Die Mühen der Ebene beginnen erst

Von einem linken Wahlbündnis zu einer Linkspartei auf der Höhe der Zeit ist es noch ein langer Weg

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach tagelangen Verhandlungen haben sich die Vorstände von PDS und Wahlalternative auf eine gemeinsame Liste für die Bundestagswahl geeinigt. Doch von Feierlaune kann bei beiden Parteien keine Rede sein. Jetzt muss vor allem der Vorstand der Wahlalternative in den eigenen Reihen Überzeugungsarbeit leisten. Gerade im stärksten Landesverband Nordrhein-Westfalen, der immerhin bei den Landtagswahlen mehr als doppelt so stark wie die PDS wurde, will sich der Ostpartei nicht einfach unterordnen.

Beobachter sehen hier aber eher einige lautstarke Einzelpersonen am Werk, die aus der Wahlalternative eine zweite Schillpartei machen wollten. Gravierender sind die Zerwürfnisse in Berlin. Dort will die von verschiedenen trotzkistischen Kleingruppen beherrschte Wahlalternative bei den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus an einer eigenständigen Kandidatur ohne die PDS festhalten. Die Hauptstadt-PDS, die zu einer Hochburg der Realpolitiker geworden ist, hat schon angekündigt, auch bei Bundestagswahl in Berlin keinen Platz für WASG-Kandidaten frei zu haben. Man wolle dort selbst 3 bis 5 Direktmandate holen, wird der schon lange als „Joschka Fischer der PDS“ titulierte PDS-Landeschef Liebig zitiert, ohne von den Parteigremien gerügt zu werden. Die Ostsozialisten meinen, sich manchen Affront gegen ihre Bündnispartner leisten zu können, weil sie einfach am längeren Hebel sitzen. Die PDS hat nicht nur zehnmal so viele Mitglieder wie die PDS und ihren Parteiapparat, mit dem sie den Wahlkampf vorbereitet. Vor allem gibt das Wahlrecht nur eine Kandidatur der WASG auf offenen Listen her.

Die WASG musste bislang zahlreiche Kröten schlucken. Der Name PDS soll jetzt doch weiterhin im Wahlnamen enthalten sein. Noch ist das letzte Wort über den Namensstreit nicht gesprochen. Mögliche Namensteile wie „Demokratische Linke“ sind schon von anderen linken Splittern belegt, die jetzt mit dem Kadi drohen. Den Streit in der WASG kann die PDS gelassen verfolgen. Lehnt bei einer möglichen Urabstimmung eine Mehrheit das Bündnis ab, sinkt sie ebenfalls zu einer solchen Splittergruppe ab, die dann höchstens noch ihren Namen verteidigen kann. An der PDS wird das Wahlbündnis nicht scheitern. Sie kann davon schließlich nur profitieren. Hofft sie damit doch im Westen mehr Gehör zu finden. Wie weit das vom Wähler belohnt wird, ist freilich noch völlig offen. Doch der Frust über Rot-Grün ist so groß, dass ein Stimmenanteil von 8 % plus mehr nicht unrealistisch erscheint.

Doch selbst ein gutes Wahlergebnis der Linkspartei würde noch wenig über ihre Zukunft aussagen. Eine gemeinsame Linkspartei ist noch längst nicht abzusehen. Die Stolpersteine auf den Weg dahin sind zahlreich. Ein Teil der PDS-Basis fürchtet einen weiteren Identitätsverlust. Die jungen Pragmatiker derŽHauptstadt-PDS plagt die Sorge, dass mit den Westlinken marxistische Dogmatiker eingekauft werden, die sie gerade erst parteiintern weitgehend ruhig gestellt haben.

Aber auch die Strömung, die die PDS mit den modernen linken Diskursen vertraut machen will, dürfte mit dem Zuwachs aus dem Westen nicht unbedingt glücklich sein. So versuchen Antirassisten den Grundsatz der Offenen Grenzen in der PDS zu verankern, während Lafontaine Innenminister Schily ausdrücklich bei seinem Vorschlag unterstützte, Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika zu errichten. Auch eine in der PDS sowieso immer minoritäre Kritik an der Arbeitsgesellschaft und der Lohnarbeit wird nicht verstärkt durch eine Gruppierung, deren Hauptforderung mehr Arbeitsplätze sind. Da ist die aus dem grünen Lager kommende Kritik, dass sich hier die überwiegend männlichen Verlierer des Postfordismus zusammen geschlossen haben, vielleicht überspitzt, aber nicht ganz falsch.

Eine Wahlbündnis kann mit der Forderung nach Arbeitsplätzen sicher kurzfristige Wahlerfolge erzielen. Eine Linkspartei auf der Höhe der Zeit aber kann die in den letzten Jahrzehnten formulierte linke Kritik am Sozialstaat und am Leitbild des fordistischen Arbeiters nicht ignorieren. Interessant dürfte auch zu beobachten sein, wie sich das Wahlbündnis zur Frage der Atomkraft positioniert. Dieses Thema würde unter einer CDU-geführten Regierung, die schon angekündigt hat, die AKWs länger als von Rot-Grün vorgesehen laufen zu lassen, an Bedeutung zu nehmen und könnte durchaus Kristallisationspunkt für eine neue soziale Bewegung werden.

Eine solche Bewegung aber fehlt den neuen Wahlbündnis- oder Linksparteiprojekten heute weitgehend. Als rein parlamentarisch agierende Kraft dürfte setzt schnell jener Mechanismus einsetzen, den der Politologe Johannes Agnoli schon 1966 in seiner Schrift Transformation der Demokratie beschrieben hat. Setzen sich neue politische Akteure auf der politischen Ebene durch, werden sie früher oder später ins Machtgefüge aufgenommen. Bei der ursprünglich staatskritischen Bewegungspartei „Die Grünen“ dauerte dieser Prozess noch mehr als 10 Jahre. Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre dürften mit ihrem etatistischen Politikverständnis wesentlich schneller am Ziel sein.