Die Schattenseite der Achtsamkeit: Wie Meditations-Apps die Gesellschaft spalten

Seite 2: Technisierung der Psychotherapie: Effiziente Verhaltenssteuerung

Im Psychologiestudium lerne man vorwiegend Fragebögen-Auswertung und "evidenzbasierte" Verhaltenstherapie mit genauen Standards für das Vorgehen. Die gingen bis hin zu Empfehlungen für die Behandler, welche Themen in der ersten Sitzung angesprochen werden, welche in der zweiten Sitzung etc.

Die Digitalisierung baue nur auf dieser Standardisierung auf. Denn der zugrunde liegende Behaviorismus speise sich aus einer enormen Machtphantasie.

Die gegenwärtige Technisierung der Psychotherapie sei möglich, weil der Behaviorismus Forschung und Behandlungspraxis heute weitgehend dominiere.

Das einzige Ziel sei dabei eine möglichst effiziente Verhaltenssteuerung, was "Ausdruck einer abgeschmackten neoliberalen Ideologie" sei, so Jurk, derzufolge es keine Schwäche geben dürfe, sondern nur "Herausforderungen". Die Programme erklärten den Nutzerinnen ...

(…) dass sie sich schlecht fühlen, weil sie verzerrte Gedanken haben, und trainieren mit ihnen das vermeintlich richtige Denken und Fühlen. So treiben sie die Menschen nur tiefer hinein in eine paradoxe Situation und lenken von den gesellschaftlichen Ursachen ihrer Leiden ab.

Charlotte Jurk

"Die Kultur der Digitalität"

Das Trio Infernale aus Behaviorismus, Digitalisierung und Neoliberalismus kritisiert auch der Kulturphilosoph Felix Stalder in seinem Buch "Die Kultur der Digitalität". Dort verweist er auf Colin Crouch und seine Kritik der "Postdemokratie", wo Demokratie zu Technokratie wird, die sich "Governance" nennt.

Die Öffentlichkeit wird den Technokraten zu einem behavioristisch lösbaren Problem, wenn etwa mittels "Nudgeing" Wähler manipuliert werden. Obama hätte so seine Wahlen gewonnen, Facebook die Prinzipien auf die Spitze getrieben (das Buch ist von 2016, also vor Trump, der ebenso manipulieren ließ, Stichwort: Cambridge Analytica).

Stalders Warnung: Anti-Aufklärung, Psychotechniken und Digitalkonzerne würden so Demokratie und Gesellschaft unterminieren.

Vielleicht wäre politische Achtsamkeit für demokratische Grundwerte eine gute Idee. Leider wohl eine, für die kein Digitalkonzern eine App entwickeln wird.

Wer Meditations-Apps oder kommerzielle Kurse nutzt, sollte wissen, dass Achtsamkeit in Yoga und Buddhismus nur ein Glied des "edlen achtgliedrigen Pfades" ist. Dazu gehören noch mindestens das nötige Wissen, die richtige Einstellung und der richtigen Lebenswandel - ohne die gelangt keiner durch Meditation zu tiefen Einsichten.

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