Die Hamas als regressive Rechtsradikale und die Eiertänze der Linken
Seite 4: Die extreme Rechte holt sich ihren Persilschein ab
- Die Hamas als regressive Rechtsradikale und die Eiertänze der Linken
- Kurswechsel in Paris: Auf Abstand zu Israel
- Linke tief gespalten
- Die extreme Rechte holt sich ihren Persilschein ab
- Manifeste blinde Flecken
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Am 10. Oktober dieses Jahres erklärte der Abgeordnete der französischen Nationalversammlung Meyer Habib, der – ohne die Parteimitgliedschaft zu besitzen – der konservativen Fraktion LR, Les Républicains, angehört:
Der Rassemblement national ist im republikanischen Lager angekommen.
Habib sitzt für den achten Wahlkreis der Auslandsfranzosen in der Nationalversammlung und vertritt dadurch diejenigen französischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Italien, Malta, Griechenland, in der Türkei und in Israel wohnen.
Die größte Gruppe der dort Wählenden besteht aus französisch-israelischen Doppelstaatsangehörigen, von denen rund 400.000 stimmberechtigt sind. Darüber hinaus ist Meyer Habib ein wichtiges Bindeglied zwischen den französischen bürgerlichen Parteien, vor allem den Konservativen, und der israelischen Rechten.
Er weist gute Verbindungen zu Benjamin Netanjahu auf. Umso wichtiger erscheint seine Erklärung zur Einstufung der Partei.
Dass Meyer Habib sich solcherart über den RN äußert, hängt unmittelbar mit den jüngsten Stellungnahmen der Partei nach den Angriffen der Hamas auf Israel ab dem 07. Oktober zusammen.
Im Gegensatz zur jüngeren Vergangenheit des RN respektive seiner Vorgängerpartei – des Front National (FN), vor der Umbenennung im Frühjahr 2018 – reihte sich die rechtsextreme Partei weitgehend geräuschlos in den Konsens der staatstragenden Parteien zu den am 07. Oktober durch die Hamas verübten Morden an israelischen Zivilisten ein.
1995 etwa hatte der damalige FN sich im Pariser Stadtrat geweigert, einer Resolution zu damaligen Attentaten der Hamas zuzustimmen, unter anderem, weil ausländische Themen grundsätzlich nichts im Stadtparlament zu suchen hätten.
Jedenfalls manche Protagonisten des seinerzeitigen Front National, wie der sich als "Nationalbolschewist" bezeichnende Kader Christian Bouchet in Nantes, bezogen sich positiv sowohl auf das iranische Regime als auch auf die palästinensische Hamas, die er in seiner Weltsicht als nationalrevolutionäre Kräfte wahrnahm.
Diese Position war innerparteilich in der Minderheit, jedoch fester Bestandteil des damaligen Positionsspektrums. Bouchet ist nicht aus der mittlerweile in RN umbenannten Partei ausgetreten, legte jedoch seit 2015 Parteiämter und -funktionen nieder. Er steht heute vor allem dem russischen "eurasischen" Ideologen Alexander Dugin nahe.
In diesem Jahr verurteilte der RN umgehend die Attacken der Hamas und verkündete, ohne erkennbar abweichende Stimmen, seine "Solidarität" mit den Opfern und darüber hinaus mit dem Staat Israel.
Eine solche Positionierung hängt selbstredend auch mit nüchternen strategischen Erfordernissen, weitaus eher denn mit moralischen Erwägungen, zusammen. Auch, nachdem der damalige Vizevorsitzende des RN und jetzige rechtsextreme Bürgermeister von Perpignan, Louis Aliot, im Jahr 2013 die Theorie aufstellte, wonach der einzige "Sperrriegel" (verrou)- also das einzige noch im Weg stehende Hindernis – beim Marsch an die politische Macht eben im Vorwurf des Antisemitismus liege.
Habe man doch zu den Themen "Immigration und Islam" bereits eine weitgehende Akzeptanz der eigenen Thesen erreicht. Kurz und sinngemäß, man könne also gerne vieles an Rassismus rauslassen, sofern man wenigstens bei den Jüdinnen und Juden dichthält.
Eingefleischte und als solche bekannte Antisemiten wie das Leitungsmitglied (seit 2022) Gilles Pennelle sowie der langjährige Druckereibetreiber und Dienstleister der Partei in Sachen Kommunikation, Frédéric Chatillon, gehören dem RN nach wie vor an, doch werden derzeit dazu angehalten, sich zu dem Thema jedenfalls nach außen hin auszuschweigen.
Am Montag, den 09. Oktober, beteiligten sich Abgeordnete des RN demonstrativ an der Solidaritätsdemonstration für Israel in Paris, an der laut offiziellen Angaben rund 16.000 Menschen teilnahmen, mehrheitlich aus den jüdischen Gemeinden, daneben aber auch aus den staatstragenden Parteien.
Die Fraktions- und der Parteivorsitzende, Le Pen und Bardella, blieben dem Ereignis fern, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch mögliche Ablehnung auszulösen. Doch mehrere der 88 Parlamentarier des RN, die der parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Israel angehören – ihre dortige Mitgliedschaft seit dem vorigen Jahr wurde bislang relativ wenig problematisiert, im zeitgenössischen französischen Kontext wirkte die Mitwirkung von RN-Abgeordneten in der Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Algerien da brisanter -, nahmen teil.
Unter ihnen der ostfranzösische Abgeordnete Odoul. Der 38-jährige Julien Odoul bildet eines der oft freundlich lächelnden, relativ jungen Gesichter der Partei. Hinter dem gern aufgesetzten Grinsen verbirgt sich ein veritabler rechter K(…)br(…); Odoul machte sich etwa intern bei einer Besprechung über Suizide wirtschaftlich verzweifelter Landwirte lustig: "War denn der Strick wenigstens französischer Herstellung?"
Vor diesem Hintergrund schafft es der jedenfalls vordergründig weder zerstrittene noch zögerliche RN, sich mit einer scheinbar blütenweißen Weste in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine Situation, die unter dem Parteigründer und früheren -vorsitzenden von 1972 bis 2011, Jean-Marie Le Pen, als allzu bekennenden Antisemiten, den ein Ausspruch über die Gaskammern vom September 1987 endgültig demaskiert hatte, weitgehend undenkbar erschienen wäre.
Auch wenn selbst Jean-Marie Le Pen in den achtziger und Neunzigerjahren mindestens einen jüdischen Mitstreiter, aufwies, den Elsässer, im damals "französischen Algerien" aktiven Kolonialfaschisten und PLO-Hasser namens Robert Hemmerdinger
Sein Persilschein in Sachen Antisemitismus erscheint dem RN damit gesichert. Und dies hat wenig bis nichts mit politischen Inhalten oder Moral zu tun, sondern viel mit Parteiraison und -strategie, der sich auch die innerlich widerstrebenden Mitglieder dann doch unterordnen.
Es dürfte sich unter dem Strich um einen weiteren, wichtigen Meilenstein beim, mehr oder minder geräuschlosen, Marsch des RN in Richtung Macht(beteiligung) handeln.