Die Hamas als regressive Rechtsradikale und die Eiertänze der Linken
Seite 5: Manifeste blinde Flecken
Insgesamt jedoch erscheinen die Vorgänge im so genannten Nahen Osten in Frankreich – trotz aller Polarisierung, moralisch aufgeladener Polemiken und hässlicher Begleiterscheinungen - heute diskutierbarer als in der Bundesrepublik.
Dort wird den von der Staatsräson Abweichenden nicht ihre Position (sei es zu Recht oder zu Unrecht), sondern ein moralischer Defekt vorgeworfen.
So wurde beispielsweise der Inhalt einer jüngsten Brandrede vom Regierungschef der konservativ-faschistischen Koalitionsregierung in Israel, Benjamin Netanjahu, in deutschen Medien – sofern dem Autor bekannt – in keinem Falle akkurat übersetzt.
In Frankreich hingegen in ihrem Sinngehalt auch durch Le Figaro, eine der auflagenstärksten Tageszeitungen im Land, konservativ und pro-israelisch ausgerichtet, durchaus wiedergegeben.
Am 25. Oktober d.J. führte Netanyahu in einer Ansprache unter anderem aus: "Wir sind das Volk des Lichts, sie sind das Volk der Finsternis. Das Licht wird über die Finsternis triumphieren. Wir werden die Prophezeiung von Jesaja verwirklichen."
Die letztgenannte Referenz wurde nicht näher ausgeführt; bei der Lektüre des Bibeltextes liest man in der Prophezeiung Jesajas unter anderem, im Schlussteil (66,15 und 66,16): "Ja, seht, der Herr kommt wie das Feuer heran, / wie der Sturm sind seine Wagen, um in glühendem Zorn Vergeltung zu üben, / und er droht mit feurigen Flammen. Ja, mit Feuer und Schwert hält der Herr Gericht über alle Sterblichen / und viele sind es, die der Herr erschlägt."
Man darf diese Rede mit Fug und Recht für eine Ankündigung von Kriegsverbrechen, gegen die Zivilbevölkerung gerichteter Gewalt, halten. Doch im deutschsprachigen Raum findet sich – sofern man Google Glauben schenken darf – keine wirkliche Wiedergabe ihres Inhalts in den Medien.
Stattdessen wird dort meist der, an und für sich unverfängliche, Satz über den Triumph des Lichts über die Dunkelheit zitiert, ohne dass jedoch die Bezeichnung einer Bevölkerungsgruppe als "Volk der Finsternis" (oder "der Dunkelheit") zitiert würde.
Oder es wird gleich nur die Aussage über den angestrebten Tod von Hamas-Mitgliedern wiedergegeben – die Tötung von Kombattanten stellt als solche kein Kriegsverbrechen dar -, jedoch nicht die über diesen Kreis ideologisch motivierter Aktivisten hinausgehenden Äußerungen betreffend ein "Volk der Finsternis", auch nicht die blutrünstige "Prophezeiung".
Der blinde Fleck in der Realitätswahrnehmung, die bewusste Auslassung ist hier manifest. Aber eben nicht nur hier. Selektive Wahrnehmungsmuster sind, gerade was diesen Konflikt betrifft, weitverbreitet.