Die Hamas als regressive Rechtsradikale und die Eiertänze der Linken

Seite 3: Linke tief gespalten

Gespalten, tief gespalten zeigt sich die politische Linke unterschiedlicher Schattierungen zu den aktuellen Vorgängen im Nahen Osten.

Zu den Ursachen zählt, dass das Prisma, durch welches französische Linke den Israel-Palästina-Konflikt weitgehend wahrnehmen – also das der Kolonialkonflikte, mit dem Algerienkrieg als Matrix – Teil von ihnen dazu führt, Bewegungen wie auch die Hamas primär als zwar ideologisch eher befremdlichen, doch realen Teil einer Art antikolonialer Aufstandsfront wahrzunehmen.

Dabei bestehen doch beträchtliche Unterschiede. Die erste Welle des Widerstands gegen die französische Kolonisierung in Algerien wurde in den 1830er- und 1840er-Jahren durch eine örtliche Führungsfigur unter dem Namen Emir Abdelkader getragen.

Abdelkader konnte sich lange Jahre den französischen Truppen widersetzen. Zwar wurde er in Frankreich als vermeintlicher "Barbar" wahrgenommen, doch in Wirklichkeit zählt der Emir Abdelkader – neben dem Schweizer Rote Kreuz-Begründer Henri Dunant, die Büsten beider Männer sind in Genf im Rote Kreuz-Museum ausgestellt – zu den Begründern und Pionieren des "humanitären Kriegsvölkerrechts".

Abdelkader war unzweifelhaft ein Krieger, ein zeitweilig sehr erfolgreicher sogar, doch lehrte er seinen Truppen beispielweise, dass man Gefangene nicht massakriert – wie die französische Armee in Algerien es oft tat -, sondern human handelt.

Und wenn der antikoloniale Widerstand in Algerien sich (nach 130 Jahren) letztendlich durchsetzen konnte, dann auch, weil er international viele Verbündete finden konnte, bis tief hinein in die französische Gesellschaft.

Dies kann man von der Hamas gegenüber der israelischen Gesellschaft gewiss nicht behaupten (im Unterschied zu Teilen der palästinensischen Linken in den 1970er-Jahren und auch zur historischen PLO, die mit dem 1943 in Lyon geborenen, 2013 in Frankreich verstorbenen Ilan Halevi lange Jahre einen israelischen Juden zu ihren Führungsmitgliedern zählte).

Stellt doch die Ideologie des radikalen politischen Islam, dem die Hamas zugehört, eine gewaltige historische Regression gegenüber der anderer, säkular-nationalistischer oder linker Bewegungen in der Region dar.

Widersetzt sich eine Gesellschaft äußerer Dominanz, kolonialer Besiedlung oder militärischer Eroberung, dann widerstehen ihr eben nicht notwendig nur die progressiven Elemente in der unterworfenen Gesellschaft.

Vielmehr können linke Elemente (die ihren Widerstand als Teil eines globalen Emanzipationskampfs betrachten können), konservative Elemente – die eher für die Bewahrung einer "kulturellen Eigenart" gegenüber der dominierenden Gesellschaft denn für allgemeine Emanzipation eintreten, wie etwa die sunnitisch-islamischen Ulema im Algerien der 1950er-Jahre – und rechtsextreme Elemente gleichermaßen in Bewegung treten.

Die Hamas und der Widerstand

Die Hamas zählt jedoch, auch wenn sie nicht vollkommen homogen zusammengesetzt ist, von ihrem ideologischen harten Kern her klar zur rechtsextremen Variante von Widerstand gegen eine Besatzungsmacht.

Dieser Form von Widerstand gegen eine äußere Dominanz geht es nicht um allgemeine Emanzipation, sondern um die Verteidigung einer bedrohten, beleidigten, angegriffenen "Identität", um das sogenannte Eigene gegen das Andere. Das sind Unterschiede, die man nicht ausblenden kann.

Entsprechend interpretiert die Hamas, wie in ihren frühen Texten (ihrer berüchtigten "Charta" von 1988, die in ihrer Variante von 2017 entschärft wurde) deutlich wurde, die Auseinandersetzung mit dem Okkupanten Israel als vermeintlichen Teil eines langwährenden Kampfs zwischen Muslimen und Juden, und eben nicht als eine Frage internationalen Rechts, von Besatzern und Besetzten.

Deswegen auch konnte die Hamas zum wiederholt objektiv durch die israelische Rechte geförderten und dann wieder bekämpften "Lieblingsfeind" werden.

Bietet dieser ausgewählte Feind, doch die Garantie dafür, dass man mit ihm nicht über Rechtsfragen und Entkolonisierung streiten muss, sondern einen endlosen Kampf über die vermeintlich überlegene Religion führen kann – in dem die Hamas dem israelischen Staatsapparat freilich auf Dauer strukturell unterlegen bleibt. Irgendeinen Ausweg bietet die reaktionäre Illusion der Hamas also offenkundig keinen.

Als irgendwie legitimen "Widerstand", unter teilweiser oder gänzlichem Absehens von ihrer Funktionsweise und Ideologie, betrachten vor diesem Hintergrund Teile der französischen Linken – verschämt oder nicht – die Hamas, was sich vor dem Hintergrund der geschilderten Optik erschließt, jedoch problematisiert werden darf.

Herumgedruckse

So druckste die Abgeordnete der linken Wahlplattform La France insoumise (LFI) Danièle Obono bei einem Interview, in dem der rhetorisch weit überlegene Radio- und Fernseh-Profijournalist Jean-Jacques Bourdin sie schwer in die Ecke drängte, um die Frage herum, ob sie Hamas als "Widerstand" bezeichnete.

Einerseits bejahte sie die Frage, andererseits charakterisierte sie Hamas auch kurz ideologisch ("islamistisch"), um letztendlich Bourdins insistierende Frage nach dem Widerstandscharakter – bereits in die Defensive gedrängt – zu bejahen.

Was in einem rein deskriptiven Sinne stimmt, da das arabische Buchstabenkürzel der Hamas (HMS) als Akronym für harakat al-muqawama al-islamiya, also "Bewegung des islamischen Widerstands" steht; aber nicht in einem normativen, wertenden Sinne.

Denn wertet man, dann ist "Widerstand" ein positiv besetzter Begriff und suggeriert Elemente wie den Einsatz für das Recht des Schwächeren gegen den Stärkeren, Mut und letztlich das Streben nach Emanzipation.

Nach allgemeiner Emanzipation strebt Hamas jedoch nicht, denkt man an das Regime, das sie errichten würde, wenn sie könnte.

Der Eiertanz Obonos in dem Interview rechtfertig gewiss nicht die demagogische Strafanzeige wegen "Terror-Unterstützung", die Innenminister Gérald Darmanin – auch dies ein gefährlicher Präzedenzfall – deswegen gegen die linke Parlamentarierin einreichte.

Es zeigt aber die politischen Bestimmungsschwierigkeiten von Teilen der Linken, die man auch in anderen Strömungen der vielschichtigen Linken wiedertrifft.

Hierher gehört auch die absolut unverantwortliche erste (später korrigierte) Stellungnahme der "Neuen Antikapitalistischen Partei"/NPA, die am 07. Oktober zunächst "den palästinensischen Widerstand" begrüßte, bevor sie sich erst in den darauffolgenden Tagen der wahren Natur der an jenem Tag begangenen Taten bewusst wurde.

Verweigerung der Vokabel "terroristisch"

Auf Führungsebene zeigte sich selbst die Leitung der größeren linken Wahlplattform LFI in ihrem Kurs und in ihren Äußerungen unsicher. So beklagte sie wiederholt ausdrücklich zivile Opfer auf beiden Seiten und erklärte sich mit der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung solidarisch, verweigerte jedoch eine Einstufung der Hamas als "terroristisch" – woraufhin ihren Vertretern noch in jedem Interview das Stöckchen dafür hingehalten, und die betreffende Frage in inquisitorischem Tonfall abgefragt wurde.

Dass die LFI-Führung sich weigerte, den Begriff "terroristisch" in herrschender Diktion zu benutzen, mag verständlich sein: Auch etwa die türkische Staatsmacht benutzt diese Totschlags-Vokabel gegen die PKK (deren Ziele und Methoden anders zu bewerten sind als jene der Hamas), und selbst das französische Innenministerium faselt anlässlich von umweltpolitischen Aktionen verantwortungslos von angeblichem "Öko-Terrorismus" herum.

Dass man vor solchem Hintergrund das Wort nicht in den Mund nehmen möchte, ist also verständlich. Nur kommt man dann nicht umhin, sich mit völliger inhaltlicher Klarheit auszudrücken; man kann es sich nur leisten, dann aus dem Chor der herrschenden Stimmen auszuscheren, wenn man an keinerlei Unklarheiten (vgl. oben) herumdruckst. Sonst wird das Auftreten zur Öffentlichkeit zum Desaster.

Ähnliches scheint LFI jedoch nun in den letzten Wochen widerfahren zu sein. In Teilen der Öffentlichkeit ist sie entsprechend stigmatisiert. Einem ihren Abgeordneten wurden beim Aussteigen aus einem Zug Schläge angedroht – als angeblichem Hamasfreund, welcher er bestimmt nicht ist -, andere erhielten anonyme Morddrohungen.

Vor allem aber verschaffte das unscharfe Auftreten der Linken ihren politischen Erzfeinden auf der extremen Rechten eine wundervolle Gelegenheit zur, für selbige günstigen, Profilierung.