Die "Libanonisierung" der Hisbollah

Die "Partei Gottes" zwischen Jihad und Mandat. Teil III: Eintritt in die politische Arena

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Beobachter bescheinigen ihr ausnahmslos ein hohes Maß an Pragmatismus. Amal Saad-Ghorayeb schlussfolgert in ihrem Buch "Hisbollah, Politik und Religion" gar, dass die Hisbollah (vgl. Die Hisbollah und Strippenzieher oder am Gängelband?) weder eine Armee noch eine politische Partei sei, aber in beide Rollen je nach Bedarf schlüpfen könne. Dies impliziert, dass sich die "Partei Gottes" auch auf politischem Parkett tatsächlich zu bewegen weiß.

Um den libanesischen Bürgerkrieg zu beenden, lud die Arabische Liga 1989 die überlebenden Abgeordneten des zuletzt in 1972 gewählten libanesischen Parlaments in die saudi-arabische Stadt Ta'if ein.

Ta'if

Auf neutralem Terrain wurde ein Friedensabkommen ausgehandelt, das eines der Hauptprobleme des libanesischen Staatsmodells, die Konfessionalisierung, trotz Reformzusagen weiterhin institutionalisierte. Dass der (christliche) Staatspräsident etwas geschwächt, der (muslimische) Ministerpräsident, das Kabinett und der Parlamentspräsident etwas gestärkt wurden, implizierte lediglich eine Machtbeschneidung der Maroniten.

Dahingegen legalisierte das von der Internationalen Gemeinschaft unterstützte Abkommen gleichsam die syrische Besatzung: Das Datum eines vollständigen syrischen Truppenabzuges blieb "späteren Verhandlungen" zwischen den beiden Staaten überlassen.

Zugleich forderte Ta'if die Entwaffnung aller Milizen - ein Imperativ, dem Aziz Abu-Hamad zufolge, damaliger Vize-Direktor von Human Rights Watch/Middle East, ohnehin nicht alle Gruppierungen nachkamen. Doch da keine so ausschlaggebend wie die Hisbollah war, richteten sich aller Augen auf ihre Weigerung, die sie mit dem simplen Umstand begründete, keine Miliz, sondern eine Widerstandspartei gegen Israel zu sein.

Syrien wollte stabilisierend einwirken und die libanesische Übergangsregierung und die Hisbollah zusammenführen. In Verhandlungen mit dem Iran wurde entschieden, dass die "Partei Gottes" ihre Waffen bis zum endgültigen Abzug aller israelischen Soldaten (das Schebaa-Gebiet inbegriffen) behalten darf.

Im Gegenzug musste sie sich integrieren und die Wende von einer systemfeindlichen zu einer systeminternen Opposition vollziehen, die die staatliche Autorität anerkennt. Das säkulare Damaskus, damals bei weitem kein Hisbollah-Freund, sondern eher der moderateren AMAL zugeneigt, übte auf die "Partei Gottes" auch hinsichtlich ihrer islamistischen Bestrebungen Druck aus.

Hierbei halfen die politischen Umwälzungen im Iran Anfang der Neunziger nach: Der gemäßigte Scheich Ali Akbar Rafsanjani, 1989 zum iranischen Präsidenten gewählt, focht seinerseits mit dem radikaleren Ali Akbar Mohtaschami einen Kampf um die Kontrolle der Hisbollah aus. Rafsanjani, der von ihr verlangte, den Geist von Ta'if zu respektieren und sich in Libanons politischer Gesellschaft einzufinden, setzte sich durch: 1991 wurden die Streitigkeiten innerhalb der Hisbollah-Führung bereinigt und ihr 1. Generalsekretär, Subhi al-Tufayli, durch Scheich Abbas al-Musawi ersetzt (als dieser 1992 einem israelischen Attentat zum Opfer fiel, wurde Hassan Nasrallah am gleichen Tag zu seinem Nachfolger gewählt).

Damit hatte die Fraktion um Nasrallah, die nicht nur die Etablierung eines islamischen Staates im Libanon für undurchführbar hielt, sondern sich auch für eine politische Beteiligung an der libanesischen Regierung aussprach, die Oberhand gewonnen. Letzteres galt deshalb als Skandalon, weil die Regierung säkular ist, während des Bürgerkriegs mit Israel kollaborierte und durch die von der Hisbollah für zutiefst ungerecht befundene Konfessionalisierung zustande kommt - Faktoren, die sie in Hardliner-Augen als geradezu ketzerisch erscheinen ließen.

Keine Scheu vor Allianzen

Die Entscheidung, bei den Parlamentswahlen 1992 eigene Kandidaten aufzustellen, war jedoch gefallen - auch, wie Erik Mohns darlegt, auf das Risiko hin, daran als Organisation zu zerbrechen. Aus religiösen wie aus politischen Überlegungen heraus war der Eintritt in jenes unislamische System, das sie ob seiner Ungerechtigkeit von Anfang an anfeindete, gewagt.

Doch die Integration erschien als Chance zum Wandel von innen - ein Wandel, der wie Muhammad Fneisch, Hisbollah-Mitglied und heutiger Energieminister, hoffte, eines Tages dazu führen würde, dass "Individuen wieder miteinander als Individuen sprechen."

Zur Realisierung ihrer Ziele - die "Systemreform" und "Widerstand gegen Israel" lauteten - begann sie früh nach Koalitionen über die Konfessionsmauern hinaus zu suchen und war dabei mehr als einmal für eine Überraschung gut: etwa 1999, als sie sich mit der Falange Partei, einer rechten christlichen Gruppe und der National-Liberalen Partei zusammentat, beide Alliierte Israels im Krieg. (Dass die Hisbollah nach dem fast vollständigen Abzug der israelischen Streitkräfte 2000 kein Massaker unter den "libanesischen Kollaborateuren" verübte, wurde ihr hoch angerechnet).

Bei den Neuwahlen 2005 kooperierte sie ausgerechnet mit dem Hariri-Lager und konnte so eines ihrer Mitglieder auf Hariris Wahlliste in Beirut setzen. Im Gegenzug war der Name Bahia al-Hariri, der Schwester des ermordeten ex-Premiers Rafik al-Hariri, auf ihrer eigenen Wahlliste in Sidon aufgeführt. Vor kurzem verbündete sie sich gar mit Syriens erbittertstem Gegner zu Bürgerkriegszeiten, General Michel Aoun. Gemeinsam mit seiner christlichen Freien Patriotischen Bewegung demonstrierte sie am 10. Mai massiv gegen die Privatisierungspläne der Regierung, der zahlreiche Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor zum Opfer fallen würden. Darüber hinaus pflegt die im Parlament mittlerweile mit zwölf Abgeordneten vertretene Partei gute Beziehungen zu Sunniten wie Omar Karami und zu Maronitenführer Suleiman Frangieh.

Es wird vielfach davon ausgegangen, dass die Hisbollah bereits vor dem syrischen Truppenabzug in 2005 mehr Sitze im Parlament hätte erringen können (sieben in 1996, acht in 1992), dabei aber ausgebremst wurde, und das nicht allein durch den Hariri-Flügel, der sein landesweites Investitionsprogramm nicht durch einen "radikal-islamistischen" Regierungsanstrich gefährdet sehen wollte. (vgl. William Harris: Faces of Lebanon: Sects, Wars and Global Extensions, 1997).

Auch Syrien zog wiederholt an der Leine, um seine Fähigkeit, Islamisten zu kontrollieren, zu demonstrieren. Die Hisbollah, längst zum realpolistischen Akteur mutiert, nahm es hin. Sie benötigte den großen Nachbarn ebenso wie dieser sie: Syrien hielt in Sachen Entwaffnung die Hand über die Hisbollah, während diese die eigene Schutzmacht mit ihrer immer ausgereifteren Guerilla-Taktik "beschützte".

Staat im Staate

Sie allerdings für das bloße Instrument Syriens halten zu wollen, wäre schlicht realitätsfern, da es die Kräfteverschiebung in den letzten Jahren ausblenden würde: Während Syriens Regionalmacht kontinuierlich abnahm, schwoll die Hisbollah zum Staat im Staat an. Auch dürfte es fraglich sein, inwiefern Baschar al-Assad, von dem es heißt, er verehre Nasrallah, die Partei je so im Griff halten könnte wie sein ihr gegenüber höchst argwöhnischer Vater (Adam Shatz, Feuilletonchef von The Nation, weist auf die Härte hin, mit der Hafez al-Assad die Hisbollah zu bestrafen pflegte, wenn sie sich seinen Wünschen widersetzte).

Übersehen würde so auch die, wie Hisbollah-Gründer Sayyed Muhammad Hussein Fadlallah es ausdrückte, "Libanonisierung" der Partei, womit er ihre Einbindung in das libanesische Alltagsgeschäft meinte. Die unterstrich sie jüngst erneut, indem sie die von Baschar al-Assad auf das Lager des "14. März" geworfene Lance ins Leere fliegen ließ: Hatte al-Assad in seiner Rede vom 15. August die Initiatoren des großen Anti-Syrien-Aufmarsches vom 14. März 2005 (Sunnitenführer Saad al-Hariri, Drusenführer Walid Jumblat und christliche Gruppen) als "Produkte Israels" bezeichnet , beeilte sich die Hisbollah stande pedes diese "Idee zurückzuweisen".

Eine klare Absage an eine neuerliche Einmischung Syriens in innerlibanesische Angelegenheiten, offiziell zumindest.

Nach 14-jähriger, von Koalitionsbildungen geprägter Teilhabe an Libanons Politik weiß die Hisbollah offensichtlich völlig eigenständig, an wessen Seite sie sich zur Erreichung ihrer Ziele jeweils zu stellen hat. Ihr gegenwärtiges Hauptziel ist eindeutig die Wahrung der libanesischen Einheit und - die ihres Waffenarsenals.