"Die Logik der Abschreckung greift offenbar nicht"

Beim Nato-Manöver Rapid Trident 2019 in der Ukraine. Russland hat dennoch angegriffen, oder deswegen?. Bild: Nato, CC BY-NC-ND 2.0

Der Soziologe Klaus Dörre über den Appell gegen die Hochrüstung der Bundeswehr und wie Sicherheit anders möglich wäre

Herr Dörre, mehr als 21.000 Menschen unterstützen bislang den Appell. Sind Sie bis jetzt zufrieden mit der Zustimmung?

Klaus Dörre: Ja und nein. Ja, weil die spontane Zustimmung groß ist. Nein, weil es darum geht, gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt.

Wenn Sie auf den Krieg in der Ukraine blicken, sorgen Sie sich dann auch um die Sicherheit Deutschlands und der Europäischen Union?

Klaus Dörre: Ja. Ich befürchte, dass EU-Europa zu Spielball einer neuen Blockkonfrontation werden könnte. Zwei Blöcke, der eine mit China und der andere mit den USA an der Spitze. Wenn EU-Europa da eine eigene Stimme haben will, benötigt es ein eigenes Sicherheitskonzept. Etwa eine strikt defensiv ausgerichtete Armee, stark genug, Aggressoren Paroli zu bieten. Da müssen völlig neue Überlegungen her. Etwa muss über zivile Verteidigung diskutiert werden. Und: Europa ist größer als die EU, Sicherheit gibt es – leider – nur gemeinsam.

Die Bundesregierung will mehr Geld für Rüstung ausgeben und argumentiert mit mehr Sicherheit. Sie wenden sich mit dem Aufruf dagegen - mit welchen Argumenten?

Klaus Dörre: Die Unterzeichnenden sind sich in drei Punkten einig: Erstens ist der Angriffskrieg gegen die Ukraine durch nichts zu rechtfertigen. Die Waffen müssen schweigen, die russische Armee muss die Ukraine verlassen, je eher, desto besser.

Davon zu trennen ist zweitens ein Sondervermögen Militär, das im Grundgesetz verankert wird. Das wird der Ukraine nichts nützen, kein Euro-Cent wird der Ukraine zugutekommen. Diese Maßnahme ist mit dem Ukraine-Krieg nicht zu rechtfertigen und bedeutet ökologisch und sozial strukturelle Nicht-Nachhaltigkeit.

Drittens schließlich: Eine solch weitreichende Entscheidung darf nicht von oben verordnet werden. Wir brauchen dazu eine breite gesellschaftliche Diskussion.

Sie lehnen im Namen der Demokratie die Pläne der Bundesregierung ab. Welche Konsequenzen hätten diese für die Gesellschaft in Deutschland?

Klaus Dörre: Nehmen Sie nur das Beispiel Klimawandel. Die Zeitpolster für wirksame Gegenmaßnahmen schrumpfen. Der UN-Generalsekretär António Guterres spricht von kriminellem Versagen der Staatengemeinschaft bei wirksamen Gegenmaßnahmen. Nun drohen Krieg und Aufrüstung die Klimaziele zu torpedieren. Das ist fatal. Genauso fatal ist die Preisentwicklung, die vor allem die kleinen Geldbörsen belastet. Geld, das für Rüstung ausgegeben wird, ist strukturell nicht nachhaltig. Das müssen wir klar sehen und benennen.