Die Präsidentenwahl in der Ukraine wird wiederholt

Während die politischen Lager noch über den Wahltermin streiten, hat der Konflikt längst die Grenzen des Landes gesprengt

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In der Ukraine und international wurde die Entscheidung mit größter Spannung erwartet. Heute, am späten Nachmittag, trat Anatoli Jarema, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes der Ukraine schließlich vor die Öffentlichkeit. Die zweite Stichwahl um das Amt des Präsidenten der Ukraine vom 21. November sei aufgrund massiven Wahlbetrugs ungültig. Die Nachricht lieferte den Startschuss für einen erneuten Streit zwischen Anhängern des bisherigen Wahlsiegers Victor Janukowitsch und seinem oppositionellen Herausforderer Victor Juschtschenko. Dssen Anhänger begrüßten die Entscheidung jubelnd.

Während Janukowitschs Anhänger die Wahlen insgesamt wiederholen wollten, drängte die Opposition auf eine rasche Neuauflage der Stichwahl. Mykola Poludenji, einer der Anwälte Juschtschenkos, sprach bereits von einem Neuwahltermin "am kommenden Sonntag". Der Hintergrund der jeweiligen Forderung liegt auf der Hand: Wird rasch gewählt, kommt Oppositionskandidat Juschtschenko die Protestbewegung zugute. Wenn die Wahl aber insgesamt wiederholt würde, müsste laut ukrainischer Verfassung bis zum neuen Termin eine dreimonatige Frist verstreichen. Bis dahin hätten sich die Gemüter wieder beruhigt. Die Chancen für Janukowitsch oder einen potentiellen Nachfolger wären größer.

Dieser Prognose entsprechend hatten sich schon in den vergangenen Wochen auch internationale Vertreter geäußert. Russischen Presseberichten zufolge lehnte Russlands Präsident Wladimir Putin eine schnelle Wiederholung der Stichwahl nach einem Treffen mit dem scheidenden Präsidenten der Ukraine, Leonid Kutschma, unlängst etwa ab. Man könne ja sonst noch drei-, vier-, oder 25mal abstimmen, "bis eine Seite das Ergebnis hat, das ihr passt", wurde Putin zitiert. Auch Kutschma sprach sich bis zuletzt für eine Wiederholung der gesamten Wahl aus. Die Debatte wird zwar auch nach der Entscheidung des Richterspruches des Obersten Gerichtshofes weitergeführt, sie ist aber obsolet: Nach dem heutigen Urteil muss der Wahltermin vom kommenden Montag ausgehend binnen drei Wochen angesetzt werden. Wahrscheinlich ist der 26. Dezember. Im Westen war die Forderung nach einer unverzügliche Wiederholung des Urnengangs von vornherein auf Unterstützung gestoßen.

Ob Janukowitsch an der Wahl noch teilnehmen wird, ist fraglich. Nach dem ukrainischen Wahlgesetz würde dann der Kandidat an seine Stelle rücken, der als drittbester abgeschnitten hatte. Das wäre Oleksandr Moroz von der Sozialistischen Partei. Er hatte allerdings erklärt, auf der Seite von Juschtschenko zu stehen. Dann würde gegen diesen Petro Symonenko von der Kommunistischen Partei antreten können. Sollte dieser bis zum 16. Dezember auch erklären, nicht zur Wahl antreten zu wollen, wäre Juschtschenko der einzige Kandidat der erneuten Stichwahl. Er müsste dann mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, um gewählt zu werden.

Die Konsequenzen der Krise dürften aber über jeden Wahltermin, sei es in drei Wochen oder in drei Monaten, hinausgehen. Nach 14 Tagen harter Auseinandersetzungen ist das Land tief gespalten. Die politische Kluft widerspiegelt sich auch geografisch: Im Westen um die Stadt Lvib (Lemberg) befindet sich die Hochburg der pro-westlichen Oppositionsbewegung. In den östlichen Industrie- und Kohlegebieten findet die pro-russischen Bewegung ihre Anhänger. Es ist kein Zufall, dass Janukowitsch aus dem östlichen Donesz-Gebiet stammt, während Juschtscheko ein gebürtiger Westukrainer ist.

Vor allem aber international konnte man im Verlauf der ukrainischen Staatskrise einen rhetorischen und realpolitischen Rückfall in die Gepflogenheiten des Kalten Krieges beobachten. Am heutigen Freitag erst warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlamentes, der deutsche CDU-Abgeordnete Elmar Brok, Russland und seinen Präsidenten vor einer Einmischung in der Ukraine. Im Inforadio des RBB sagte Brok, die Ukraine müsse ein Recht auf Selbstbestimmung haben, "wie es seit 1990 endgültig Praxis in Europa ist". Die ukrainische Bevölkerung wolle sich ihre Freiheit nicht mehr durch "Drohungen aus Moskau" nehmen lassen, so Brok.

Das russische Parlament, die Duma, konterte solche keineswegs vereinzelten Angriffe aus Europa prompt. In einer Resolution kritisierten die Parlamentarier in Moskau die "zerstörerische Rolle der Europäischen Union" im Verlauf des Machtkampfes in der Ukraine. Sowohl die EU als auch das Europäische Parlament und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hätten den Konflikt in der Ukraine zugespitzt, und damit zu "massiver Unordnung, Chaos und zu einer Spaltung des Landes" beigetragen. Nach Angaben der französischen Nachrichtenagentur AFP warnt die Resolution vor "äußerst negativen Folgen" der EU-Politik gegenüber der Ukraine. Diese Konsequenzen griffen gegebenenfalls nicht nur in der Ukraine, "sondern auch in Russland, ganz Europa und in der internationalen Gemeinschaft". Für den Antrag sprachen sich 419 Abgeordnete der Duma aus. Nur acht stimmten dagegen.

Dafür versprach Julia Tymoschenko, die die "orangene Revolution" entscheidend stimuliert hat und hinter die Juschtschenko die treibende Kraft der Oppositionsbewegung war, die demokratische Revolution auch nach Russland zu bringen: "Sobald unsere orangene Revolution vollendet ist, werden wir sie nach Russland bringen."