Die Informationsgesellschaft in Europa und ihre Macher: People first?!

Stefan Krempl im Gespräch mit Martin Bangemann über den europäischen Weg in die Informationsgesellschaft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Europa liegt im digitalen Fieber: Eine Awareness Week jagt die andere European Telework Week genauso wie ein Grünbuch das nächste. Allerdings scheint sich das Fieber auf eine Reihe von Politikern und Aktivisten zu beschränken, während sich der Großteil der europäischen Bevölkerung - zumindest in den häuslichen vier Wänden - lieber in Fragen Internet und Computerisierung bedeckt hält. Dabei hat sich die Europäische Kommission seit über einem Jahr gerade auf die Zielgruppe "Menschen" eingeschworen, zumindest sind die Titel der jüngsten Initiativen und "Wegbereiter" deutlicher als früher mit einem sozialen Schwerpunkt versehen.

In einem Exklusiv-Interview mit Telepolis erklärt Martin Bangemann die Richtung und die Initiativen der Europäischen Union, um zu einer Informationsgesellschaft zu gelangen, in der die Menschen den Vorrang haben sollen.

Richtig begonnen hat die jüngste Geschichte der Informationsgesellschaft in Europa allerdings 1994 mit einem klassischen neoliberalistischen Manifest, das unter dem Namen Bangemann-Report bekannt geworden ist. Das Papier ist mehr oder weniger eine Kopie des Aktionspapiers der Clinton/Gore-Administration zur Schaffung einer Nationalen Informations-Infrastruktur, und in ihm wird der Markt als der alleinige Faktor zur Erreichung der Informationsgesellschaft gefeiert ("The market will drive, it will decide winners and losers...").

Als Reaktion auf diese "Informationsinitiative" entstand innerhalb der Europäischen Kommission eine ganze Reihe von Green Papers und anderen deutlich sozialpolitisch ausgerichteten Reports und Stellungnahmen. Am bekanntesten sind der Report der High Level Group of Experts Building the Information Society for us all, in seiner Erstfassung vom Februar 1996, oder das Green Paper Living and Working in the Information Society: People First vom Juli 1996. Bei diesen beiden Papieren sprechen die Namen schon für sich, es geht beispielsweise im Green Paper vor allem um Arbeit und Beschäftigung in der Informationsgesellschaft - allerdings wird gleichzeitig als "erste Herausforderung" die vollständige Liberalisierung der Telekommunikation genannt, was auch schon im Bangemann-Report Priorität hatte. Erst dann geht es um die Integration der Informationstechniken in die Gesellschaft. Gleichzeitig hat sich als weitere Reaktion auf den Bangemann-Report auch das Forum Information Society gegründet, das seinen ersten Jahresbericht überschrieben hat Networks for People and their Communities. Making the Most of the Information Society in the European Union.

Auch darin geht es stark um zukünftige Beschäftigungsstrukturen, "putting people first", "sustainable development" und um die Schaffung von Vertrauen in die neuen Infotechnologien bei der Masse der Bevölkerung. Unterschwellig zieht sich durch das ganze Papier die Angst, bloß nicht hinter die Initiativen in den USA oder Japan zurückzufallen, da die Kosten sehr hoch wären: "We shall not only see a growing competitive weakness in relation to the US and the leading Asian economies but also the threat of widespread social alienation." Also auch hier letztlich doch: Economy first, und dann die sozialen Belange.

Trotzdem: Die Ausrichtung auf eine "soziale Gestaltung" der Informationsgesellschaft spiegelt sich zumindest in den Titeln der neuesten Grün- und Weißbücher rund um die europäische Informationsgesellschaft wieder. Die Europäische Kommission, die den Kampf um die Vorherrschaft in der Soft- und Hardwareproduktion längst verloren und aufgegeben hat, scheint sich dabei einen Wettbewerbsvorteil vor den USA und den asiatischen Informationsinitiativen verschaffen zu wollen, der aber momentan nicht mehr als ein Werbeversprechen ist. Andere Themen, wie beispielsweise Liberalisierung, Wettbewerbsfähigkeit und vor allem Electronic Commerce - vergleiche die Bonner Erklärung mit ihren "Geschäftsbedinungen für das Internet" - werden nach wie vor stark von der Kommission propagiert, wofür schon allein die industriellen Lobbygruppen in Brüssel sorgen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa das Europäische Multimedia Forum, dessen Generalsekretär Philippe Wacker jüngst auf der Ifa 1997 in Berlin erneut klargemacht hat, daß die Industrie keine großen Einmischungen von Seiten der Politik in ihr multimediales Geschäft wünscht: "Wir brauchen weniger Regierung und eine bessere Regierung". Denn in der Kommission gebe es zwar viel Gerede, allerdings keine klaren Ergebnisse.

Inwiefern es der Kommission gelingt, Europa und seine Bevölkerung tatsächlich auf einem sanften Kurs in die Informationsgesellschaft zu bringen, ist momentan noch schwer einzuschätzen. Stefan Krempl hat den Experten in Fragen Informationsgesellschaft bei der Europäischen Kommission dazu befragt.

Wir stehen momentan mitten in einem gesellschaftlichen Umbruch, dessen Ausmaße noch kaum abzuschätzen sind. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach das Internet in diesem Prozeß?

Martin Bangemann: Das Internet ist zunächst einmal ein Katalysator und Vermittler von Kontakten zwischen Menschen, Gemeinschaften und Organisationen. Es bietet vielen eine praktische Lösung für Kommunikation und Veröffentlichungen, und wird immer wichtiger für die Wirtschaft. Es ist ganz grundsätzlich ein Eckstein des gesellschaftlichen Umbruchs, den Sie ansprachen.

Das Internet ist gleichzeitig sowohl Modell als auch Motor der Konvergenz zwischen Rundfunk, Telekommunikation, Computern und Verlagen und dehnt sich langsam aber sicher aus. Dadurch wird es natürlich als eine Mischung aus Bedrohung und Chance gesehen, und zwar sowohl von Beteiligten, als auch von Regierungen.

Wenn wir einen Blick auf das Internet werfen, so wie es sich heute darbietet, so hat es seine Mängel. Die Vielfalt und Anzahl der Inhalte übersteigt häufig unser Aufnahmevermögen, und gleichzeitig benutzen wir es bis jetzt hauptsächlich zur schnelleren Verbreitung hergebrachter Inhalte, die man aus anderen Medien (Bücher, Film, CDs) kennt. Aber wir sollten nicht vergessen, daß das Internet der 90er so gut wie nichts mehr mit dem der 80er Jahre zu tun hat. In ein paar Jahren schon kann es sich erneut vollkommen verändert haben.

Die Europäische Kommission hat unter dem Überbegriff "Informationsgesellschaft" sehr ambitionierte Programme verabschiedet. Viele sind direkt mit Ihrem Namen verbunden, beispielsweise die 1994 ausgerufene "Bangemann-Challenge" sowie natürlich der als "Bangemann-Report" weltweit bekannt gewordene Expertenbericht. Welches Zwischenfazit ziehen Sie für diese Initiativen zur Umgestaltung der Gesellschaft und wie gehen Sie mit der Konzentrierung und Personifizierung dieses Wandelprozesses auf Ihre Person um?

Martin Bangemann: Die Personifizierung der Politik ist eine Begleiterscheinung unserer modernen Mediengesellschaft - wer etwas bewegen will, wird nun einmal gerne ins Rampenlicht gestellt. Der von Ihnen genannte "Bangemann-Bericht" hatte aber in Wirklichkeit mehrere Väter: er wurde 1994 von einer Expertengruppe unter meinem Vorsitz erstellt. Wie dem auch sei, er hat zweifellos in Europa als Katalysator in Sachen Informationsgesellschaft gewirkt und beispielsweise zu einem umfangreichen Aktionsprogramm der Kommission geführt.
Zum Beispiel hat die Stadt Stockholm diesen Bericht aufgegriffen und die 10 empfohlenen vordringlichen Anwendungsbereiche (Einsatz von Informationstechnologien in den Bereichen Bildung, Verkehr und Gesundheitswesen u.a.) zum Gegenstand eines europaweiten Wettbewerbs von Städten gemacht. Damit wurde sehr viel Aufmerksamkeit auf die positiven Möglichkeiten der Informationsgesellschaft gelenkt. Die beteiligten 110 Projekte aus 25 Städten nutzten diesen Wettbewerb auch zu einem regen Erfahrungsaustausch. Nach ihrem großen Erfolg in Europa wird diese "Challenge" übrigens jetzt auf weltweiter Ebene fortgesetzt.

Trotz der deutlichen politischen Signale und trotz aller Versuche, auch die Bevölkerung und die kleineren und mittleren Unternehmen für die Informationsgesellschaft einzunehmen, gehen internationale Beobachter allgemein davon aus, daß Europa fünf bis zehn Jahre (Andy Groove von Intel) hinter der Entwicklung in den Vereinigten Staaten hinterherhinkt. Tatsächlich geben sich die USA in vielen Punkten als Vorreiter: Die Clinton-Gore Administration hat noch vor dem Bangemann-Report ihr Programm zum Ausbau der National Information Infrastructure vorgestellt und den eingängigen Begriff "Information Superhighway" besetzt. Und jüngst ist sie erneut mit dem "Framework for Global Electronic Commerce" der "Bonner Erklärung" vorangeprescht. Warum scheint die Europäische Kommission immer etwas hinterherzuhinken, und auch die Bevölkerung nicht so richtig auf die Datenautobahn abzufahren?

Martin Bangemann: Die pauschale Behauptung, wir hinkten weit hinterher, scheint mir so nicht richtig. Es gibt eine Reihe von Teilbereichen, wo die EU oder Teile der EU vorne liegen. Ich denke an den digitalen Mobilfunk, an quasi-kommerzielle Pilotprojekte für Internet-Telefonieren und Musikabruf über das Internet durch große europäische Telekomunternehmen, oder an die Tatsache, da( Finnland die höchste Computer- und Internetdichte der Welt hat. Es ist jedoch so, daß wir nicht nur probieren, technologische Fortschritte, sondern ebenfalls auch die sozialen und gesellschaftlichen Faktoren voranzutreiben, und in dieser Hinsicht sind wir sicherlich anderen einen Schritt voraus.

Trotzdem ist es sicher richtig, daß die Kombination aus politischem Engagement und Marktkräften, auf die wir gesetzt haben, die Fülle an neuen Dienstleistungen und Breitbandinfrastrukturen nicht so schnell hervorgebracht hat, wie wir hofften. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Die Einführung des vollen Wettbewerbs in der Telekommunikation sollte dabei einen kräftigen Schub nach vorne liefern.

Die Europäische Kommission hat ein neues "Green Paper" in Aussicht gestellt. Sie haben es selbst in seiner Bedeutung mit dem Papier von 1987 zur Liberalisierung der Telefonmärkte verglichen. Was sind die hauptsächlichen Punkte dieses "European Communication Act" und wird dieses Paper für Schwung auch bei den noch nicht für die Informationsgesellschaft Begeisterten sorgen?

Martin Bangemann: Zur Zeit bereiten wir ein Grünbuch über die Auswirkungen der Konvergenz zwischen der Telekommunikation, den Medien und der Computerbranche vor. Unsere Hauptthese besteht darin, daß die Digitalisierung dieser drei Branchen nicht nur jede Branche an sich verändert, sondern auch die Grenzen zwischen ihnen verschwimmen läßt.

Bis jetzt war eine Dienstleistung an eine bestimmte Infrastruktur gebunden. Demnächst kann jede Dienstleistung (ob Sprach-, Daten- oder Videoinhalte) über jedes Netz (Festnetz, Rundfunk, Satellit) übermittelt werden. Computer werden fernsehähnlich, Fernseher übernehmen Computerfunktionen. Neue Dienstleistungsarten entstehen, und bereits bestehende Dienste dehnen sich über die klassischen Sektorengrenzen hinaus aus.

Durch diese Konvergenz werden die aktuellen Regulierungsstrukturen hinfällig, die noch nach hergebrachten Sektoren unterscheiden. Wenn Fernsehbilder über das Internet anders behandelt werden als über Kabel, werden sich unweigerlich Wettbewerbsverzerrungen ergeben. Daher müssen wir die Vorschriften den neuen Gegebenheiten richten. Sie werden offen und flexibel sein müssen, um sich den rasch ändernden Technologien anzupassen.

Das Grünbuch ist zunächst einmal da, um allen Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den aufgeworfenen Fragen oder, wo vorhanden, Vorschlägen zu äußern. Der Hauptvorschlag besteht darin, das existierende Netzwerk von branchenspezifischen Regeln durch ein horizontales abzulösen, das nach Inhalt, Datenübermittlung, und Diensten unterscheidet.

Es ist nun keineswegs so, als daß wir diese oder andere unserer Ideen unbedingt für den Stein der Weisen halten. Gerade deswegen veröffentlichen wir ja ein Grünbuch; die Reaktion der Beteiligten ist entscheidend für unser weiteres Vorgehen in den nächsten Jahren. So gesehen kann man es durchaus mit dem Grünbuch über Telekommunikation aus dem Jahre 1987 auf eine Stufe stellen, das ja letztendlich zur Liberalisierung 1998 geführt hat.

Neben diesem neuen "Green Paper" hat die Europäische Kommission bereits mehrere andere Rahmenpapiere veröffentlicht, beispielsweise People First. Daneben gibt es noch mehrere "White Papers", Berichte von Beratergruppen - etwa The Future of the Internet - What Role for Europe? -, Foren zur Information Society mit ausführlichen Stellungnahmen etc. Ist diese Vielzahl von Berichten für den Bürger oder Unternehmer überhaupt noch zu überblicken?

Martin Bangemann: Eine gesellschaftliche Wandlung wie die Informationsrevolution hat unvermeidbar viele Aspekte, über die man nachdenken muß. Wir bemühen uns, unseren Ansatz nicht nur in den grundsätzlichen Papieren darzulegen, sondern auch in unzähligen Veranstaltungen, Konferenzen, Workshops usw. zu erläutern. Außerdem sind alle unsere Initiativen im "Dynamischen Aktionsplan zur Informationsgesellschaft" zusammengefaßt. Der beste Anfang für jeden, der sich für das Thema interessiert, ist die Website www.ispo.cec.be, auf der ein komplettes und gut strukturiertes Inventar unserer Politik zur Informationsgesellschaft zu finden ist.

Philippe Wacker, Generalsekretär des Europäischen Multimedia Forums, hat die Europäische Kommission auf der Ifa 97 als "Ausgeburt der Bürokratie" bezeichnet und ihr Versagen in der Übertragung einer Vision der zukünftigen Gesellschaft auf die Öffentlichkeit vorgeworfen. Fehlt es an Entscheidungskraft innerhalb der einzelnen Bereiche und in der Kommission ingesamt?

Martin Bangemann: Die Europäische Kommission ist zunächst einmal eine politische Institution mit einer besonderen Aufgabe, nämlich der Europäischen Integration. Im Rahmen dieses Aufgabenfeldes kann sie durchaus Visionen entwickeln und auch die Öffentlichkeit dafür gewinnen, wie das z. B. mit der Informationsgesellschaft der Fall ist. Es ist jedoch zweifelhaft, ob es darüber hinaus Aufgabe einer zentralen Institution sein kann, die Gesellschaft von morgen zu planen. Dies entspricht jedenfalls nicht meinem Verständnis von gesellschaftlicher Willensbildung.

Die Kommission hat bewußt den Begriff Informationsgesellschaft gewählt, um im Unterschied zu den USA die gesamtgesellschaftlichen Folgen des Wandlungsprozeß und den sozial verträglichen Übergang in die neue Gesellschaftsform zu betonen. Kann es wirklich einen "zweiten Weg" in das Informations- oder Wissenszeitalter geben? Und wie hoch schätzen Sie generell die Bedeutung kultureller Unterschiede in diesem Prozeß ein?

Martin Bangemann: Ich bin davon überzeugt, daß die Metapher, die wir gewählt habe - die Informationsgesellschaft - den Werten der Europäischen Kultur am besten entspricht. Das Grünbuch Menschen zuvorderst hat, aufbauend auf den Ideen, die die EU geformt haben, eine Reihe gemeinsamer Grundsätze vorgeschlagen, nach denen sich die Politik für die Informationsgesellschaft richten sollte. Diese Grundsätze sind durch die Reaktionen bestätigt worden.

Kurz gesagt sind die von der Kommission vorgeschlagenen Politikziele in diesem Bereich die Verbesserung des Zugangs zur Information, die Stärkung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, die Förderung von Beschäftigbarkeit und lebenslangem Lernen, die Vergrößerung des Wachstums- und Arbeitspotentials der Gesellschaft, die Verbesserung der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern, der Kampf gegen die soziale Ausgrenzung sowie die Verbesserung der Qualität und Effizienz der öffentlichen Verwaltung.

Was die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Europa angeht, gibt es natürlich jede Menge, und sie werden dafür sorgen, daß die Informationsgesellschaft bei uns etwas anders aussehen wird als jenseits des Atlantiks. Aber die kulturellen Unterschiede können nicht darüber hinweg täuschen, daß die Informationsrevolution ein globales Phänomen ist, dessen Wirkung ein Verkäufer in Nebraska ebenso erfahren wird wie ein Lehrer in Sachsen-Anhalt.

Anders Hellebust von der norwegischen Telekommunikationsgesellschaft "Telenor" hat in seinem Vortrag auf der Telecom Interactive 97 in Genf geäußert, daß die soziale Dimension in den Rahmenpapieren der EU zwar genügend betont wird, daß die Kommission es "aber bisher nur teilweise fertiggebracht hat, aktuelle Ziele und Maßnahmen zu konkretisieren". Was werden die nächsten Schritte in diese Richtung sein?

Martin Bangemann: Taten sind in mancherlei Hinsicht gefragt, und wir werden das unsere tun, um nützliche Initiativen zu unterstützen, wo immer wir können, auch wenn wir nicht die einzigen sind, die entscheiden ... Zur Zeit sehe ich vier große Bereiche, wo Handeln notwendig ist: die Stärkung der politischen Unterstützung der Informationsgesellschaft, insbesondere was Soziales und Beschäftigung angeht; den Zugang zu Infrastruktur, Anwendungen und Dienste so vielen wie möglich verfügbar machen; ein besseres Gleichgewicht zwischen Flexibilität des Unternehmens und Sicherheit der Arbeitnehmer finden; und durch lebenslanges Lernen die Beschäftigbarkeit der Arbeitnehmer verbessern.

Im Detail bedeutet dies - und das ist sehr gut erläutert in der Mitteilung "Menschen zuvorderst" von der ich eben sprach -, daß die Kommission eine Vielzahl von Informationsaustauschveranstaltungen, Konsultationen usw. durchführt, im 5. Forschungsrahmenprogramm entsprechende Forschung finanziell unterstützt (im neuen integrierten Informationstechnologie-Programm) und vielerlei Fortbildungsmaßnahmen subventioniert.

Wo sehen Sie den größten Regelungsbedarf in der Anpassung von Regierungen und Gesetzen an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft? Wie können nationale Regierungen mit den Herausforderungen einer durch das Internet vorgegebenen internationalen Ausweitung des Handlungsspielraums eines jeden einzelnen umgehen? Und wie haben die deutschen "Multimediagesetze" ihrer Meinung nach diese Herausforderung gelöst?

Martin Bangemann: Die Entwicklung der Informationsgesellschaft ist ein globales Phänomen. Daher gehen die vielen Herausforderungen weit über die Regelungsgewalt nationaler Regierungen hinaus. So entstehen zwei größtenteils ungelöste Probleme. Zum einen kann der Inhalt einer Netzkommunikation nationalen Gesetzen, Gebräuchen und Kulturen widersprechen. Zum zweiten müssen Rechtssicherheit und Vertrauen, von denen z. B. die Entwicklung des elektronischen Marktplatzes abhängt, gesondert herbeigeführt werden.

Es scheint nur drei Lösungen für dieses doppelte Problem zu geben.
1) Jedes Land geht seinen eigenen Weg. In diesem Fall werden Regierungen vielen Dingen machtlos gegenüberstehen und Gesetzesverletzungen nicht verhindern können.
2) Mehrere Länder versuchen, ihre Gesetze zu harmonisieren. Angesichts der Komplexität der Probleme und der unterschiedlichen Rechtssysteme und Kulturen eine Option mit wenig Erfolgsaussichten.
3) Man einigt sich auf internationaler Ebene auf einen Rahmen, der auf einer Reihe von gemeinsamen Grundsätzen aufbaut.

Ich persönlich halte die dritte Lösung für die beste. Wir müssen dabei natürlich aufpassen, technische Entwicklungen wie das Internet und den elektronischen Marktplatz nicht zu behindern. Angesichts des Unterschieds zwischen der Geschwindigkeit technologischer Entwicklung, gemessen in Monaten, und der Geschwindigkeit für Änderung von Vorschriften, gemessen in Jahren, sind eine Begrenzung der Regulierung auf das Minimum und eine maximale Flexibilität oberstes Gebot.

Bei der Veranstaltung der Telekom Interactive habe ich Regierungen, Regulierer und die Industrie aufgefordert, zusammenzuarbeiten, um einen neuen globalen Rahmen für Kommunikation im nächsten Jahrtausend zu schaffen. Dieser Rahmen, der die Form einer internationalen Charta annehmen könnte, ist erforderlich, um Kohärenz und gegenseitige Anerkennung auf globalem Niveau sicherzustellen. Meine Rede in Genf ist abrufbar unter www.ispo.be).

Wie man sich nach diesen Ausführungen und den Überlegungen zur Konvergenz (siehe weiter oben) denken kann, halte ich den Kompetenzstreit in Deutschland zwischen Ländern und Bund bei der Multimediagesetzgebung, der seinen Niederschlag in der Unterscheidung zwischen telekomähnlichen und rundfunkähnlichen Diensten findet, für kleinkariert und ziemlich kurzsichtig. Die Informationsgesellschaft braucht keine komplizierten, starren Lokalregeln, sondern verlangt nach einfachen, flexiblen und weltweiten Regeln.