Die Hälfte der Nachrichten muss "positiv" sein
Die neue Politik beim russischen Radiosender RNS macht erneut deutlich, wie es in Putins Russland um die Meinungs- und Pressefreiheit steht
Bei den Protesten der Oppositionsgruppe "Anderes Russland" in Moskau und St. Petersburg gegen die Putin-Regierung wurden nicht nur Oppositionelle niedergeknüppelt und festgenommen, sondern auch Passanten und Journalisten. Mehrere ZDF-Mitarbeiter wurden vorübergehend festgenommen, der ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik wurde geschlagen. Die Bilder gingen durch die Medien. Nach einem Brief des ARD-Vorsitzenden und des ZDF-Intendanten an Präsident Putin, in dem sie das "Recht auf freie Berichterstattung" einklagten und das rüde Vorgehen der Polizisten gegen Bürger und Medienvertreter kritisierten, lenkte der Kreml ein und entschuldigte sich.
Die Entschuldigung betraf jedoch lediglich das Vorgehen der Polizei gegenüber westlichen Journalisten. Der Kreml hat erkannt, dass das dem sowieso schon sehr angeschlagenen Image und damit auch den Geschäften Russlands schaden könnte. Gegenüber der ARD bedauerte der Sprecher von Präsident Putin, Dimitri Peskov, "was mit den Journalisten der deutschen Fernseh- und Radiogesellschaften passiert ist. Wir sind der Meinung, dass solche Vorfälle unerwünscht und unzulässig sind." Ansonsten erfolgte keine Distanz, das gewaltsame Vorgehen gegen friedlich protestierende Bürger und russischen Journalisten wird damit auch von der russischen Spitze noch einmal nachträglich legitimiert. Am Sonntag wurden erneut einige Bürgerrechtler festgenommen, die in Moskau einen Protestspaziergang wegen der Vorfälle einer Woche zuvor durchgeführt hatten.
Tatsächlich ist das Vorgehen gegen Journalisten nur die Spitze des Eisbergs. Seit Jahren wird die Pressefreiheit Schritt für Schritt reduziert (Schlechte Zeiten für die russischen Medien). Vom Staat kontrollierte oder staatsnahe Konzerne übernehmen Zeitungen, Radio- und Fernsehsender. Praktisch alle überregionalen Medien werden so zwar nicht direkt vom Kreml kontrolliert, aber Meinungs- und Pressefreiheit wird ebenso eingeschränkt wie jede Kritik an Putins "gelenkter Demokratie". Dass nicht nur immer schärfer gegen jede Opposition vorgegangen wird, sondern auch mit roher Gewalt und Willkür gegen Journalisten, zeigt, dass man mit Entschlossenheit die gelenkte Öffentlichkeit anvisiert. Dass Russland für Journalisten eines der gefährlichsten Länder geworden ist und möglicherweise der Staat auch selbst bei einigen Morden an Journalisten die Finger im Spiel haben könnte, belegt die Haltung des "lupenreinen Demokraten" (Schröder).
Nur das Internet bietet noch einige Lücken, die aber wohl vor den anstehenden Wahlen, in denen über die Nachfolge von Putin entschieden wird, sollte er tatsächlich abtreten, ebenfalls geschlossen werden dürften. Der Geheimdienst FSB hat bereits seit Jahren aufgrund des Überwachungsgesetzes SORM ohne Kontrolle durch Richter direkten Zugriff auf die Daten aller Provider (Das Oberste Gericht Russlands schränkt das Lauschgesetz SORM ein). Dass die Kontrolle des Internet, auf dessen Bedeutung man im Kreml erst seit kurzer Zeit mit der Ausbreitung der Nutzung wirklich aufmerksam wurde, enger wird, dürfte sich aus der kürzlich ergangenen Ankündigung erkennen lassen, eine neue Superbehörde einzurichten, die die Massenmedien (Fernsehen, Radio, Zeitungen), das Internet und die Telekommunikation reguliert (Putin schafft Kontrollbehörde für alle Medien).
Wohin der Weg geht, haben jetzt die neuen Leiter des größten russischen Rundfunksender RNS deutlich gemacht, der zur Russischen Mediengruppe. Die beiden Leiter kommen vom staatseigenen Fernsehsender Kanal 1 und wollen jetzt auch den Radiosender auf Linie bringen. 50 Prozent der Nachrichten sollen, so berichtet kommersant, von jetzt an positiv sein. Das wäre vermutlich der Wunsch aller Politiker, die an der Regierung sind. Dass die Nachrichten nur immer das Negative melden, wurde schon oft, nicht nur in Russland, bemängelt.
Mit dem Zwang, die Quote der positiven Nachrichten zu heben, dürfte die Zahl der auch nur vorsichtig regierungskritischen Berichterstattung weiter absinken und gegen Null gehen. Als positiv wird die Opposition nicht eingeschätzt. Sie soll mit wenigen Ausnahmen erst gar nicht in dem zensierten Medium vorkommen.
Nur führende Politiker der Putin-Partei Vereintes Russland, Mitglieder des Parlaments und "offizielle" Menschenrechtsaktivisten wie Wladimir Lukin und Ella Pamfilova können noch behandelt werden, berichtet Kommersant, eine der noch nicht ganz kontrollierten Zeitungen. Oppositionsführer der Bewegung "Anderes Russland" wie Garri Kasporow sollen erst gar nicht namentlich erwähnt werden. Gesprochen werden kann allerdings von "liberalen Radikalen", schließlich wird das brutale Vorgehen gegen die friedlichen Demonstranten eben damit gerechtfertigt, dass sie radikalen Kräften Deckung geboten habe. Und nachdem der Konflikt zwischen den USA und Russland kulminiert, aufgeheizt durch die Iran-Politik und den geplanten Raketenabwehrschirm in der Tschechischen Republik und Polen, sollen die Vereinigten Staaten als feindliche Macht dargestellt werden.
Eigentlich habe sich nichts geändert, sagte der neue Chefredakteur Vsevolod Neroznak, man achte nur mehr auf die Nachrichten. Kasparow könne schon zitiert werden, erklärte er gegenüber Kommersant, "wenn er konstruktive Dinge sagt". Dazu müsste er dann wohl ins Regierungslager überwechseln. Man sei jetzt noch nicht in der Lage, auch der Opposition Sendezeit einzuräumen, ergänzte der neue Generaldirektor Alexander Shkolnik Man werde sich politisch in der Mitte halten und "objektiv" sein. Süffisant bemerkt Kommersant, dass RNS erst spät die Demonstration am Samstag vor einer Woche erwähnt und dann von 200 Radikalen gesprochen hatte, die eine ungenehmigte Aktion ausgeführt hätten. Es seien, so hieß es bei RNS "objektiv" weiter, "keine ernsthaften Vorfälle" berichtet worden.
Unter dem Druck hatte der vorherige Chefredakteur Mikhail Baklanov seinen Posten bei RNS aufgegeben. Angeblich wollen nun viele aus der Redaktion seinem Schritt aus Protest gegen die Gängelung folgen. Die New York Times zitiert einen Redakteur des Rundfunksenders, der nicht namentlich genannt werden, aber deutlich machen wollte, was man unter "positiven" Meldungen versteht:
“Wenn wir beispielsweise über Tod, Gewalt oder Armut sprechen, ist das nicht positiv. Wenn der Aktienmarkt steigt, ist das positiv. Das Wetter kann auch positiv sein.
Aber oft genug muss man sich vielleicht auch schon beim an sich harmlosen Wetterbericht zurückhalten, wenn das Wetter der verlangten Quote an Positivem einen Strich durch die Rechnung macht. Und schon kurz nach der Einführung der Quote hört man erwartbare, noch gar nicht direkt politische Kritik, nämlich dass die Meldungen zu langweilig seien.