Die Hacker als Erben der Intellektuellen

Ein "neuer Geist" beseelt den modernen Kapitalismus

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In einem Beitrag für die Wochenzeitung "Der Freitag" hatte Dirk Baecker den Hacker zum Nachfolger und Erben des Intellektuellen erklärt: "Vom Priester zum Hacker: Die Konjunktur des Intellektuellen". Konnte sich der moderne Gelehrte und Schriftkundige aufgrund seines umfassenden Wissens über ein Jahrhundert lang als Sinnstifter und "Herr der Vergleiche und der Kritik" profilieren, habe sich die Nachfrage oder der Bedarf an Welterklärung, an Orientierungswissen und Besserwissertum in der Postmoderne nunmehr erschöpft. Die postmoderne Kultur zeige nur noch wenig Interesse an der Tiefer- oder Grundlegung von Codes. Ihr genügt es zu erfahren, wie Codes funktionieren und die Welt strukturieren. Darin aber sei wiederum der moderne Intellektuelle inkompetent und unerfahren. Weswegen er mit seinen politisch-moralischen Ideen, Forderungen und Urteilen, die er im Namen universaler Werte vornehme, erhebe oder ausspreche extrem langweilig wirke und sich damit verdächtig mache. Längst habe sich die Postmoderne vom klassischen Intellektuellen verabschiedet und sich nach einer anderen Leitfigur umgesehen, nach einer, die sich in der Performanz von Sprachspielen auskenne, Codes in andere Codes übersetzen und in andere Sprachspiele implementieren könne.

Writing code is like writing poetry

Stuart Feldman, IBM-Direktor
Der Garten der Hacker. Von der Website The Hacker Ethic

The New Leaders of the Pack

Wie man Codes knackt, abfängt oder neue Codes in Umlauf bringt - dieses Know How haben nur Hacker. Ihr Metier oder ihre Domäne ist es, in herrschende Sprachspiele einzudringen, sie zum Absturz oder zum Rauschen zu zwingen. Indem sie das tun, setzen sie laut Baecker das Tertium non datur, das bislang die modernen Diskursen dominiert hat, außer Kraft und den ausgeschlossenen Dritten wieder in sein Recht. Ungewöhnlich konkret wird der Soziologe hier. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten nennt er diesmal auch Namen und Adressen. So werden George Soros, Bill Gates, Steven Spielberg und Stephen King ebenso zu Zerstörern und Neufindern von Sprachspielen erklärt, wie Jacques Lacan, Jacques Derrida und überraschend auch Jörg Haider in den Genuss kommen, in den neuen Stamm der Hacker aufgenommen und zu New Leaders of the Pack befördert zu werden.

Hacker can do almost anything

Burell Smith

Welche Einstellungen, Gesinnungen oder Tugenden diese "Experten des Zusammenbruchs" aber zeigen, nach welchen Regeln und Leitlinien sie operieren, darüber schweigt sich Baecker aus. Obschon ständig in dem genannten Artikel vom kulturellen Überbau der Gesellschaft die Rede ist, von der Kultur der Antike, die den Priester als Sachwalter des Wissens um das Unverfügbare hervorgebracht hat ebenso wie von der modernen Kultur, die sich als ein eigenständiges System von Natur, Technik und auch Gesellschaft absondert und zum Aktionsfeld des modernen Intellektuellen wird, von einem "neuen Geist", der die Spieler, Krieger und Piraten des Wissens umtreibt, sie zum Einbrechen in Datenbanken und Überschreiben von Codes nötigt, ist nichts zu lesen.

Ich unterscheide, also bin ich

Konstruktivistenlatein

Wundern sollte sich darüber aber niemand. Von Mentalitäten und Weltbildern will der modische Diskurs nichts mehr wissen. Ideen, Wertfragen oder Kollektivsingulare wähnt er längst auf den Müllhalden der Geschichte. Wo einst Bedürfnisse und Gefühlslagen, Neigungen und Interessen, Identitäten und Mythen westen, dominieren heute Kontingenzbewusstsein, Möglichkeitsräume, Zynismus und ein Pathos der Distanz.

Freibeuter mit moralischem Anspruch

In diesem Fall könnte es aber sein, dass die postmodernen Beschreibungen mehr verdunkeln als aufhellen. Guckt man sich nämlich an, was Hacker machen, dann stellt man fest, dass sie alles andere als willkürlich oder beliebig operieren. Wenn sie in fremde Datenbanken eindringen, das Urheberrecht aushebeln oder das Rauschen in den Kanälen verstärken, orientieren sie sich an ganz bestimmten Vorstellungen, Werten und Ideologien. Beispielsweise an der Vorschrift, Informationen mit anderen zu teilen, an dem Gebot, frei zugängliche Software zu schreiben, an der Pflicht, für den free flow of information zu sorgen, oder an der Mission, für den freien Zugang zu Inhalten und Computerwissen einzutreten.

Die Welt braucht Orientierung

Blaupunkt, Navigationssysteme

Ein Blick auf die Website des Hamburger Computer Chaos Clubs genügt. Bereits in den 80er Jahren hat er, als jugendliche Heißsporne für den KGB zu spionieren begannen, Verhaltenscodices entwickelt und einen neuen Katechismus für Hacker aufgestellt (Hackerethik). Zudem bleibt im Dunkeln, warum ausgerechnet Dirk Baecker, der uns als besonders gewiefter Unterscheidungskünstler (Ein Mehr von Unentscheidbarkeiten) bekannt ist, an dieser Stelle seine sonstige Evolutionsfreudigkeit verliert und auf weitere Unterscheidungen verzichtet. Und zwar zwischen solchen Hackern, die Codes hacken, um dieses Wissen anderen zur freien Verfügung zu stellen (Hacker) und solchen, die gegen Bezahlung in fremde Datennetze oder Datenbanken eindringen und sie mit Viren, Würmern und ähnlichen Zeugs zum Absturz bringen (Cracker).

Die Zeit der Leitbildkonstrukteure

Mag es inzwischen auch Mode sein, Anthropologien und/oder Mentalitäten gering zu schätzen und für nicht-theoriefähig zu halten, ganz abwegig oder gar falsch ist es darum aber noch nicht, Gesinnungen, Postulaten und Handlungsmotiven Aufmerksamkeit zu schenken. Immer nur auf anonyme Codes, Strukturen und Kalküle zu starren oder auf Verfahrensregeln, Funktionalitäten und diskursive Praktiken zu schielen, kann auf Dauer auch lähmend und ermüdend wirken. Einseitigkeit, blinde Flecken und mangelnde Sensibilität für die zu bewältigenden Probleme könnten ebenso die Folge sein wie die ewige Wiederkehr des Immergleichen. Das Imaginäre und den "subjektiven Faktor", wie es in den 70er Jahren hieß, zuzulassen und in die Theorie wieder einzuführen, böte zudem den Vorteil, den ausgeschlossenen Dritten, den der soziologische Beobachter vermisst, wieder zu seinem Recht zu verhelfen.

Andererseits könnte ein Beobachter durch ein Re-entry von Wertorientierungen und Werthaltungen vielleicht zu der Ansicht kommen, dass im Gegensatz zum Glauben der Postmodernen genau andersherum ein Schuh daraus wird. Gerade weil Verunsicherung, Ungewissheit und Optionenvielfalt in der postmodernen Kultur grassieren, wächst auf der anderen Seite das Verlangen und der gesellschaftliche Bedarf an Orientierung, Leitbildern und Wertmaßstäben. Nicht nur die unzähligen Ethik-Kommissionen, die Leitlinien für kollektiv bindende Entscheidungen entwickeln, oder die diversen Korrektheiten, die von und in den Massenmedien in politischer, moralischer oder sexueller Absicht angemahnt werden, sondern auch die hitzigen und mitunter leidenschaftlichen Debatten, die jüngst um Nationalstolz und Leitkultur geführt wurden, sind jüngste und prominente Beispiele dafür. Seelenklemptner, Trendsetter und sonstige Priester, Propheten oder Entlastungsagenten machen sich diesen Umstand zunutze. Sie versorgen die durch den freien Markt verunsicherten und von einem Gemeinschaftsgeist entkoppelten Gruppen, Communities und Unternehmen mit jenen Ressourcen, die sie brauchen: mit Markennamen, Illusionen und Weltbildern.

Auch Individualisten, Nihilisten und Zyniker sind davor nicht gefeit. Noch der gerissenste und entschlossenste Systemtheoretiker und Antimetaphysiker, der stabiles Wissen und Letztbegründungen verdammt oder verabscheut und für Kontextualisierung und Deontologisierung streitet, gibt, indem er dies tut, Denkmuster, Werthaltungen und Orientierung für andere vor. Auch soziologische Aufklärer übrigens, die Codebrecher zum Heroen der Postmoderne stilisieren. Ein von Sollen freies Sprechen gibt es eben nicht.

Darüber hinaus ziehen auch Kulturalisten und Relativisten es vor, sich hinter einem Label oder einer Domain (Idee, Theorie, Leitbild) zu verschanzen, der ihrem Stamm oder ihrer Gemeinde Namen, Halt und Adresse gibt. Auf diese Weise kann es passieren, dass jemand zum Neo-Nazi oder Kritischen Kritiker, Wilden Denker oder Borussen, Luhmaniac oder Kittlerianer wird. Dass er sich darüber hinaus der eigenen Individualität versichert, auf lose Kopplung beharrt und sich von der Gemeinde großspurig distanziert, muss beileibe kein Widerspruch sein dazu.

Letztendlich ist alles nur ein großes Spiel

Benjamin Gawlik, Sunburst

Wie das Neben-, Mit- und Gegeneinander dieser unterschiedlicher Tribes funktioniert, ist dagegen nach wie vor umstritten und immer wieder Anlass für heftige und mitunter wütend geführte Auseinandersetzungen unter Gruppen, Gutmenschen und Zynikern. Ob es beim "friedlichen Idyll" oder wenigstens bei "friedlicher Koexistenz" bleibt, wie (Multi)Kulturalisten hoffen; ob es zum weiteren Hochziehen von Mauern, Zäunen und Firewalls kommt, um den Stamm nach außen abzuschotten und das Eigene vor Verunreinigung durch fremdes Gedankengut zu bewahren, wie Fundamentalisten verlangen; oder ob man auf Selbstorganisation, soziale Seilschaften und darwinistisches Wettrüsten setzen soll, mit tödlichem Ausgang für die weniger schnellen oder fitten Tribes, wie die Neoliberalen und Sozialdarwinisten wünschen, ist vorerst noch nicht auszumachen. Für Selbstregulierung optieren im Allgemeinen Systemsoziologen. Dirk Baecker hingegen plädiert sogar für den jederzeitigen und gegenseitigen Eingriff in fremdes Terrain, ohne allerdings anzugeben, ob er das Hacken des systemtheoretischen Codes als Gabe und Geschenk oder als unfriendly fire oder unfriendly take-over empfände. Wieder müssen wir auf die Evolutionsfreude des Systemkonstruktivisten verzichten und uns an dieser Stelle mit Rauschen und Schweigen abfinden.

The Spirit of the Hacker

Diesen Mangel beseitigen will ein Buch, das der finnische Philosoph Pekka Himanen kürzlich zusammen mit Linus Torvalds, dem Cracker des Windows-Virus, und dem Netzwerksoziologen Manuel Castells publiziert hat: The Hacker Ethic. Inhalt und Thema des Buches ist der Versuch, einen "neuen Geist" zu benennen, der sowohl eine Alternative als auch ein Gegengift zum herrschenden "reibungslosen" (Bill Gates), von Egoismus und Profitinteressen zerfressenen "räuberischen Kapitalismus" (Oskar Negt) bilden könnte. Im Gedankengut und in den Verhaltenscodes der Hacker glaubt Himanen ein solches Gegenmodell entdeckt und gefunden zu haben, das den alten "Geist des Kapitalismus" (M. Weber) aushebelt.

"The hacker ethic is a spiritual challenge to our time." Und das nicht bloß, weil der Tugendkatalog der Hacker der globalen Netzgesellschaft am ehesten entspricht; sondern auch, weil die Hackerkultur die proprietären Eigeninteressen, die den Industriekapitalismus und die globale Gesellschaft bislang formen, außer Kraft setzen und den Akteuren "lebendige Arbeit" (K. Marx) und "soziale Werte" (Gemeinsinn, Kreativität, Stolz ...) verspricht.

Überraschend ist, dass auch der Silicon-Philosoph den Codebrecher nicht auf den Computerspezialisten, Softwareentwickler und Programmierer beschränkt wissen will. Auch Himanen weitet das Denken und Tun der Hacker auf alle anderen sozialen Felder, Bereiche und Genres aus. Hacker sind danach keine bloßen Spezialisten oder Experten, die Distanz zu ihrer Arbeit zeigen, sich durch eine skeptische Haltung auszeichnen oder ihr Tun zynisch abfedern wie das durch die Schulen Adornos oder Luhmanns gebildete aufgeklärte falsche Bewusstsein. Sie sind vielmehr Workaholics, die ihren Job voller Hingabe, mit Herz, Begeisterung und Freude ausführen. Hacker malochen Tag und Nacht, 72 Stunden am Stück, rastlos und ohne Blick für Pausen und Arbeitsschluss, wenn es um die Entwicklung oder Vollendung eines Projekts oder einer Idee geht. Im Zentrum steht das Teilen der Früchte dieser Leidenschaft (Informationen, Wissen, Produkte) mit anderen sowie der Enthusiasmus und die Idee, etwas Großes oder Einmaliges mit anderen zusammen zu schaffen.

Nimmt man diese etwas sehr weitläufige Umschreibung einmal for granted, so könnte prinzipiell jeder zum "Hacker" avancieren: Außer dem Designer, Werbefritze und Medienfuzzi also auch der Teamchef, Mantafahrer und Berufsrevolutionär, aber auch der Investmentbanker, Wissenschaftler und Schullehrer. In den Augen des Silicon-Philosophen genügt es, wenn jemand alle Energie und Kraft, die sein Körper hergibt, dem Lösen einer Aufgabe oder eines Problems widmet und durch die Leidenschaft und den Enthusiasmus, die er für Projekt zeigt, andere zum Mitmalochen animiert.

Jammern oder Lamentieren kennen passionate workers grundsätzlich nicht. Ein Recht auf Faulheit zu verlangen, wie einst Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, und das der deutsche Bundeskanzler jüngst inkriminierte, liegt ihnen ebenso fern wie jener klamme Blick auf die soziale Hängematte oder den fürsorglichen Staat, der ihnen bei Verlust des Arbeitsplatzes oder ausbleibenden Sozialleistungen finanziell unter die Arme greift. Anders als Besitzstandswahrer und Anspruchsdenker fragen Hacker nicht zuerst, was andere für sie, sondern genau umgekehrt, was sie für die Gemeinde, das Team, die Firma oder eine Idee tun oder leisten können.

Als die wahren Heroen der New Economy stellen sie sich den geistigen Herausforderungen, die der Spirit of the Information Age und der digitale Kapitalismus für sie angerichtet haben. Nicht Eigeninteressen, die Entwicklung und Steigerung der mentalen und sozialen Kräfte durch die Realisierung einer Idee, eines Guts oder eines Programmcodes steht im Vordergrund. Dadurch möchten Hacker eine geistige Transformation der Gesellschaft und der Kultur, in der sie leben, bewirken. Wo moderne Sklaven: Manager, Buchhalter und Profifußballer das neuzeitliche Versprechen auf Gewinn, Besitz oder Reichtum brauchen, um zur Anstrengung motiviert zu sein, arbeiten Hacker unentgeltlich und strikt für immaterielle Werte: für die Aussicht etwa, Anerkennung von anderen für die vollbrachte kreative Leistung zu bekommen; oder das Gefühl, die Gemeinschaft durch ihren Einsatz vorangebracht zu haben; oder einfach just for fun und entertainment und die Möglichkeit, ein "soziales Leben" (Linus Torvalds) führen zu können.

Rebellieren wir gegen diese Herrschaft der Gedanken

Karl Marx, Deutsche Ideologie

"It's just a game" erklärt Steve Wozniak beispielsweise zum Motto seines Leben; und Benjamin Gawlik, der Chef von Sunburst, kommentierte kürzlich den Crash des Aktienkurses seiner Firma mit ähnlichen Worten.

Ein Grundsatz steht aber über all dem. Und das ist die Forderung nach, der Kampf um den freien Zugang zu Information und Computerwissen. "Information-sharing is a powerful positive good". Silicon Valley hat Himanen mit diesem Denkgebäude schon erreicht. Inzwischen ist das Buch nicht nur in zehn Sprachen übersetzt. Nach einer Bestenliste des San Francisco Chronicle ist es auch zu einem der meistgelesensten Bücher im Silicon Valley aufgerückt.

Connecting creativity

Es gehört wenig Fantasie dazu, Open Source hinter diesem "neuen Geist" zu erkennen. Dass andere ähnlich argumentieren, bewies kürzlich Thomas Malone im Economist: "The Linux community is a model of business organisation that could form the basis for a new kind of economy."

Anders als dem Informatikprofessor des MIT geht es dem Philosophen aber weniger um die technischen oder wirtschaftlichen Vorzüge, die das anti-hierarchische, demokratische und "offene Modell" der modernen Gesellschaft offeriert (Transparenz, offene Protokolle, Stabilität, Eliminierung von Bugs), als um die sozialen und mentalen Revolutionen, die eine kommunitäre Kultur des Gebens und Nehmens für das alte System des Kapitalismus haben könnte.

"The hacker open model can be transformed into a social model - call it the open-resource model - in which someone announces: I have an idea, I can contribute this much to it, please join me!" Das neue Business-Modell soll zum Vehikel für einen kulturellen Umsturz des gegenwärtigen kapitalistischen Systems aufrücken. Das Bewusstsein bestimmt für den Silicon-Philosophen, nicht die Verkehrsverhältnisse oder die Verkehrsform bestimmen das Sein.

Ein Vergleich zwischen klösterlicher und akademischer Kultur verdeutlicht, was der Silicon-Philosoph damit meint. Ein in klösterlicher Abgeschiedenheit positionierter Sender verheimlicht in aller Regel die Quelle seiner Botschaft vor anderen. Zudem verfügt er über den Kanal und gibt durch Übertragung das Ziel vor, nach dem sich der Empfänger (untrusted user) zu richten habe. In der Offenheit einer akademischen Welt herrscht dagegen eine lernende Umgebung vor, sie wird von den Lernenden selbst geschaffen. Wie seinerzeit in Platos Lernfabrik avancieren Schüler zu Sendern, die Probleme stellen, Denklinien entwickeln und Kritik präsentieren. Der Wissenstransfer verläuft reziprok, demokratisch, in Augenhöhe sowie in einer lernenden und dynamischen Umgebung.

O Müssiggang, o Müssiggang!
Du bist die Lebensluft der Unschuld
und der Begeisterung

Friedrich Schlegel, Lucinde
Die Vertreibung aus dem Paradies

Zunächst weiß man nicht so genau, ob man mehr den Idealismus, das Schwarz-Weiß-Denken und den jugendlichen Optimismus des Silicon-Philosophen oder seine Naivität geißeln soll. Forschung unter gewinnorientierten Bedingungen hat nur in den seltensten Fällen mit Reziprozität und Demokratie, Offenheit und Selbstkorrektur zu tun. Und dass Wahrheit sich auf dem Weg des kritischen Dialogs herstellt, glauben heute nicht mal mehr Kritische Theoretiker. Sekten- und Schulenbildungen, Karrieren und Mediatisierungen, Aufmerksamkeitsökonomie und akademische Seilschaften, bürokratische Prozesse und Machtstrukturen, Diskursordnungen und Anbiederungen schreiben immer schon am Wahrheitsfindungsprozess mit.

Sicherlich gibt es in der scientific community mehr file-sharing, Kooperation und Gedankenaustausch als in anderen sozialen Systemen. Doch daraus gleich ein Modell für die globale Gesellschaft zimmern zu wollen, und das in Zeiten, wo Wissenschaftler Unternehmer, Dramaturgen und Selbstdarsteller sind, um Ideen bruchlos in Dollars umsetzen zu können, ist es schon äußerst naiv, ausgerechnet den wissenschaftlichen Prozess oder Platons Akademie als Schulbeispiel für die Offenheit, Transparenz und kreative Vernetzung einer künftigen Gesellschaftsordnung zu nehmen.

Silicon-Kapitalismus ist Religion

An einem Freitag aßen Adam und Eva vom verbotenen "Baum der Erkenntnis"; an einem Freitag starb Jesus Christus am Kreuz; zum "ewigen Freitag" wurde Sisyphos verurteilt. Weshalb er ständig Lasten den Berg hinauf schleppen muss. Spätestens seitdem ist der Freitag zum Symbol für Arbeit und Bestrafung geworden, Mühsal und Plackerei sind die Folge der Vertreibung aus dem Paradies. Erst im Himmel, im Paradies, herrscht Sonntag; erst dort wird Arbeit zum Hobby, kann auf ein "End of Work" (J. Rifkin) gehofft werden. Bis dahin müssen die Menschen aber Höllenqualen leiden, sie sind gezwungen, Buße für das "sündige Fleisch" zu tun und ein Leben ohne Feierabend und Wochenende auf Erden zu führen. "Das Leben ist wie ein Freitag," schreibt Augustinus, der Berühmteste unter den Kirchenväter und Erfinder dieses Glaubenssystems.

Auch wenn Albert Camus später aus Sisyphus einen "glücklichen Menschen" machte, so stellt die protestantische Ethik, die den okzidentalen Kapitalismus befeuerte und ihn nach Max Weber zum Durchbruch verhalf, Himmel und Erde aber auf den Kopf. Viel und ständig zu arbeiten, hat plötzlich mit gottgefälligem Tun zu tun. Den Makel der Verdammnis hat sie verloren. Selbstkontrolle und rastlose Erwerbstätigkeit werden zur sittlichen Aufgabe, der Arbeitsplatz, das Büro und die besondere Aufgabe, zum Ort individueller Pflichterfüllung. Arbeit ist ein Wert an sich. Sie ist nicht nur Dienst und Selbstzweck, sie wird auch zur Berufung und schließlich zum Heilsversprechen.

Wer malocht und ständig sich abmüht, auf Genuss, Konsum und Verschwendung verzichtet, wird später im Himmel dafür entlohnt. Der aufgehäufte Reichtum, der dadurch erzielte Profit sind sichtbarster Ausdruck des Segen Gottes und des eigenen Gnadenstandes. Durch dieses neue Glaubenssystem wird Sisyphus über Nacht zum Held und der Himmel zum Workshop. Die protestantische Ethik avanciert zur gigantischen Entschuldungsmaschine (Kapitalismus ist Kult). Innerweltliche Askese und rationale Lebensführung, die ihr Pendant im Speichern von Geld, Besitz und Reichtum, aber auch in der Rechenhaftigkeit der Haushaltsführung haben, werden zu Mitteln des Ablasshandels und zu Akten der Entsühnung. Bedingungsloser Gehorsam gegenüber Gott, bedingungsloses Sich-Einfügen in die von Gott gewollte Lage, gelten seitdem als Fahrscheine in den Himmel.

Die Hackerethik stellt dieses Arbeitsethos in Frage. Sie will das stahlharte Gehäuse des neuzeitlichen Kapitalismus cracken und eine "neue Art des Kapitalismus" installieren. "It is a new work ethic that challenges the attitude toward work that has held us in its thrall for so long, the Protestant work ethic, as explicated in Max Weber's classic 'The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism.'" Um diesen Anspruch zu erfüllen, muss sich dieser neue Katechismus nur wieder auf die Ethik der Kirchenväter besinnen. Nur: Der Sonntag liegt Hackern aber näher als der Freitag, er ist das Ziel, nicht der Feierabend.

Statt paradiesischem Glück warten Leidenschaft (E. Raymond), Begeisterung und Freude; statt jenseitiger Heilssuche lauert ein spannendes Leben und das Bewältigen interessanter und kreativer Aufgaben auf sie. Codebruch ersetzt die irdische Sinn- und Glückssuche. Für die Linux-Sekte ist Hacken ein Amalgam aus Hobby, ernsthafter Arbeit und Spaß. Himmel und Hölle, Genuss und Plackerei vereinen und versöhnen sich in der Hackerkultur. Es handelt sich hier um eine neue Religion, die hier konstruiert wird. Hackerethik ist die Ideologie der New Economy. Die jenseitige Gratifikation, die in bei den christlichen Sekten an die "Arbeit als Pflicht" geknüpft war, rückt jetzt ins Diesseits. Werden die Früchte der Arbeit auch sofort genutzt, vertrieben und konsumiert, so ist aus Selbstentfremdung weniger Selbstbestimmung als Selbstaufgabe und Selbstausbeutung geworden. 70-Stunden-Woche, Identifikation mit der Firma, Urlaubsverzicht und die Möglichkeit, noch um Mitternacht wegen eines Projekts ins Büro bestellt zu werden, sind dort die Regel. Wo die Firma, das Problem oder das Projekt die Familie ersetzt, die Ecclesia die egoistischen Privatinteressen überschreibt, wird die einstige Verpflichtung zum gottgefälligem Tun in Anpassung und Gehorsam gegenüber den flexiblen Erfordernissen des Silicon-Kapitalismus umgewandelt.

Was das bedeutet, haben Alt 68er schon Anfang der 70er Jahre erfahren, als sie sich in sozialen Initiativen, alternativen Netzwerken und Selbsthilfeprojekten aufzehrten. Außer Spesen nichts gewesen, so die leidvolle Wahrnehmung schon damals. In der Netzethik (Nethic) wiederholt sich das, auch hier werden Selbstverzehr, Selbstausbeutung und "exzessive Selbstverschwendung" zu obersten Werten erhoben. Die Opfer dieser angeblich so neuen und umstürzlerischen Arbeits-, Geld und Netzethik, die den Versprechungen der Netzökonomie glaubten, auf festes Einkommen, geregelten Arbeitstag, gewerkschaftliche Organisation und Kündigungsschutz zugunsten flacher Hierarchien und lockerem Umgangston verzichteten und sich mit "Funny Money" löhnen ließen, können, seitdem die Ideologie der New Economy wie eine Seifenblase geplatzt ist, auf etlichen Pink Slip Partys, die jetzt wie Pilze aus dem Boden schießen, beobachtet werden (Let's Party!).

Statt einer dieser selbstbestimmten Netzsklaven zu sein, mit Aktienoptionen beliefert zu werden und auf meine kreative Selbstausbeutung stolz zu sein, bevorzuge ich denn doch lieber den Kapitalismus alter Prägung. Der ließ mich bislang wenigstens, auch wenn die Politiker des Dritten Weges da handgreiflich werden wollen, mein Recht auf Faulheit ungestört ausüben (Vom Menschenrecht auf Faulheit). Kann es größeren Luxus geben, als über freie Zeit zu verfügen, unerreichbar zu sein, in der Sonne zu liegen und dem lieben Gott den Tag zu stehlen? Diese Vorzüge kannte nicht nur Diogenes von Sinope, auch die deutschen Klassiker hatten davon bereits eine genaue Vorstellung:

Lasst uns faul in allen Sachen,
nur nicht faul zu Lieb' und Wein,
nur nicht faul zur Faulheit sein.

G. E. Lessing

Ich schließe Nick Caves "No more shall we part", das mich während der Abfassung des Artikels begleitet hat, klicke auf Billy Idol und ziehe mir "Rebell Yell" rein. Das tut gut, das haut rein, das ist wahrer Cyberpunk. Pfeif' auf die Hackerethik! Pfeif' auf ein connecting people! Pfeif' auf a wired version of communisme! Trau keinem unter Dreißig! Fuck the Nethic!

The Hacker Ethic: And The Spirit of the Information Age, by Pekka Himanen, Linus Torvalds and Manuel Castells, 232 pp, New York: Random House 2001, 24.95 Dollars.