Die Hölle ist ein Büro

Office Voodoo: Eine Selbsterfahrungmaschine der perfideren und schmerzhafteren Art

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Videokunst ist oft banal, technozentristisch und langweilig, weil die Künstler sich auf einen bloßen Kniff versteifen und ihn dann im Endlosloop einem pflichtschuldigst begeisterten Publikum vorführen. Office Voodoo, eine ausgefeilte Videoinstallation von Michael Lew, kann mehr.

Die Hölle ist ein Büro. Dort sitzen die Angestellten vor ihren Computern, verrichten sinnlose Routinearbeiten und benehmen sich in den Arbeitspausen, als wären sie noch am Leben. Diese Lebenssimulation erinnert bei nüchterner Betrachtung an Dokumentarfilme über den Alltag von Pavianen am Wasserloch ihres Vertrauens. Was wie das Generalszenario eines neuen Romans von Houellebecq wirkt, scheint die Ausgangssituation von Michael Lew gewesen zu sein, als er sich "Office Voodoo" ausdachte. Er selbst beschreibt sein Werk als die Mischung aus Sartres Stück Huis Clos und einer Bürosimulation, und das Ergebnis nennt er eine "algorithmische Seifenoper". Worum geht es in dieser Seifenoper? Frank und Nancy, dargestellt von Patrick McEnany und Jennifer Keappock, verbringen ihr Leben im Büro.

So ziemlich alles, was man in einem Büro machen kann, ist von den beiden Schauspielern vorgeführt und abgefilmt worden. Von gelangweiltem In-die-Luft-Starren bis zu heftigem Geknutsche auf dem Schreibtisch wird alles, Szene für Szene, auf einem schnellen Computersystem bereitgehalten, gewissermaßen als Stereotypen on demand. Ab hier kommt das Voodoo ins Office. Denn die Zuschauer dieser profund realistischen und dadurch exzessiv langweiligen Frank-und Nancy-Show sind dem Geschehen nicht in der gleichen Weise machtlos ausgesetzt wie die Zuschauer bei BigBrother (vgl. Der unaufhaltsame Aufstieg des Trash-TV).

Sie können direkt auf es Einfluss nehmen, und zwar nicht durch irgendwelche Umfragekampagnen, sondern mit Hilfe zweier sensorbestückter Voodoopuppen, deren Manipulation unmittelbare Folgen auf dem Bildschirm hat. Je nachdem, wie man die Püppchen knetet, guckt Frank gelangweilt in die Luft, während Nancy heulend in ihre Tastatur beißt, oder die beiden fallen in wilder Begierde übereinander her.

Das nötige Feedback über die aktuelle psychische Gestimmtheit von Nancy und Frank bietet ein Balkenkreuz am oberen Rand des Bildschirms, das Natur und Intensität ihrer Gefühle auf einer X- und und einer Y-Achse darstellt. Um die Illusion der direkten Manipulation von echten Menschen zu steigern, erhält jeder, der Office Voodoo spielt, die Visitenkarten von Frank und Nancy. Darauf sind ihre Bürotelefonnummern verzeichnet, und man kann diese Nummern anrufen. Wenn man das tut, heben Frank oder Nancy nur ihre Telefonhörer ab, ein "Gespräch" kommt nicht zustande, aber schon dieser Ansatz eines persönlichen Kontakts mit den beiden virtuellen Büroexistenzen bringt manche der User von Office Voodoo ins Schwitzen. Wie überhaupt die Reaktionen auf die Installation ziemlich intensiv sind, was ein kleiner Film belegt, den Michael Lew über das Nutzerverhalten gedreht hat (Quicktime / 35 MB).

An der Grenze zwischen Analyse und Vervollkommnung totalitärer Techniken

Einige der Spieler wollen ihre Opfer unbedingt zum Kopulieren bringen, andere sind betreten bis belustigt, wenn sie Nancy oder Frank anrufen und tatsächlich eine "Reaktion" hervorrufen, manche, so erzählt Michael Lew, wenden sich vor Scham ab. Aber das ist gar nicht so einfach, denn der Künstler hat durch die architektonische Verpackung seines Interfaces eine klaustrophobische Betrachterposition erzwungen. Entweder man spielt in diesem Sperrholzkabuff aktiv mit, oder man verlässt es. Ein bloß unbeteiligtes Dabeisitzen ist schon deshalb schlecht möglich, weil das Spiel immer zu zweit gespielt werden muss, und ein gewisses Ausmaß an Körperkontakt zum Mitspieler nicht vermieden werden kann. Ganz klar sollen alle, die sich auf das Spiel einlassen, zu Gefangenen der Situation gemacht werden. Während sie scheinbar die Voodoopüppchen in der Hand halten, sind sie letztendlich genau so Opfer ihrer Lage wie Frank und Nancy selbst.

Mit anderen Worten, Office Voodoo manipuliert, um nicht zu sagen kompromittiert diejenigen, die es spielen. Sie werden mit ihren eigenen sadistischen Antrieben konfrontiert, ihrem Voyeurismus, möglicherweise auch mit den eigenen, authentischen Bürogeschichten, und die Ausweichmöglichkeiten sind gegenüber der realen Welt um mindestens eine Dimension, nämlich die der Gleichgültigkeit, reduziert. Office Voodoo erweist sich als eine Selbsterfahrungmaschine der perfideren und schmerzhafteren Art, und die Umkehr des bösen Zaubers belegt, dass, rechnet man die Zwangslage ein, in die die Zuschauer/Mitspieler gebracht werden, für die gesamte Installation eigentlich der Titel umgekehrt werden müsste: wir haben es hier in Wirklichkeit mit dem Voodoo Office zu tun, das alle manipuliert, die in seinen Bannkreis geraten - auch diejenigen, die zunächst um Drücker zu sein scheinen. Aber das ist natürlich genau der Witz an der Sache.

Ich danke Peter Praschl für den Hinweis auf Office Voodoo.