Die Hamas als regressive Rechtsradikale und die Eiertänze der Linken

Die Hamas in Bethlehem, 2006. Bild: Soman / CC BY-SA 2.5 Deed

Israel-Gaza-Krieg: In Frankreich kommt mehr zur Sprache. Die Wahrnehmungsmuster beim Nachbarn sind anders, (Teil 2 und Schluss).

In den 1940er-Jahren wurden in Frankreich zunächst die Vorgeschichte der Staatsgründung Israels, und die damit zusammenhängende jüdische Einwanderung nach Palästina – die durch den Zustrom von Überlebenden aus den Konzentrationslagern NS-Deutschlands, aber auch die Aufnahmeverweigerung der USA für die meisten von ihnen anschwoll – vor allem auf dem Hintergrund der Vernichtungspolitik Nazideutschlands wahrgenommen.

Teil 1: Krieg in Gaza: Hochproblematische Entgleisungen in Frankreichs Öffentlichkeit

Rund zwei Jahre nach dem Ende des Nazi-Terrors, im Sommer 1947, brach das Schiff Exodus mit 4.500 Holocaust-Überlebenden an Bord von Südfrankreich in das damalige Palästina auf. Damit begann eine Odyssee, die zunächst ausgerechnet … in Deutschland endete, von wo die Überlebenden kurz zuvor gerettet worden waren. Nämlich im Hamburger Hafen.

All das geschah auf Anordnung der britischen Regierung, die nach dem Ersten Weltkrieg das Völkerbund-Mandat über Palästina übernommen hatte, aus den oben erläuterten Gründen (aufgrund ihrer Bündnispolitik im Nahen und Mittleren Osten) jedoch nun die zuvor favorisierten zionistischen Pläne zu bremsen versuchte und die die Exodus dirigierte. Ihr Vorgehen löste damals Proteste in der ganzen Welt aus.

Zentrales Debattenthema

So auch in Frankreich. Große Solidaritätsdemonstrationen für die Passagiere fanden statt, organisiert von der Französischen kommunistischen Partei (PCF), der damaligen sozialistischen Partei SFIO und dem damals dominierenden Gewerkschaftsdachverband CGT. Die Exodus wurde in Frankreich zum zentralen politischen Debattenthema des Sommers 1947.

Die gesamte französische Linke engagierte sich dafür, dass die jüdischen Emigranten nach Palästina einreisen durften, und demonstrierte u.a. im Hafen von Sète. Diese Ereignisse schilderte der inzwischen pensionierte Le Monde diplomatique-Redakteur Dominique Vidal, selbst Kind von Holocaust-Überlebenden, detailliert in seinem 1987 publizierten Buch "Palestine 1947, un partage avorté".

In der 1949 begründeten Bundesrepublik wurde diese Lesart, die das ein Jahr früher gegründete Israel vor allem, wenn nicht (offiziell) ausschließlich als Ort für Holocaust-Überlebenden wahrnahm – daneben allerdings auch pro-westlichen Bündnispartner –, weitgehend bruchlos beibehalten.

Die deutschen Eliten in den Fünfzigerjahren

Einerseits bildete für die deutschen Eliten, die in den Fünfzigerjahren in der Bundesrepublik eine Restauration ihrer durch die Nazi-Ära kompromittierten Macht durchführten und auch schwer nazi-belastetes Personal in die Ämter zurückbrachten, das außenpolitische Gut-Stellen mit Israel eine Art Eintrittskarte für die Rückkehr ins Konzert der zivilisierten Nationen.

Vertreter des deutschen Staates wie kultureller Eliten durften sich alsbald wieder alles herausnehmen (etwa eifrig Geschäfte mit Apartheid-Südafrika durchführen), solange sie nur kein "Problem mit den Juden" zutage treten ließen, was schnell zu ihrer internationalen Isolierung geführt hätte.

Auf der anderen Seite gab es jedoch hinter den Kulissen, in einer Zeit, als juristische, politische und ökonomische Funktionseliten zahlreiche frühere NSDAP-Mitglieder umfassten (bis hin zum Kommentator der "Nürnberger Rassengesetze", Hans Globke, als Chef im Kanzleramt), starke hinhaltende Widerstände dagegen; erst 1965 nahmen die Bundesrepublik und der Staat Israel offizielle diplomatische Beziehungen zueinander auf.

Die deutsche Staatsräson

Insofern war es verständlich und normal, dass der progressive Teil der Gesellschaft zunächst damit beschäftigt war, den hintergründigen Einfluss der Altnazis und ihre Widerstände zu torpedieren. Später hingegen gerann diese, auf der in der NS-Ära angetragenen Schuld basierende, pro-israelische Haltung zur "Staatsräson", deren Quintessenz ungefähr wie folgt lautet:

Auf internationaler Bühne nie ein böses Wort aus der Bundesrepublik zu Israel und seiner Politik, auf dass wir nie an unsere Vergangenheit erinnert werden.

Wer immer eine davon abweichende Position einnahm – aus welchen Motiven es sei und wie auch immer zu bewerten –, dem oder der wurde nicht eine andere Sichtweise, sondern ein angeblicher (oder aber, bei erwiesenen Antisemiten, tatsächlicher) moralischer Defekt vorgeworfen.

Bis heute blieb es bei dieser Staatsräson der Bundesrepublik, die Angela Merkel als solche bezeichnet hat, die sich aufgrund ihrer moralischen Grundierung scheinbar politischer Diskussion entzieht.

Frankreich: Unbelehrbare Antisemiten stehen Kolonialfanatikern gegenüber

In Frankreich änderte sich dies ab den Fünfzigerjahren, da das Land selbst – ebenso wie der Staat Israel – in der diesen umgebenden geografischen Region in Kriege und Konflikte verwickelt war. Auslöser dafür war insbesondere der Kolonialkrieg in Algerien.

Ab den 1950er-Jahren konnte daraufhin zeitweilig ungefähr die Faustregel gelten: Je weiter rechts einer in der französischen Innenpolitik steht, desto stärker befürwortet er außenpolitisch die Kriegsführung des Staates Israel – deutlich wurde dies anlässlich der britisch-französisch-israelischen Strafexpedition gegen Ägypten, infolge der Nationalisierung des Suez-Kanals, im Oktober 1956.

Zwei Ausnahmen durchbrachen diese scheinbar klare Regel, die dafür sorgten, dass es sich nicht um eine einfache Links-Rechts-Kontinuitätslinie handelte. Erstens war die neofaschistische Rechte, die außerhalb und jenseits der Konservativen stand, innerlich gespalten.

Harte, unbelehrbare Antisemiten standen Kolonialfanatikern, die u.a. aus bündnispolitischen Gründen (etwa gegen Algerien und Ägypten während der Unabhängigkeitskriege) für eine außenpolitische Annäherung an Israel antraten, gegenüber. Manche Protagonisten dieses Lagers waren aber einfach auch beides.

Jean-Marie Le Pen

Der damalige junge Abgeordnete Jean-Marie Le Pen – er gehörte erstmals von 1956 bis 1962 der französischen Nationalversammlung als Parlamentarier an – war bereits als antisemitischer Judenhasser bekannt.

So wurde er etwa in damals geheimen Telegrammen der US-Botschaft in Paris über die französische Innenpolitik, die in den Fünfzigerjahren nach Washington D.C. gesandt und 1996 durch das Wochenmagazin Le Nouvel Observateur publiziert wurden, portraitiert.

Zugleich diente Le Pen während der "Suez-Expedition" im Herbst 1956, obwohl Abgeordneter und deswegen nicht zum Militärdienst verpflichtet, freiwillig als Unteroffizier und beschrieb damals, wie er am Suezkanal von einer Fraternisierung zwischen den französischen und den 15 Kilometer entfernt lagernden israelischen Truppen träumte. Ägypten hätte dabei endgültig überrannt werden sollen, wozu es damals nicht kam.

Beides ging in seinen Augen dadurch zusammen, dass Le Pen zwar gegen das "jüdische Element" in den europäischen Gesellschaften war, jedoch zu der Auffassung kam, die Auswanderung nach Israel könne dieses "Problem" ja lösen.

Er war also Antisemit, jedoch gewiss kein Antizionist, möchte man es auf eine einfache Formel bringen. Andere Rechtsextreme hielten diese Auffassung jedoch für einen Verrat an antisemitischen Grundprinzipien, so die Fanatiker der (alt)faschistischen, 1951 gegründeten und noch heute existierenden Wochenzeitung Rivarol. Letztere Fraktion blieb unterdessen in der Minderheit.

Die zweite Ausnahme kam erst in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre auf: Es handelte sich um die Neupositionierung der regierenden gaullistischen Rechten nach der Niederlage, die Frankreich im Algerienkrieg (1954 bis 1962) und aus Anlass der Entkolonisierung in Nordafrika erhalten hatte.