäische Innenminister neue Schlussfolgerungen zur "Rolle der Polizei und der Zivilgesellschaft bei der Bekämpfung von Radikalisierung, Gewaltbereitschaft und Anwerbung von Terroristen" angenommen. Das Dokument nimmt Bezug auf das EU-Projekt Community policing and prevention of radicalisaton & terrorism (CoPPRa), das "Radikalisierung" erklären will und auf einem zweifelhaften, entpolitisierenden "Treppenmodell" von "Radikalisierung" basiert.
Eine kleine, unzufriedene Gruppe könnte sich demnach aus "Frustrationsgefühlen" einer "radikalen Gruppe" anschließen, wenn die vorangegangene "Suche nach Gerechtigkeit" erfolglos blieb. Wenn "das erwünschte Ergebnis" immer noch ausbleibt, könnte die Gruppe am Ende einen "terroristischen Anschlag" verüben. Auffällig ist vor allem der Abdruck der Logos von Umwelt- und Tierrechtsgruppen, aber auch der deutschen Roten Armee Fraktion auf dem Cover einer CoPPRa-Broschüre.
CoPPRa steht unter der Federführung der vergangenen belgischen EU-Ratspräsidentschaft und adressiert unter anderem Polizisten ("Harmony" für chaotische EU-Justiz- und -Innenpolitik). Ziele sind das Erstellen eines "Taschenbuchs für den ersteingreifenden Polizeibeamten zwecks frühzeitiger Aufspürung der Radikalisierung". In einem auf der CoPPRa-Webseite veröffentlichten Interview erklärt ein hemdsärmeliger Richter aus Antwerpen , welche Faktoren der observierten Person als verdächtig gelten. Ermittlungsmethoden wie etwa "ein halbes Jahr lang Telefonate" abhören seien wirkungslos, stattdessen solle man "dem Revierbeamten zuhören", der besser wüsste "dass der Verdächtige einfach jeden Tag arbeiten geht". Woran ein solcherart "guter Mann" zu erkennen ist, wird in der Erklärung mitgeliefert: "Es kommt nie jemand zu Besuch, es steht nie ein Wagen mit fremdem Nummernschild vor der Tür. Es kommen keine fremden Leute".
Von deutscher Seite ist die Polizei Nordrhein-Westfalen beteiligt, dessen Landesamt für Verfassungsschutz zuvor mit der Veröffentlichung seiner Comics für Demokratie und gegen Extremismus in der Kritik gestanden hatte. Der Protagonist "Andi" bewegt sich in den bunt bebilderten Veröffentlichungen unterschiedslos innerhalb von "Linksextremismus", "Rechtsextremismus" und "Islamismus".
Die Ausgabe zu "Linksextremismus" ("Voll die Randale") wird mittlerweile als Bundesausgabe vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend herausgegeben. Zuvor hatte der Nachdruck aller drei "Andi"-Comics durch den niedersächsischen Verfassungsschutz die Gesamtauflage aller Hefte auf über 1.000.000 Stück gesteigert und damit angeblich zum "beliebtesten Comichelden" in Deutschland gemacht – so jedenfalls sieht sich der Verfassungsschutz.
Aufspüren von "Radikalisierungsprozessen"
Unter Federführung des holländischen "Organization for Applied Scientific Research" fördert die EU im Rahmen ihres umfangreichen Sicherheitsforschungsprogramms das Vorhaben Scientific Approach to Fighting Radical Extremism (SAFIRE). Das Projekt beforscht die mögliche Einführung von "Interventionen" zur Prävention, dem Anhalten sowie dem "Umkehren" von "Radikalisierung". SAFIRE lobt sich selbst als die erste "innovative Annäherung" der Entwicklung einer "Typologie radikaler Gruppen", die demnach bislang nie versucht wurde. unter anderem sollen "beobachtbare Indikatoren des Radikalisierungsprozesses" festgestellt werden.
Neben Instituten aus Frankreich, Portugal und Italien ist auch die israelische "International Security and Counterterrorism Academy" an SAFIRE beteiligt, vermutlich innerhalb des Zweigs Search, Detect and React. Die Firma wirbt auf ihrer Webseite mit dem Slogan "From Reactive Action to Proactive Prevention" und preist neben Werkzeugen zur Verhaltensanalyse einen "interaktiven Ansatz" aus "Heimatschutz, Anti-Terrorismus, geheimdienstliche Aufklärung, Ermittlungen und Kriminalwissenschaften".
2011 will die Kommission eine Mitteilung herausgeben, um Ergebnisse der einzelnen Projekte in den Mitgliedstaaten zusammenzutragen. Bis 2011 soll in Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Regionen die Errichtung eines "EU-Aufklärungsnetzwerks gegen Radikalisierung" beginnen, in das zahlreiche Spektren der Bevölkerung eingebunden werden: "Politische Entscheidungsträger, Mitarbeiter von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, Staatsanwälte, Hochschulmitarbeiter, an der Basis tätige Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter Opfergruppen."
Sogenannte "Rollenvorbilder und Meinungsführer" sollen die Gelegenheit bekommen, "positive Botschaften zu vermitteln". Nicht näher spezifizierte "Organisationen der Zivilgesellschaft" sollen finanziell unterstützt werden, "extremistische Gewaltpropaganda im Internet" zu widerlegen. 2012 will die Kommission eine Ministerkonferenz zur "Prävention von Radikalisierung und Rekrutierung" ausrichten, um "Beispiele erfolgreicher Aktionen gegen Extremismus zu präsentieren".