Die Hölle, das ist Frankreich...

...aber nur für Amerikaner: Julie Delpys gnadenlos witziger Film "Deux Jours à Paris" variiert das schöne alte Thema des Amerikaners in Paris

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Machen die Franzosen Kondome für Kinder?" - wer wollte das nicht schon immer wissen? Und warum heißen hier Präsidentschaftskandidaten und Hamburger "Royal", obwohl das Land doch die Revolution erfunden hat? Haben Pariser Wohnungen eigentlich immer Schimmelbefall? Sind alle französischen Väter Pornographen und vögeln französische Mädchen immer in der Gegend herum? Alles wichtige Fragen, oder?

Bilder: 3L-Filmverleih

Geklärt, oder jedenfalls irgendwie beantwortet werden sie jetzt von Julie Delpy, und von wem würde man lieber solche Fragen beantwortet bekommen? "Deux Jours à Paris" heißt ihr zweiter Spielfilm, ein kleiner Geniestreich der 37-jährigen Darstellerin ("Homo Faber", "Drei Farben: Weiß"), in dem Delpy eigentlich alles selber gemacht hat: Sie hat das Drehbuch geschrieben, Regie geführt, den Film geschnitten, und die Hauptrolle spielt die Schauspielerin, die mit 14 in "Detective" von Godard debütierte, natürlich auch: "Ich schreibe seit 20 Jahren aber auch alles Mögliche: Drama, Horror, Thriller, Komödien, Liebesgeschichten, Kriegsfilme..." erzählt sie im Gespräch.

"Deux Jours à Paris", also "Zwei Tage in Paris" erzählt von einem jungen transatlantischen Paar, das einen zweitägigen Zwischenstop in Paris macht, er ist Amerikaner, sie Französin. Was folgt, ist alles sehr politisch unkorrekt, also lustig - eine Komödie zum Brüllen, eine überaus ironische Liebesgeschichte, und ein cleverer Film über den Kulturclash zwischen Frankreich und den USA, old europe und very old america.

Gegen die "Freedom Fries" im Hirn

Frankreich und Amerika - das ist eine abwechslungsreiche, ziemlich turbulente Beziehungskiste schon seit jenen Tagen, als die US-Rebellen mit Hilfe französischer Geldsendungen, Truppen und Gedanken ihrer britischen Kolonialherren vertrieben, bis heute, wo die Bush-Krieger ihre Pommes in "Freedom Fries" umbenennen, weil sich die Franzosen ihrer Koalition der Willigen verweigert haben. Genau solche Themen mit historisch-politisch-philosophischen Dimensionen tauchen immer wieder auf in "Deux Jours à Paris", einem Film der so locker-luftig-unterhaltsam und zugleich intelligent daherkommt, wie man es nur aus Frankreich kennt.

Man muss George W. Bush ja eigentlich dankbar sein. Denn seine ebenso zynische, wie dumme, wie selbstgefällige Politik zwingt die Europäer in den letzten Jahren, Farbe zu bekennen in der spezifischen Differenz, die Donald Rumsfeld so schön auf den Punkt brachte. Julie Delpys zweiter Spielfilm "Deux Jours à Paris" ist dabei definitiv "Old Europe" - in Perspektive und Haltung, mit der es Amerikaner zeigt, die genau dem Klischee entsprechen, das uns Europäern tagtäglich auf den Straßen unserer größeren Städte und in den Abendnachrichten begegnet: tumbe "Cowboys", oberflächliche, kulturlose, antiintellektuelle, fanatische, selbstgefällige, materialistische Hinterwäldler und Neureiche, Nachfahren von Sklavenbesitzern, die von einer Kamarilla korrupter, erzreaktionärer Politiker regiert werden, im besten Fall nur skrupellose Individualisten, im schlimmsten Fall faschistoid.

Neben einem unausgesprochenen Anti-Amerika-Manifest ist der Film aber auch ein treffendes Portrait des Europas unserer Gegenwart, in der der amerikanische Traum verblasst, und das Land, das einst den europäischen Flüchtlingen Zuflucht vor dem deutschen Faschismus bot und unseren Kontinent von der Nazi-Diktatur befreite, vom Hort der Freiheit selbst zum Friedensfeind geworden ist. Delpys Film ist auch darin klug, dass er an einem rein privaten Beispiel vorführt, wie die europäische Gegenwarts-Identität sich in der Auseinandersetzung mit US-amerikanischer Politik und Kultur herausbildet: Europa ist nicht länger transatlantischer Juniorpartner, es ist ein politisch-kultureller Gegenentwurf.

Zugleich macht Delpy sich und uns nicht wirklich Illusionen, sondern seziert die Verhältnisse in ihrem eigenen Land ähnlich scharf: Die wirklich entscheidende Kluft, so wird damit suggeriert, liegt vielleicht doch nicht zwischen den Kontinenten, sondern zwischen den verschiedenen sozialen Klassen und Milieus beider Welten.

Spritzig-intelligente Screwball-Dialoge

Ich war nie eifersüchtig. Naja, vielleicht weil ich verwöhnt bin. Ich mag keine unhappy endings. Ich bin das Gegenteil von meiner Film-Marion, das heißt, ich vögele keineswegs in der Gegend rum. Aber mein Vater, der ist in der Wirklichkeit noch viel schlimmer als im Film.

Julie Delpy, im Gespräch mit dem Tagesspiegel

Eigentlich durfte man Julie Delpy sowieso noch nie unterschätzen, und wer trotzdem je den Fehler gemacht hat, sie für eine jener Schauspielerinnen zu halten, die mangels beruflicher Auslastung auch noch singen, schreiben, und jetzt halt mal selber einen Film drehen, wird schon in den ersten Minuten dieses Films eines besseren belehrt. Pate stand sichtbar Richard Linklaters Erfolgsmodell von Filmen "Before Sunrise" und "Before Sunset" - wobei "Deux Jours à Paris" einfach lustiger, schneller und weniger verlabert, also besser ist. Allein schon die Kamera ist Linklaters zappeliger Langeweile um Meilen voraus: Überaus beweglich, immer wieder Neues findend, sind die Bilder ein rhythmischer Mischmasch aus Close-Ups, langen Einstellungen, verspielter Graphik und Neugier - wie in Videoclip.

Dass der Film inhaltlich am ehesten an eine der besseren Komödien von Woody-Allen erinnert - der ja in seinen letzten zwei, in England spielenden Filmen ebenfalls die Europa-Amerika-Differenz umkreiste - liegt nicht nur an spritzig-intelligenten Screwball-Dialogen, sondern auch an der Figur des Jack, einen New Yorker Hypochonder und Neurotiker, den Adam Goldberg als jüngere Woody-Allen-Variante spielt - eine ideale Projektionsfläche für Klischeevorstellungen aus europäischer Perspektive.

Mit seiner französischen Freundin Marion, einer optimistischen Tagträumerin besucht er deren Hippie-Eltern, die ihn als Amerikaner sowieso nicht ernst nehmen, sondern für einen ebenso kulturlosen wie halbdebilen Yankee-Imperialisten halten, und ist überdies mit einer Kompanie von Ex-Lovern konfrontiert, die nichts gegen ein aufgewärmtes Tête-à-tête einzuwenden hätten, mit faschistischen Taxifahrern und einer Freundin, die dauernd fragt, ob ihr Hintern nicht vielleicht doch etwas zu dick ist. Umgekehrt sieht Marion im Kontrast mit ihrer Heimat auch manche Eigenschaften ihres Freundes mit neuen, kritischeren Augen. Zumal er es ernst meint, wenn er verkündet: "In France having a little anal sex on the side is like going fishing or playing scrabble." Irgendwann trifft Jack noch in einem Hamburger-Fast-Food-Shop auch noch auf einen deutschen Veganer (Daniel Brühl), der Anschläge auf Junk-Food-Ketten unternimmt - und ist spätestens dann sicher: "I’m not in Paris, I’m in hell".

Wechselspiel der Wahrnehmungen

Ach, die Franzosen, die reden am liebsten über Sex, übers Fressen und über Politik, genau in dieser Reihenfolge. Dabei sind sie doch gar nicht perverser als andere! Der Irak-Krieg, ohne Monica Lewinsky und ihren Clinton-Blowjob wäre der doch gar nicht denkbar gewesen. Ich bin Optimistin. Ich bin Fatalistin. Ich bin eine pessimistische Optimistin. In der Liebe muss man Kompromisse machen. Wir Menschen sind Tiere, mit Gehirnen wie aus der Steinzeit, das ist wissenschaftlich erwiesen. Männer haben immer Angst, betrogen zu werden. Männer wissen nicht, ob ihre Kinder wirklich ihre Kinder sind. Und dann erst die französischen Männer!

Julie Delpy, im Gespräch mit dem Tagesspiegel

"Deux Jours à Paris" ist eine unaufdringliche Komödie der Missverständnisse und lebt vom Wechselspiel der gegenseitigen (falschen) Wahrnehmungen. Sie werden unter anderem dadurch multipliziert, dass Marion wie Jack auch auf ihresgleichen treffen, und darauf ähnlich schockiert reagieren, wie auf den jeweils fremden Kontinent. Ein Running Gag ist etwa die Gruppe amerikanischer Touristen, die so orientierungslos wie fröhlich auf der Suche nach dem Louvre und ihrer "Da Vinci"-Tour durch Paris stolpern, und offenbar von den in Buchform erschienen "Benimm-Tipps für 'hässliche Amerikaner'" noch nichts gehört haben. Fazit: "Deux Jours à Paris" ist wie seine Regisseurin: Ziemlich witzig, unglaublich schnell und überdies sehr schön anzusehen.