Die Kunst der wohlgetimeten Eskalation

Seite 3: Tauziehen um das Iran-Abkommen zwischen Beijing und Riad

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Auch wenn alles immer noch eine Verkettung merkwürdiger Zufälle sein kann: Es entsteht der Eindruck, dass die chinesische Regierung die Drohung mit einer Kernschmelze des Weltfinanzsystems als politisches Druckmittel benutzt, um Schritt für Schritt die Umsetzung des "Atomabkommens" mit dem Iran zu erzwingen. Gleichzeitig versuchen Saudi-Arabien und seine Verbündeten offenbar weiterhin mit aller Kraft, ebendieses Abkommen zum Scheitern zu bringen.

Dazu betreibt Riad die ständige Verschärfung militärischer und diplomatischer Spannungen, vermutlich in der Hoffnung, dass die Gegner irgendwann die Nerven verlieren und überreagieren: Wenn der Iran plötzlich in der Weltöffentlichkeit als "Aggressor" dastünde, ließe sich eine Aufhebung der Sanktionen kaum durchsetzen - schon gar nicht kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen. Alternativ wäre aus Sicht der Saudis sicher auch ein inner-iranischer Konflikt wünschenswert, bei dem die rechten Hardliner den Präsidenten zwingen, den Annäherungsprozess an den Westen abzubrechen.

Unklar bleibt dabei, welche Rolle Nordkorea in dieser Inszenierung spielt - wenn überhaupt. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass das Regime in Pjöngjang international weitgehend isoliert und dem Anschein nach auch ziemlich paranoid ist. Das macht es zum leicht manipulierbaren Spielball, der einerseits aus den ihm verfügbaren Informationen seine Schlüsse ziehen muss, dem andererseits aber in Verhandlungen wenig Glauben geschenkt wird. Ein ideales Opfer also für gezielte Fehlinformationen und geheimdienstliche Fälschungen.

Die Zeichen stehen auf (kontrollierter?) Eskalation

Wenn nunmehr, wie John Kerry sagt, die vollständige Umsetzung der Bedingungen seitens des Iran und damit auch die Aufhebung der Sanktionen eine Sache von wenigen Tagen sind, dann kann es kaum verwundern, dass in Riad alle Alarmglocken schrillen. Das bedeutet, dass eine weitere deutliche Eskalation in allernächster Zukunft niemanden überraschen sollte, ob nun im Jemen, in Saudi-Arabien selbst oder anderswo.

War am Ende der vor wenigen Tagen geäußerte Plan, den staatlichen Ölriesen Saudi Aramco - das vermutlich bei weitem wertvollste Unternehmen der Welt - an die Börse zu bringen, eine versuchte Bestechung der westlichen Staaten? Für deren Finanzmärkte wäre diese unverhoffte Chance zur Expansion wie Weihnachten und Ostern an einem Tag.

Doch auch Chinas Regierung schläft nicht und hat mit Sicherheit Möglichkeiten, die aktuelle Finanzmarktschwäche zu verschärfen - und sei es nur, indem sie die Märkte unangenehm überrascht und dieses Mal einfach zusieht und abwartet. Die sechsmonatige Frist, innerhalb derer Inhaber großer Aktienpakete nicht verkaufen durften, endete just am Freitag, allerdings wurde am Vortag bereits eine ähnliche, wenn auch deutlich abgeschwächte Regelung beschlossen.

Ob dies ausreichend ist und ob weitere Maßnahmen zur Stabilisierung beschlossen werden, werden wir wohl schon sehr bald erfahren. Eines dürfte zumindest allen Beobachtern klar sein: Im Gegensatz zu den westlichen Zentralbanken hat die chinesische PBoC noch ausreichend Pulver, um die Märkte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und um dem Nachdruck zu verleihen, scheut Beijing auch nicht vor autoritären Eingriffen in das Marktgeschehen zurück, die der (Finanz-)Wirtschaft verdeutlichen, wer in China an den entscheidenden Hebeln sitzt.

Dieser Artikel ist der erste einer Serie über Saudi-Arabiens Rolle in der Welt. Im zweiten Teil "Die Saudis rüsten zur letzten Schlacht" wird es um die aktuelle Kriegsstrategie des Königreichs gehen.

Der Autor beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen der Geopolitik und Geoökonomie sowie des europäischen Einigungsprozesses, seit Kurzem betreibt er den Blog geopolitikblog.wordpress.com. Auf Twitter kommentiert er als @smukster.