"Die Menschen müssen verstehen, warum sie ärmer werden"

Seite 2: Lässt sich die Bevölkerung so regieren?

Die große Frage ist nur: Lässt sich die Bevölkerung so regieren? Oder sieht sie sich nicht davon beleidigt, dass es nicht um politische Inhalte gehen soll, sondern um die Form, wie eine als alternativlos angesehene Politik kommuniziert wird.

Das ist die große Frage auch für die Staatsapparate. Daher wird schon seit Wochen vor Protesten gewarnt, die noch gar nicht begonnen haben. Mal sollen sie von rechts oder links vereinnahmt werden, mal von beiden und dann kommt noch der Vorwurf, hier würden die Montagsdemonstrationen der DDR instrumentalisiert. Dabei waren die spätestens ab Mitte November 1989 durchaus rechtsoffen.

So müsste eigentlich die Maxime lauten, genau den Fehler dieser Montagsdemonstranten nicht zu machen und sich klar von rechts abgrenzen. Derweil streitet sich die Linkspartei, die eigentlich durch die Proteste wieder populärer werden will, wieder einmal selber. Es geht um eine Ein- und Ausladung von Sahra Wagenknecht beim Auftakt des Protests der Linkspartei in Leipzig, Anfang September.

Es ist schon bezeichnend, dass noch vor den letzten Bundestagswahlen die Linken-Spitze, die schon damals nicht zu den Freunden Wagenknechts gehörte, die Politikerin und Lafontaine regelrecht bekniete, doch zumindest einen Auftritt in Thüringen zu absolvieren.

Wenn heute Sahra Wagenknecht, die auf jeden Fall Leute außerhalb der Linken zieht, nicht mehr auf Parteiveranstaltungen reden soll, stellt sich die Frage der Trennung. Welches Signal gibt das aber für den Protestherbst, der die Partei doch eigentlich stärken soll?

Wenn die Linke versagt, wird die Rechte von der Krise profitieren. Schon lange sind die Verfassungsschutzämter der Bundesländer mit Warnungen vor einem heißen Herbst an die Öffentlichkeit gegangen.

Dort wird beschrieben, wie man sich beispielsweise in Berlin auf die Rechten vorbereitet. Die Linke wird dort kaum gefürchtet. Von der linken Szene kämen lediglich allgemeine Aufrufe, den Rechten nicht das Feld zu überlassen, heißt es.

Am wahrscheinlichsten sei es, "dass sich linksradikale Gruppierungen an den Protesten gegen Reichsbürger:innen und Rechtsextremist:innen beteiligen", beschreibt der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes laut Taz ein Szenario, dass es schon bei den Corona-Protesten gab.

Das wäre dann allerdings der größte Sieg der Rechten und der Staatsapparate, wenn die Linke nicht willens und in der Lage ist, eigenständig Proteste gegen die Krise und ihre Ursachen, den Krieg und den Kapitalismus, zu organisieren und die Rechte auf der Straße und in den Medien präsent ist.