Die Hamas als regressive Rechtsradikale und die Eiertänze der Linken

Die Hamas in Bethlehem, 2006. Bild: Soman / CC BY-SA 2.5 Deed

Israel-Gaza-Krieg: In Frankreich kommt mehr zur Sprache. Die Wahrnehmungsmuster beim Nachbarn sind anders, (Teil 2 und Schluss).

In den 1940er-Jahren wurden in Frankreich zunächst die Vorgeschichte der Staatsgründung Israels, und die damit zusammenhängende jüdische Einwanderung nach Palästina – die durch den Zustrom von Überlebenden aus den Konzentrationslagern NS-Deutschlands, aber auch die Aufnahmeverweigerung der USA für die meisten von ihnen anschwoll – vor allem auf dem Hintergrund der Vernichtungspolitik Nazideutschlands wahrgenommen.

Teil 1: Krieg in Gaza: Hochproblematische Entgleisungen in Frankreichs Öffentlichkeit

Rund zwei Jahre nach dem Ende des Nazi-Terrors, im Sommer 1947, brach das Schiff Exodus mit 4.500 Holocaust-Überlebenden an Bord von Südfrankreich in das damalige Palästina auf. Damit begann eine Odyssee, die zunächst ausgerechnet … in Deutschland endete, von wo die Überlebenden kurz zuvor gerettet worden waren. Nämlich im Hamburger Hafen.

All das geschah auf Anordnung der britischen Regierung, die nach dem Ersten Weltkrieg das Völkerbund-Mandat über Palästina übernommen hatte, aus den oben erläuterten Gründen (aufgrund ihrer Bündnispolitik im Nahen und Mittleren Osten) jedoch nun die zuvor favorisierten zionistischen Pläne zu bremsen versuchte und die die Exodus dirigierte. Ihr Vorgehen löste damals Proteste in der ganzen Welt aus.

Zentrales Debattenthema

So auch in Frankreich. Große Solidaritätsdemonstrationen für die Passagiere fanden statt, organisiert von der Französischen kommunistischen Partei (PCF), der damaligen sozialistischen Partei SFIO und dem damals dominierenden Gewerkschaftsdachverband CGT. Die Exodus wurde in Frankreich zum zentralen politischen Debattenthema des Sommers 1947.

Die gesamte französische Linke engagierte sich dafür, dass die jüdischen Emigranten nach Palästina einreisen durften, und demonstrierte u.a. im Hafen von Sète. Diese Ereignisse schilderte der inzwischen pensionierte Le Monde diplomatique-Redakteur Dominique Vidal, selbst Kind von Holocaust-Überlebenden, detailliert in seinem 1987 publizierten Buch "Palestine 1947, un partage avorté".

In der 1949 begründeten Bundesrepublik wurde diese Lesart, die das ein Jahr früher gegründete Israel vor allem, wenn nicht (offiziell) ausschließlich als Ort für Holocaust-Überlebenden wahrnahm – daneben allerdings auch pro-westlichen Bündnispartner –, weitgehend bruchlos beibehalten.

Die deutschen Eliten in den Fünfzigerjahren

Einerseits bildete für die deutschen Eliten, die in den Fünfzigerjahren in der Bundesrepublik eine Restauration ihrer durch die Nazi-Ära kompromittierten Macht durchführten und auch schwer nazi-belastetes Personal in die Ämter zurückbrachten, das außenpolitische Gut-Stellen mit Israel eine Art Eintrittskarte für die Rückkehr ins Konzert der zivilisierten Nationen.

Vertreter des deutschen Staates wie kultureller Eliten durften sich alsbald wieder alles herausnehmen (etwa eifrig Geschäfte mit Apartheid-Südafrika durchführen), solange sie nur kein "Problem mit den Juden" zutage treten ließen, was schnell zu ihrer internationalen Isolierung geführt hätte.

Auf der anderen Seite gab es jedoch hinter den Kulissen, in einer Zeit, als juristische, politische und ökonomische Funktionseliten zahlreiche frühere NSDAP-Mitglieder umfassten (bis hin zum Kommentator der "Nürnberger Rassengesetze", Hans Globke, als Chef im Kanzleramt), starke hinhaltende Widerstände dagegen; erst 1965 nahmen die Bundesrepublik und der Staat Israel offizielle diplomatische Beziehungen zueinander auf.

Die deutsche Staatsräson

Insofern war es verständlich und normal, dass der progressive Teil der Gesellschaft zunächst damit beschäftigt war, den hintergründigen Einfluss der Altnazis und ihre Widerstände zu torpedieren. Später hingegen gerann diese, auf der in der NS-Ära angetragenen Schuld basierende, pro-israelische Haltung zur "Staatsräson", deren Quintessenz ungefähr wie folgt lautet:

Auf internationaler Bühne nie ein böses Wort aus der Bundesrepublik zu Israel und seiner Politik, auf dass wir nie an unsere Vergangenheit erinnert werden.

Wer immer eine davon abweichende Position einnahm – aus welchen Motiven es sei und wie auch immer zu bewerten –, dem oder der wurde nicht eine andere Sichtweise, sondern ein angeblicher (oder aber, bei erwiesenen Antisemiten, tatsächlicher) moralischer Defekt vorgeworfen.

Bis heute blieb es bei dieser Staatsräson der Bundesrepublik, die Angela Merkel als solche bezeichnet hat, die sich aufgrund ihrer moralischen Grundierung scheinbar politischer Diskussion entzieht.

Frankreich: Unbelehrbare Antisemiten stehen Kolonialfanatikern gegenüber

In Frankreich änderte sich dies ab den Fünfzigerjahren, da das Land selbst – ebenso wie der Staat Israel – in der diesen umgebenden geografischen Region in Kriege und Konflikte verwickelt war. Auslöser dafür war insbesondere der Kolonialkrieg in Algerien.

Ab den 1950er-Jahren konnte daraufhin zeitweilig ungefähr die Faustregel gelten: Je weiter rechts einer in der französischen Innenpolitik steht, desto stärker befürwortet er außenpolitisch die Kriegsführung des Staates Israel – deutlich wurde dies anlässlich der britisch-französisch-israelischen Strafexpedition gegen Ägypten, infolge der Nationalisierung des Suez-Kanals, im Oktober 1956.

Zwei Ausnahmen durchbrachen diese scheinbar klare Regel, die dafür sorgten, dass es sich nicht um eine einfache Links-Rechts-Kontinuitätslinie handelte. Erstens war die neofaschistische Rechte, die außerhalb und jenseits der Konservativen stand, innerlich gespalten.

Harte, unbelehrbare Antisemiten standen Kolonialfanatikern, die u.a. aus bündnispolitischen Gründen (etwa gegen Algerien und Ägypten während der Unabhängigkeitskriege) für eine außenpolitische Annäherung an Israel antraten, gegenüber. Manche Protagonisten dieses Lagers waren aber einfach auch beides.

Jean-Marie Le Pen

Der damalige junge Abgeordnete Jean-Marie Le Pen – er gehörte erstmals von 1956 bis 1962 der französischen Nationalversammlung als Parlamentarier an – war bereits als antisemitischer Judenhasser bekannt.

So wurde er etwa in damals geheimen Telegrammen der US-Botschaft in Paris über die französische Innenpolitik, die in den Fünfzigerjahren nach Washington D.C. gesandt und 1996 durch das Wochenmagazin Le Nouvel Observateur publiziert wurden, portraitiert.

Zugleich diente Le Pen während der "Suez-Expedition" im Herbst 1956, obwohl Abgeordneter und deswegen nicht zum Militärdienst verpflichtet, freiwillig als Unteroffizier und beschrieb damals, wie er am Suezkanal von einer Fraternisierung zwischen den französischen und den 15 Kilometer entfernt lagernden israelischen Truppen träumte. Ägypten hätte dabei endgültig überrannt werden sollen, wozu es damals nicht kam.

Beides ging in seinen Augen dadurch zusammen, dass Le Pen zwar gegen das "jüdische Element" in den europäischen Gesellschaften war, jedoch zu der Auffassung kam, die Auswanderung nach Israel könne dieses "Problem" ja lösen.

Er war also Antisemit, jedoch gewiss kein Antizionist, möchte man es auf eine einfache Formel bringen. Andere Rechtsextreme hielten diese Auffassung jedoch für einen Verrat an antisemitischen Grundprinzipien, so die Fanatiker der (alt)faschistischen, 1951 gegründeten und noch heute existierenden Wochenzeitung Rivarol. Letztere Fraktion blieb unterdessen in der Minderheit.

Die zweite Ausnahme kam erst in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre auf: Es handelte sich um die Neupositionierung der regierenden gaullistischen Rechten nach der Niederlage, die Frankreich im Algerienkrieg (1954 bis 1962) und aus Anlass der Entkolonisierung in Nordafrika erhalten hatte.

Kurswechsel in Paris: Auf Abstand zu Israel

In den letzten Amtsjahren von Staatspräsident Charles de Gaulle, vor allem aber unter dessen erstem Amtsnachfolger (1969 bis 74) und Parteifreund Georges Pompidou erfolgte ein Kurswechsel, hin zu einer Annäherung an mehrere arabische Regimes, unter ihnen wurde besonders die damalige irakische Diktatur ab den frühen 1970er-Jahren bevorzugt behandelt.

Frankreich versuchte auf diese Weise, verlorenen Boden im arabischsprachigen Raum zurückzugewinnen. Es ging in dieser Ära auf stärkeren Abstand zum Staat Israel, ohne vollständig das Bündnis mit ihm aufzukündigen.

Entsprechend positionierten sich französische Regierungen bis hin zur Präsidentschaft von Jacques Chirac (1995 bis 2007) eher als "Mittler zwischen Israel und den arabischen Staaten" denn als distanz- und kritiklosen Alliierten der israelischen Regierungen wie die USA.

Dies zeigte sich bei einem Jerusalem-Aufenthalt Chiracs 1996, dessen Besuch im palästinensisch geprägten Ostjerusalem durch die israelische Polizei massiv behindert, durch die Bewohner jedoch bejubelt wurde.

Es waren zwischendurch der "sozialistische" Staatspräsident François Mitterrand (1981 bis 1995) und später dann der postgaullistische konservative Präsident Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012), die wiederum eine Kurskorrektur weg von der gaullistischen Linie und hin zu einer stärkeren (Wieder-)Annäherung an Israel vollzogen. Die Regierungs-Sozialdemokratie galt deswegen zeitweilig auch als stärker pro-israelisch denn die gaullistische Rechte.

Diese Frontlinien sind jedoch heute definitiv überholt. Denn die bürgerliche Rechte in Frankreich hat die gaullistische Bemühung um "Äquidistanz" und um stärkere außenpolitische Spielräume, gestützt auch auf Bündnisse unter arabischen Staaten, heute aufgegeben.

Die konservative Oppositionspartei Les Républicains liegt heute in Frankreich weitgehend auf der Linie der israelischen Regierungsrechten sowie der US-Politik. Aber auch der wirtschaftsliberale Staatspräsident Emmanuel Macron (seit 2017), der durch die Konservativen teilweise unterstützt und teilweise als politischer Konkurrent wahrgenommen wird, ist weit distanzloser gegenüber dem Staat Israel als seine Amtsvorgänger vor Nicolas Sarkozy.

Aufgabe einer eigenständigen Rolle französischer Regierungspolitik

Dies widerspiegelt die generelle Wiedereingliederung Frankreichs in eine übergeordnete Gesamtpolitik des "westlichen" Blocks, gegenüber dem de Gaulle – im Namen "nationalen Interesses" - eine stärkere Autonomie in Anspruch zu nehmen versuchte.

Es widerspiegelt auch den weltpolitischen Bedeutungsverlust Frankreichs, unter anderem auch in Verbindung mit seinem Terrain-Verlust in seinem postkolonialen Einflussraum in Afrika und dem Aufkommen neuer Rivalen (bspw. die Türkei im Mittelmeerbecken).

Infolge von Emmanuel Macrons jüngstem Besuch in Israel sowie Ägypten und Jordanien antworteten 65 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen mit "Nein" auf die Frage, ob Frankreich eine "wichtige Stimme" im Nahostkonflikt wiedererlangen könne, und 67 Prozent beantworteten die Frage negativ, ob Macron dabei eine wichtige Rolle zukommen könne.

Wie aber stellen sich nun die politischen Lager außerhalb des regierenden Blocks dazu, also die politische Linke einerseits, die Rechte und ihr Extrem auf der anderen Seite des Spektrums?

Linke tief gespalten

Gespalten, tief gespalten zeigt sich die politische Linke unterschiedlicher Schattierungen zu den aktuellen Vorgängen im Nahen Osten.

Zu den Ursachen zählt, dass das Prisma, durch welches französische Linke den Israel-Palästina-Konflikt weitgehend wahrnehmen – also das der Kolonialkonflikte, mit dem Algerienkrieg als Matrix – Teil von ihnen dazu führt, Bewegungen wie auch die Hamas primär als zwar ideologisch eher befremdlichen, doch realen Teil einer Art antikolonialer Aufstandsfront wahrzunehmen.

Dabei bestehen doch beträchtliche Unterschiede. Die erste Welle des Widerstands gegen die französische Kolonisierung in Algerien wurde in den 1830er- und 1840er-Jahren durch eine örtliche Führungsfigur unter dem Namen Emir Abdelkader getragen.

Abdelkader konnte sich lange Jahre den französischen Truppen widersetzen. Zwar wurde er in Frankreich als vermeintlicher "Barbar" wahrgenommen, doch in Wirklichkeit zählt der Emir Abdelkader – neben dem Schweizer Rote Kreuz-Begründer Henri Dunant, die Büsten beider Männer sind in Genf im Rote Kreuz-Museum ausgestellt – zu den Begründern und Pionieren des "humanitären Kriegsvölkerrechts".

Abdelkader war unzweifelhaft ein Krieger, ein zeitweilig sehr erfolgreicher sogar, doch lehrte er seinen Truppen beispielweise, dass man Gefangene nicht massakriert – wie die französische Armee in Algerien es oft tat -, sondern human handelt.

Und wenn der antikoloniale Widerstand in Algerien sich (nach 130 Jahren) letztendlich durchsetzen konnte, dann auch, weil er international viele Verbündete finden konnte, bis tief hinein in die französische Gesellschaft.

Dies kann man von der Hamas gegenüber der israelischen Gesellschaft gewiss nicht behaupten (im Unterschied zu Teilen der palästinensischen Linken in den 1970er-Jahren und auch zur historischen PLO, die mit dem 1943 in Lyon geborenen, 2013 in Frankreich verstorbenen Ilan Halevi lange Jahre einen israelischen Juden zu ihren Führungsmitgliedern zählte).

Stellt doch die Ideologie des radikalen politischen Islam, dem die Hamas zugehört, eine gewaltige historische Regression gegenüber der anderer, säkular-nationalistischer oder linker Bewegungen in der Region dar.

Widersetzt sich eine Gesellschaft äußerer Dominanz, kolonialer Besiedlung oder militärischer Eroberung, dann widerstehen ihr eben nicht notwendig nur die progressiven Elemente in der unterworfenen Gesellschaft.

Vielmehr können linke Elemente (die ihren Widerstand als Teil eines globalen Emanzipationskampfs betrachten können), konservative Elemente – die eher für die Bewahrung einer "kulturellen Eigenart" gegenüber der dominierenden Gesellschaft denn für allgemeine Emanzipation eintreten, wie etwa die sunnitisch-islamischen Ulema im Algerien der 1950er-Jahre – und rechtsextreme Elemente gleichermaßen in Bewegung treten.

Die Hamas und der Widerstand

Die Hamas zählt jedoch, auch wenn sie nicht vollkommen homogen zusammengesetzt ist, von ihrem ideologischen harten Kern her klar zur rechtsextremen Variante von Widerstand gegen eine Besatzungsmacht.

Dieser Form von Widerstand gegen eine äußere Dominanz geht es nicht um allgemeine Emanzipation, sondern um die Verteidigung einer bedrohten, beleidigten, angegriffenen "Identität", um das sogenannte Eigene gegen das Andere. Das sind Unterschiede, die man nicht ausblenden kann.

Entsprechend interpretiert die Hamas, wie in ihren frühen Texten (ihrer berüchtigten "Charta" von 1988, die in ihrer Variante von 2017 entschärft wurde) deutlich wurde, die Auseinandersetzung mit dem Okkupanten Israel als vermeintlichen Teil eines langwährenden Kampfs zwischen Muslimen und Juden, und eben nicht als eine Frage internationalen Rechts, von Besatzern und Besetzten.

Deswegen auch konnte die Hamas zum wiederholt objektiv durch die israelische Rechte geförderten und dann wieder bekämpften "Lieblingsfeind" werden.

Bietet dieser ausgewählte Feind, doch die Garantie dafür, dass man mit ihm nicht über Rechtsfragen und Entkolonisierung streiten muss, sondern einen endlosen Kampf über die vermeintlich überlegene Religion führen kann – in dem die Hamas dem israelischen Staatsapparat freilich auf Dauer strukturell unterlegen bleibt. Irgendeinen Ausweg bietet die reaktionäre Illusion der Hamas also offenkundig keinen.

Als irgendwie legitimen "Widerstand", unter teilweiser oder gänzlichem Absehens von ihrer Funktionsweise und Ideologie, betrachten vor diesem Hintergrund Teile der französischen Linken – verschämt oder nicht – die Hamas, was sich vor dem Hintergrund der geschilderten Optik erschließt, jedoch problematisiert werden darf.

Herumgedruckse

So druckste die Abgeordnete der linken Wahlplattform La France insoumise (LFI) Danièle Obono bei einem Interview, in dem der rhetorisch weit überlegene Radio- und Fernseh-Profijournalist Jean-Jacques Bourdin sie schwer in die Ecke drängte, um die Frage herum, ob sie Hamas als "Widerstand" bezeichnete.

Einerseits bejahte sie die Frage, andererseits charakterisierte sie Hamas auch kurz ideologisch ("islamistisch"), um letztendlich Bourdins insistierende Frage nach dem Widerstandscharakter – bereits in die Defensive gedrängt – zu bejahen.

Was in einem rein deskriptiven Sinne stimmt, da das arabische Buchstabenkürzel der Hamas (HMS) als Akronym für harakat al-muqawama al-islamiya, also "Bewegung des islamischen Widerstands" steht; aber nicht in einem normativen, wertenden Sinne.

Denn wertet man, dann ist "Widerstand" ein positiv besetzter Begriff und suggeriert Elemente wie den Einsatz für das Recht des Schwächeren gegen den Stärkeren, Mut und letztlich das Streben nach Emanzipation.

Nach allgemeiner Emanzipation strebt Hamas jedoch nicht, denkt man an das Regime, das sie errichten würde, wenn sie könnte.

Der Eiertanz Obonos in dem Interview rechtfertig gewiss nicht die demagogische Strafanzeige wegen "Terror-Unterstützung", die Innenminister Gérald Darmanin – auch dies ein gefährlicher Präzedenzfall – deswegen gegen die linke Parlamentarierin einreichte.

Es zeigt aber die politischen Bestimmungsschwierigkeiten von Teilen der Linken, die man auch in anderen Strömungen der vielschichtigen Linken wiedertrifft.

Hierher gehört auch die absolut unverantwortliche erste (später korrigierte) Stellungnahme der "Neuen Antikapitalistischen Partei"/NPA, die am 07. Oktober zunächst "den palästinensischen Widerstand" begrüßte, bevor sie sich erst in den darauffolgenden Tagen der wahren Natur der an jenem Tag begangenen Taten bewusst wurde.

Verweigerung der Vokabel "terroristisch"

Auf Führungsebene zeigte sich selbst die Leitung der größeren linken Wahlplattform LFI in ihrem Kurs und in ihren Äußerungen unsicher. So beklagte sie wiederholt ausdrücklich zivile Opfer auf beiden Seiten und erklärte sich mit der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung solidarisch, verweigerte jedoch eine Einstufung der Hamas als "terroristisch" – woraufhin ihren Vertretern noch in jedem Interview das Stöckchen dafür hingehalten, und die betreffende Frage in inquisitorischem Tonfall abgefragt wurde.

Dass die LFI-Führung sich weigerte, den Begriff "terroristisch" in herrschender Diktion zu benutzen, mag verständlich sein: Auch etwa die türkische Staatsmacht benutzt diese Totschlags-Vokabel gegen die PKK (deren Ziele und Methoden anders zu bewerten sind als jene der Hamas), und selbst das französische Innenministerium faselt anlässlich von umweltpolitischen Aktionen verantwortungslos von angeblichem "Öko-Terrorismus" herum.

Dass man vor solchem Hintergrund das Wort nicht in den Mund nehmen möchte, ist also verständlich. Nur kommt man dann nicht umhin, sich mit völliger inhaltlicher Klarheit auszudrücken; man kann es sich nur leisten, dann aus dem Chor der herrschenden Stimmen auszuscheren, wenn man an keinerlei Unklarheiten (vgl. oben) herumdruckst. Sonst wird das Auftreten zur Öffentlichkeit zum Desaster.

Ähnliches scheint LFI jedoch nun in den letzten Wochen widerfahren zu sein. In Teilen der Öffentlichkeit ist sie entsprechend stigmatisiert. Einem ihren Abgeordneten wurden beim Aussteigen aus einem Zug Schläge angedroht – als angeblichem Hamasfreund, welcher er bestimmt nicht ist -, andere erhielten anonyme Morddrohungen.

Vor allem aber verschaffte das unscharfe Auftreten der Linken ihren politischen Erzfeinden auf der extremen Rechten eine wundervolle Gelegenheit zur, für selbige günstigen, Profilierung.

Die extreme Rechte holt sich ihren Persilschein ab

Am 10. Oktober dieses Jahres erklärte der Abgeordnete der französischen Nationalversammlung Meyer Habib, der – ohne die Parteimitgliedschaft zu besitzen – der konservativen Fraktion LR, Les Républicains, angehört:

Der Rassemblement national ist im republikanischen Lager angekommen.

Habib sitzt für den achten Wahlkreis der Auslandsfranzosen in der Nationalversammlung und vertritt dadurch diejenigen französischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Italien, Malta, Griechenland, in der Türkei und in Israel wohnen.

Die größte Gruppe der dort Wählenden besteht aus französisch-israelischen Doppelstaatsangehörigen, von denen rund 400.000 stimmberechtigt sind. Darüber hinaus ist Meyer Habib ein wichtiges Bindeglied zwischen den französischen bürgerlichen Parteien, vor allem den Konservativen, und der israelischen Rechten.

Er weist gute Verbindungen zu Benjamin Netanjahu auf. Umso wichtiger erscheint seine Erklärung zur Einstufung der Partei.

Dass Meyer Habib sich solcherart über den RN äußert, hängt unmittelbar mit den jüngsten Stellungnahmen der Partei nach den Angriffen der Hamas auf Israel ab dem 07. Oktober zusammen.

Im Gegensatz zur jüngeren Vergangenheit des RN respektive seiner Vorgängerpartei – des Front National (FN), vor der Umbenennung im Frühjahr 2018 – reihte sich die rechtsextreme Partei weitgehend geräuschlos in den Konsens der staatstragenden Parteien zu den am 07. Oktober durch die Hamas verübten Morden an israelischen Zivilisten ein.

1995 etwa hatte der damalige FN sich im Pariser Stadtrat geweigert, einer Resolution zu damaligen Attentaten der Hamas zuzustimmen, unter anderem, weil ausländische Themen grundsätzlich nichts im Stadtparlament zu suchen hätten.

Jedenfalls manche Protagonisten des seinerzeitigen Front National, wie der sich als "Nationalbolschewist" bezeichnende Kader Christian Bouchet in Nantes, bezogen sich positiv sowohl auf das iranische Regime als auch auf die palästinensische Hamas, die er in seiner Weltsicht als nationalrevolutionäre Kräfte wahrnahm.

Diese Position war innerparteilich in der Minderheit, jedoch fester Bestandteil des damaligen Positionsspektrums. Bouchet ist nicht aus der mittlerweile in RN umbenannten Partei ausgetreten, legte jedoch seit 2015 Parteiämter und -funktionen nieder. Er steht heute vor allem dem russischen "eurasischen" Ideologen Alexander Dugin nahe.

In diesem Jahr verurteilte der RN umgehend die Attacken der Hamas und verkündete, ohne erkennbar abweichende Stimmen, seine "Solidarität" mit den Opfern und darüber hinaus mit dem Staat Israel.

Eine solche Positionierung hängt selbstredend auch mit nüchternen strategischen Erfordernissen, weitaus eher denn mit moralischen Erwägungen, zusammen. Auch, nachdem der damalige Vizevorsitzende des RN und jetzige rechtsextreme Bürgermeister von Perpignan, Louis Aliot, im Jahr 2013 die Theorie aufstellte, wonach der einzige "Sperrriegel" (verrou)- also das einzige noch im Weg stehende Hindernis – beim Marsch an die politische Macht eben im Vorwurf des Antisemitismus liege.

Habe man doch zu den Themen "Immigration und Islam" bereits eine weitgehende Akzeptanz der eigenen Thesen erreicht. Kurz und sinngemäß, man könne also gerne vieles an Rassismus rauslassen, sofern man wenigstens bei den Jüdinnen und Juden dichthält.

Eingefleischte und als solche bekannte Antisemiten wie das Leitungsmitglied (seit 2022) Gilles Pennelle sowie der langjährige Druckereibetreiber und Dienstleister der Partei in Sachen Kommunikation, Frédéric Chatillon, gehören dem RN nach wie vor an, doch werden derzeit dazu angehalten, sich zu dem Thema jedenfalls nach außen hin auszuschweigen.

Am Montag, den 09. Oktober, beteiligten sich Abgeordnete des RN demonstrativ an der Solidaritätsdemonstration für Israel in Paris, an der laut offiziellen Angaben rund 16.000 Menschen teilnahmen, mehrheitlich aus den jüdischen Gemeinden, daneben aber auch aus den staatstragenden Parteien.

Die Fraktions- und der Parteivorsitzende, Le Pen und Bardella, blieben dem Ereignis fern, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch mögliche Ablehnung auszulösen. Doch mehrere der 88 Parlamentarier des RN, die der parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Israel angehören – ihre dortige Mitgliedschaft seit dem vorigen Jahr wurde bislang relativ wenig problematisiert, im zeitgenössischen französischen Kontext wirkte die Mitwirkung von RN-Abgeordneten in der Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Algerien da brisanter -, nahmen teil.

Unter ihnen der ostfranzösische Abgeordnete Odoul. Der 38-jährige Julien Odoul bildet eines der oft freundlich lächelnden, relativ jungen Gesichter der Partei. Hinter dem gern aufgesetzten Grinsen verbirgt sich ein veritabler rechter K(…)br(…); Odoul machte sich etwa intern bei einer Besprechung über Suizide wirtschaftlich verzweifelter Landwirte lustig: "War denn der Strick wenigstens französischer Herstellung?"

Vor diesem Hintergrund schafft es der jedenfalls vordergründig weder zerstrittene noch zögerliche RN, sich mit einer scheinbar blütenweißen Weste in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine Situation, die unter dem Parteigründer und früheren -vorsitzenden von 1972 bis 2011, Jean-Marie Le Pen, als allzu bekennenden Antisemiten, den ein Ausspruch über die Gaskammern vom September 1987 endgültig demaskiert hatte, weitgehend undenkbar erschienen wäre.

Auch wenn selbst Jean-Marie Le Pen in den achtziger und Neunzigerjahren mindestens einen jüdischen Mitstreiter, aufwies, den Elsässer, im damals "französischen Algerien" aktiven Kolonialfaschisten und PLO-Hasser namens Robert Hemmerdinger

Sein Persilschein in Sachen Antisemitismus erscheint dem RN damit gesichert. Und dies hat wenig bis nichts mit politischen Inhalten oder Moral zu tun, sondern viel mit Parteiraison und -strategie, der sich auch die innerlich widerstrebenden Mitglieder dann doch unterordnen.

Es dürfte sich unter dem Strich um einen weiteren, wichtigen Meilenstein beim, mehr oder minder geräuschlosen, Marsch des RN in Richtung Macht(beteiligung) handeln.

Manifeste blinde Flecken

Insgesamt jedoch erscheinen die Vorgänge im so genannten Nahen Osten in Frankreich – trotz aller Polarisierung, moralisch aufgeladener Polemiken und hässlicher Begleiterscheinungen - heute diskutierbarer als in der Bundesrepublik.

Dort wird den von der Staatsräson Abweichenden nicht ihre Position (sei es zu Recht oder zu Unrecht), sondern ein moralischer Defekt vorgeworfen.

So wurde beispielsweise der Inhalt einer jüngsten Brandrede vom Regierungschef der konservativ-faschistischen Koalitionsregierung in Israel, Benjamin Netanjahu, in deutschen Medien – sofern dem Autor bekannt – in keinem Falle akkurat übersetzt.

In Frankreich hingegen in ihrem Sinngehalt auch durch Le Figaro, eine der auflagenstärksten Tageszeitungen im Land, konservativ und pro-israelisch ausgerichtet, durchaus wiedergegeben.

Am 25. Oktober d.J. führte Netanyahu in einer Ansprache unter anderem aus: "Wir sind das Volk des Lichts, sie sind das Volk der Finsternis. Das Licht wird über die Finsternis triumphieren. Wir werden die Prophezeiung von Jesaja verwirklichen."

Die letztgenannte Referenz wurde nicht näher ausgeführt; bei der Lektüre des Bibeltextes liest man in der Prophezeiung Jesajas unter anderem, im Schlussteil (66,15 und 66,16): "Ja, seht, der Herr kommt wie das Feuer heran, / wie der Sturm sind seine Wagen, um in glühendem Zorn Vergeltung zu üben, / und er droht mit feurigen Flammen. Ja, mit Feuer und Schwert hält der Herr Gericht über alle Sterblichen / und viele sind es, die der Herr erschlägt."

Man darf diese Rede mit Fug und Recht für eine Ankündigung von Kriegsverbrechen, gegen die Zivilbevölkerung gerichteter Gewalt, halten. Doch im deutschsprachigen Raum findet sich – sofern man Google Glauben schenken darf – keine wirkliche Wiedergabe ihres Inhalts in den Medien.

Stattdessen wird dort meist der, an und für sich unverfängliche, Satz über den Triumph des Lichts über die Dunkelheit zitiert, ohne dass jedoch die Bezeichnung einer Bevölkerungsgruppe als "Volk der Finsternis" (oder "der Dunkelheit") zitiert würde.

Oder es wird gleich nur die Aussage über den angestrebten Tod von Hamas-Mitgliedern wiedergegeben – die Tötung von Kombattanten stellt als solche kein Kriegsverbrechen dar -, jedoch nicht die über diesen Kreis ideologisch motivierter Aktivisten hinausgehenden Äußerungen betreffend ein "Volk der Finsternis", auch nicht die blutrünstige "Prophezeiung".

Der blinde Fleck in der Realitätswahrnehmung, die bewusste Auslassung ist hier manifest. Aber eben nicht nur hier. Selektive Wahrnehmungsmuster sind, gerade was diesen Konflikt betrifft, weitverbreitet.