Die Isolierung klappt nicht mehr

Psychokrieg im Big-Brother-Container

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Ich heiße Raus. Manu Raus... Und nun ist Manu wirklich raus. Und mit ihr ging freiwillig Kerstin, die Mutter der Kompanie und einst Liebling der Massen vor dem TV-Volksempfänger. Doch die Sympathie, die die Berliner Nachwuchsschauspielerin am Anfang des "Big Brother"-Projekts gleich an die Spitze der im Internet einsehbaren Popularitätsskala gebracht hat, verflog ziemlich schnell und schlug am Ende, wie nicht nur ein Blick in das umfangreichste Diskussionsforum www.bigbrother-online.de zeigt, sogar in blanken Hass um.

Die Schuld daran trägt sie allerdings allein - steht sie doch für eine Art des Diskurses, der früher an universitären Psycho- und Pädagogik-Seminaren einstudiert und leider auch praktiziert worden ist. Und der jahrelang die freiwilligen Insassen studentischer Wohngemeinschaften durch endlose Beziehungsgespräche an den Rand des Wahnsinns und schließlich echt betroffen und arg bedröppelt zurück ins Single- oder Ehedasein getrieben hat.

Wer die letzten "Big Brother"-Sendungen oder die Live-Übertragungen im Internet verfolgt hat und schon ein wenig älter ist, dem lief es tatsächlich bei diesem Déjà-vu-Erlebnis eiskalt den Rücken herunter: Wie Kerstin und ihr Container-Freund Alex in den Gesprächen vorgingen, wie sie mit allen psychischen Tricks das abtrünnige schwarze Schaf ihrer Gruppe, John, fertigmachten, dabei sich noch nicht einmal scheuten, eine radikale Trennung zwischen sich, den ehrlich Aufrechten, und den anderen im Haus, den von ihnen so titulierten "Assis" oder "Ballermännern" aufzubauen, war perfide - gerade weil es einherging mit dem steten Anspruch selbst ach so einfühlsam, so betroffen und so verletzbar zu sein.

Doch das ging zum Glück in die Hose. Und dass das vermeintlich authentische Psychogerede bei den vorwiegend jungen Zuschauern nicht mehr ankommt und als egoistisches Machtspiel durchschaut wird, ist wohl auch ein unfreiwilliges Resultat der Erfahrungen mit sich ähnlich gerierenden Lehrern und Eltern - und macht einen sogar ein wenig froh.

Gewiss eine echte Alternative bietet auch die Spaßfraktion um den Kölner Kandidaten Jürgen oder den Schwaben Zlatko nicht, aber immerhin ist der Umgang dort offener, ehrlicher und nicht so verquast verlogen. Dass am Ende Kerstin einen kleinen Aufstand gegen die "Big Brother"-Regeln probte, sich in der Nacht vor ihrem Abgang also nicht von den Produzenten vom Garten aus ins Haus zurückscheuchen lassen wollte und im Gespräch mit Manu und Alex sogar Enthüllungen über die Sendung androhte, ist wohl angesichts ihres Scheiterns eher als Ausdruck von Verzweiflung und keineswegs als aufrechte Rebellion einer Container-Insassin zu verstehen.

Gleichwohl haben die Produzenten damit nun ein Problem: Der sonst nach einem Rausschmiss folgende Internet-Chat mit dem gerade Abgewählten fand am Sonntag gar nicht erst statt, und schon beim Empfang vorm Haus und anschließend im Studio wirkte das Moderatoren-Duo "Pörsi und Kermit" (sprich: Percy Hoven und Sophie Rosentreter) nervös und kurz angebunden. Offenbar traut man den auch vertraglich festgeklopften Absprachen mit den Kandidaten nicht mehr so recht. Und wer weiß, was Kerstin alles für einen Scheck eines Boulevard-Blattes noch ausplaudern könnte.

Und noch ein Problem haben die Produzenten: Augenscheinlich haben sie die Zuschauer-Hysterie unterschätzt, die sich nun vor dem Container alkoholselig austobt und in der Nacht zum Sonntag schon einen kleinen Krawall produzierte. Zudem wird durch die ständige Anwesenheit von Fans vorm Zielobjekt die fürs "Spiel" notwendige Isolierungen der Kandidaten ständig durchbrochen. Fast alles erfahren die Insassen inzwischen per Zuruf (auch bewusst Falsches), beispielsweise wer gerade beim Zuschauer gut ankommt, wer gehasst und geliebt wird.

Nicht zuletzt dadurch entwickelt sich die Show im Haus immer mehr zum offenen Psychokrieg zwischen den einzelnen Insassen. Das sorgt - solange es überhaupt noch sendefähig ist - dann zwar für höhere Einschaltquoten, könnte allerdings dennoch unkontrollierbar werden. Und schon gibt's wieder die ersten Stimmen, die genau wegen dieser wachsenden psychischen Belastung ein Verbot der Sendung fordern. Dass ausgerechnet dabei die CDU vorneweg marschiert, ist jedoch konsequent - angesichts des Verhaltens ihres eigenen Big Brother: Doktor Helmut Kohl.