Die Gewerkschaften wittern Morgenluft

Nach den Jahren der Krise gehen die Gewerkschaften nun in die Offensive - vorbei die Zeiten, in denen auf hohe Lohnzuwächse verzichtet wurde

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Die IG Metall fordert in den jetzt anstehenden Tarifverhandlungen deutlich mehr als nur ein inflationsbereinigendes Lohnplus. Ihr geht es auch um den Erhalt des Standardarbeitsverhältnisses. Die deutsche Wirtschaft boomt wieder, die Unternehmen haben wieder einen deutlichen Gewinnzuwachs erwirtschaftet. Insbesondere auch im internationalen Vergleich steht gerade die deutsche Metall- und Elektroindustrie mit gefüllten Auftragsbüchern da. Grund genug für die IG Metall, jetzt an ihre Lohnzurückhaltung in der Vergangenheit zu erinnern und in den Tarifverhandlungen ihren finanziellen Anteil an dem gemeinsamen Erfolg einzufordern.

Entsprechend ist die Metall- und Elektrogewerkschaft in die Tarifverhandlungen mit dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall eingestiegen. Ihre Forderungen bestehen dabei jedoch nicht nur aus einer spürbaren Lohnerhöhung. Vielmehr will sie in Zukunft auch beim Einsatz von Leiharbeitern mitreden.

Denn gerade beim Umgang mit der gemieteten Arbeitskraft wird sich zeigen, ob die desaströsen Entwicklungen wieder zugunsten der Arbeitnehmer zurückgedreht werden können, oder ob weiterhin ein Teil der Belegschaft nur als Mitarbeiter zweiter Klasse behandelt wird. Die Arbeitgeber zeigen gerade bei dieser Frage, dass auch sie ein Ende der Zeiten gekommen sehen, in denen sie allein mit dem Argument des wirtschaftlichen Zusammenbruches ihre Mitarbeiter in Angst und Schrecken versetzen und damit die Preise für Arbeit immer weiter drücken können.

"Wir dürfen keine Arbeitsverhältnisse akzeptieren, die zu einer Zersetzung des Arbeitsmarktes führen. Die Spaltung in Kern- und Randbelegschaften nimmt zu und es werden Löhne bezahlt, von denen man nicht leben kann", sagte Detlef Wetzel, Zweiter Vorsitzender der IG Metall am 1. Mai auf einer Kundgebung in Singen in Baden-Württemberg. Leiharbeit, Minijobs, Werkverträge und andere Formen prekärer Beschäftigung seien zur Regel geworden. Für die Tarifverhandlungen der Metall- und Elektrobranche forderte er daher einen fairen Anteil für die Mitarbeiter der Unternehmen.

Wenn 2011 ein Jahr der guten Bilanzen war, dann muss 2012 ein Jahr der guten Löhne werden.

Auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer fordert für die Metalltarifverhandlungen eine "starke Lohnerhöhung." Die Begründung dafür lieferte er in der "Passauer Neuen Presse" gleich mit. "Höhere Löhne steigern die Binnenkonjunktur." Der Abschluss der IG Metall sieht er als "klares Signal für alle weiteren Tarifverhandlungen, wie zum Beispiel bei Chemie, in diesem Jahr."

Mehr als nur leere Drohungen

Für die Arbeitgeber sind solche Äußerungen deutlich mehr als nur leere Drohungen. Denn seit Beginn der Tarifverhandlungen organisiert die IG Metall immer wieder Warnstreiks quer durch die Republik. Der Gesamtmetallpräsident Martin Kannegiesser sagte gegenüber der Tageszeitung "Die Welt": "Die IG Metall hat schon mit Warnstreiks und einem möglichen Arbeitskampf gedroht, noch bevor sie ihre Forderung beschlossen hat."

Er kritisierte, dass dies zeige, wie wenig die Warnstreiks mit der eigentlichen Sache zu tun hätten. Auf Nachfrage von Telepolis beim Metallarbeitgeberverband reagierte Martin Leutz, Leiter der Presseabteilung entsprechend dünnhäutig:

Die Vertreter der IG Metall können sich nicht einfach mit verschränkten Armen an den Tisch setzen, das wäre das Gegenteil von verantwortungsvoller Tarifpolitik.

Für die Arbeitgeber ist die Taktik der IG Metall erwartungsgemäß ein großes Ärgernis. Doch darüber hinaus ist sie in erster Linie eine Antwort auf die veränderten Bedingungen, unter denen die Gewerkschaft derzeit Lohnpolitik betreiben kann. Denn nach Jahren sinkender Mitgliedszahlen verzeichnet die IG Metall seit kurzem wieder ein Plus bei den Zugängen.

Thema Leiharbeit

Galten die Gewerkschaften, gerade unter jungen Arbeitnehmern und Auszubildenden, lange Zeit eher als ein Altherrenverein, der seine Zeit lieber an muffigen Stammtischen zubrachte, sind es nun gerade diese Gruppe, die verstärkt der Gewerkschaft beitreten. Möglicherweise haben die von den Arbeitgebern lange Zeit forcierten prekären Arbeitsmodelle für ein Umdenken beim Nachwuchs gesorgt.

Doch nicht nur die Mitgliederzahlen scheinen der IG Metall Auftrieb zu verleihen. Auch die Politik scheint sich verstärkt an die Seite der "Kollegen" zu schlagen. So zeigte sich die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen kürzlich besorgt darüber, dass der Abschluss aus Sicht der Arbeitnehmer nicht gerecht genug ausfallen könne.

Auch und insbesondere das Thema Leiharbeit hat in der Vergangenheit zunehmend für Unruhe unter Parlamentariern und Ministern gesorgt. Die deutlich spürbar abnehmende Akzeptanz solch prekärer Beschäftigungsmodelle bei der Bevölkerung, haben offensichtlich für ein Umdenken in der Politik gesorgt.

Gegenseitige Bedrohungsszenarien

Nicht ohne Grund zeigen sich die Arbeitgeber im Metallbereich daher, wenn es um die Frage des "Equal-Pay" geht, zunehmend aufgeschlossener. Zwar wird von Seiten der Arbeitgeber derzeit versucht eine Mitbestimmung der Betriebsräte in diesem Bereich zu verhindern. Es ist jedoch fraglich, ob diese Weigerung durchzuhalten ist, wenn auch konservative Kreise der Politik eine Veränderung in diesem Bereich unterstützen.

Für die Gewerkschaften scheint sich offensichtlich einiges zum Positiven verändert zu haben. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen sie sich, aufgrund ihrer eigenen Schwäche, zurückhalten mussten. Bleibt abzuwarten, wie die Arbeitgeber darauf reagieren werden.

In einem Interview mit dem Handelsblatt sagte der Gesamtmetallpräsident Kannegiesser:

Wir wissen, dass die IG Metall die Kraft hat, kurzfristig Arbeitskämpfe auszulösen, ebenso wie Unternehmen längerfristig Standortveränderungen einleiten können. Solche gegenseitigen Bedrohungsszenarien aber sind unvernünftig und unverantwortlich.

Wie die Arbeitgeber also auf den gestiegenen Einfluss der Gewerkschaften reagieren werden, wird sich noch zeigen müssen.