Die Linke nach der Wahl: Weiter so in den Abgrund

Motiv aus dem Wahlkampf. Auf Veränderung hat man bei den Linken nun aber auch keine Lust.

Führung vermeidet bislang Debatte um Folgen des Scheiterns. Erste Rücktrittsforderungen. Schwere Lage für über 200 Mitarbeiter

Eine Woche nach dem desaströsen Ergebnis der Linken bei der Bundestagswahl ist in der Partei eine Debatte um die Konsequenzen des Scheiterns ausgebrochen -erwartungsgemäß liegen die Positionen weit auseinander.

Bei einer Klausurtagung versuchte der Parteivorstand an diesem Wochenende, die Debatte einzufangen, mit mäßigem Erfolg jedoch. Während die Doppelspitze aus Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler vorrangig von externen Gründen spricht, werden erste Forderungen nach Rücktritten und einer Rückbesinnung auf eine klassisch linke Sozial- und Arbeitsmarktpolitik laut.

"Wir haben alle gemeinsam am Sonntag mal tief in den Abgrund geschaut", zitiert tagesschau.de Wissler - nur durch drei Direktmandate können die 4,9-Prozent-Sozialisten im Bundestag bleiben.

Die Co-Parteivorsitzende sieht laut ARD einen Grund für das Scheitern in "unterschiedlichen Stimmen", Hennig-Wellsow schloss sich diesem Wording an. Das Führungsteam sei zu neu, der Parteitag zu spät angesetzt gewesen. Und unter der Corona-Pandemie war eh alles schwierig gewesen.

Hört man den Partei- und Fraktionsvorsitzenden dieser Tage zu, bekommt man den Eindruck, die Führungsebene versucht mit einer Doppelstrategie den Status quo zu retten: Verwiesen wird auf die ungünstigen Umstände, unmittelbare politische oder gar personelle Konsequenzen sollen indes vermieden werden.

Auch in einem internen Rundschreiben blieben die beiden Vorsitzenden vage. "Sicher haben die Konflikte der letzten Jahre, ebenso wie Strukturprobleme im Osten wie im Westen ihren Anteil an unserem Abschneiden", heißt es darin. Es gebe "tiefere Gründe" und einen "dramatischen Verlust an Vertrauen".

Bei einer ersten Aussprache soll ein ehemaliger Parteivorsitzender schulterzuckend angemerkt haben, man habe eben die Stammwählerschaft überschätzt.

Solche Reaktionen gehen bei den Linken dieser Tage einher mit einer Kollektivierung der Verantwortung. "Stehen wir jetzt zusammen", heißt es da, oder: "Wir tragen alle gemeinsam die Verantwortung. Wir gewinnen gemeinsam und wir verlieren gemeinsam."

Es geht um Wagenknecht, aber niemand spricht es an

Solche Appelle verfangen nach dem ersten Schock am vergangenen 26. September immer weniger. In einer ersten umfassenden Wahlauswertung übte die innerparteiliche Strömung Sozialistische Linke Fundamentalkritik. "Die faktische politische Ausrichtung der Linken auf die Jüngeren und höher Gebildeten, die sich vor allem in Universitätsstädten konzentrieren, ist wahlpolitisch gescheitert", heißt es von dieser Seite.

Die Linkssozialisten machen zudem taktische Fehler aus, die ausbleibende Kritik an der "mangelnden Glaubwürdigkeit" der sozialpolitischen Positionen der SPD etwa: "Für eine starke Linke ist es nötig, dass die Partei ihr Profil klärt und stets deutlich macht, dass sie eine konsequente Interessenvertretung der Arbeitenden und sozial benachteiligten Mehrheit der Bevölkerung ist."

Die Strömung griff zudem die breite Funktionärsebene in Partei und Fraktion an und forderte mehr Fachkompetenz ein: Man müsse wieder zu einer Partei werden, "in der auch Menschen aktiv sein und Funktionen und Mandate übernehmen können, deren Leben nicht primär aus politischer Aktivität besteht".

Bei vielen dieser Debatten geht es - das betrifft gleichsam die Doppelspitze der Partei wie die innerparteilichen Strömungen - um Grundfragen, die von der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht just im Wahlkampf aufgeworfen worden waren. Niemand aber spricht das offen an.

Im Interview mit dem Nachrichtenportal des E-Mail-Anbieters web.de wiederholte die Geschasste nun ihre Position. Zum Erfolg zurückfinden könnten die Linken, "indem wir soziale Fragen konsequent in den Mittelpunkt stellen und uns an den Problemen und der Sprache normaler Menschen orientieren".

Es gehe nicht um "überzogenen Positionen", sondern um gute Forderungen nach einem höheren Mindestlohn und gerechterer Steuerpolitik. "Nehmen wir als Beispiel die Klimadebatte", so Wagenknecht. Natürlich sei Klimapolitik ein wichtiges Thema. Es mache aber keinen Sinn, "die Forderungen der Grünen zu kopieren und immer noch eins draufzusetzen".