Die Schläger von Erdogans Leibwache traten in Washington ungeniert in Aktion

Screenhsot aus dem VOA-Video

Mit brutaler Gewalt griffen unter den Augen von Kameras Erdogans Leibwächter einige Demonstranten an, was deutlich macht, wie Gewalt derzeit in der Türkei gegen Andersdenkende exekutiert wird

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Wie türkischen Medien zu entnehmen ist, brachte Präsident Erdogan mit einer Militärmaschine sein eigenes gepanzertes Fahrzeug mit nach Washington, einen Mercedes-Maybach S600.

Es ist erst das zweite Mal, dass er auf türkische garantierte Sicherheit, wenn auch deutscher Fabrikation, in den USA setzt und sich nicht auf Fahrzeuge verlässt, die ihm von der US-Regierung offeriert werden. Erstmals soll er Anfang 2016 auf einer Lateinamerikareise seinen Wagen mitgenommen haben. Offenbar fühlt sich der Präsident stärker bedroht, dass er zu Donald Trump im eigenen Mercedes chauffiert wurde, kann vermutlich auch als Ausdruck von Erdogans Befindlichkeit und der Spannung mit den USA gewertet werden.

Aufsehen erregte vor zwei Jahren, dass Erdogan für den Direktor der Religionsbehörde eben einen solchen gepanzerten Mercedes im Wert von 385.000 US-Dollar kaufen ließ und nach der Aufregung versprach, dass dieser auch noch einen Privatjet kriegen soll. Das habe auch der Papst, was allerdings eine Lüge war. Der damalige Finanzminister Simsek sagte, die Ausgaben für solche Fahrzeuge seien "Peanuts".

Beim Gespräch mit Trump, der sich vermutlich zuvor mit dem russischen Außenminister Lawrow darüber verständigt haben dürfte, scheiterte Erdogan offensichtlich mit seinen Anliegen. Trump ging gar nicht darauf ein, was die Unterstützung der syrischen Kurden durch die USA betrifft, die Erdogan ein Dorn im Auge ist. Dass die Kurden in Syrien autonome Gebiete kontrollieren, war für ihn und seine AKP schon immer schlimmer als die Existenz von al-Qaida oder dem IS. Für Erdogan sind die syrischen Kurden der YPG ebenso wie die SDF-Verbände, denen sich auch bewaffnete Gruppen arabischer Stämme und anderer Ethnien angeschlossen haben, Terroristen. Er möchte verhindern, dass sie mit der Offensive auf Raqqa noch mehr Gebiete kontrollieren können.

Aber auch bei dem inneren Feind, dem ehemaligen Weggefährten Gülen, stieß er auf Widerstand bei Trump. Erdogan dringt auf die Auslieferung des Predigers, der für den gescheiterten Putschversuch verantwortlich gemacht wird, den Erdogan für eine massive Säuberungs- und Inhaftierungswelle zur Verbreitung von Angst und Schrecken in der Türkei nutzt. Trump forderte allerdings nur von Erdogan die prompte Freilassung des im letzten Jahr inhaftierten amerikanischen Pastors Andrew Brunson, der angeblich Mitglied der Gülenbewegung, offiziell genannt FETÖ (Fethullahistische Terrororganisation), ist.

Berichterstattung in der Türkei belegt die Ausschaltung der Presse- und Meinungsfreiheit

Zurückbleiben wird vom Besuch Erdogans in Washington aber vor allem, wie sich seine Sicherheitsleute und Leibwächter in Washington aufgeführt und damit das von Erdogan durchgesetzte Machtsystem demonstriert haben. Sie haben in aller Öffentlichkeit und vor laufenden Kameras ein paar Demonstranten vor der Botschaft, aber von dieser durch eine Straße getrennt, mit brutaler Gewalt angegriffen, auf sie eingeschlagen und mit Füßen auch noch auf die Gestürzten eingedroschen. Die amerikanische Polizei wurde von der Attacke zunächst offensichtlich überrascht, tatsächlich erwartet man dies nicht von Botschaftsangehörigen und Sicherheitspersonal eines ausländischen Staatsmanns. Weil es sich bei den Schlägern in Anzug um Angehörige einer ausländischen Regierung handelte, waren die Polizisten sichtlich darum bemüht, die Angreifer zurückzudrängen, sie aber nicht hart anzufassen.

Screenhsot aus dem VOA-Video

Dass die Vertreter des türkischen Staats, die teils türkischen Flaggen mit sich trugen, und Begleiter des türkischen Präsidenten, der gerne andere Länder als Nazi-Staaten bezeichnet, in aller Öffentlichkeit pro-kurdische Demonstranten mit brutaler Gewalt attackieren, zeugt davon, dass sie davon ausgehen, nicht belangt zu werden. Man kann daraus zurückschließen, wie Sicherheitskräfte und Regierungsvertreter in der Türkei mit Oppositionellen umgehen, da offenbar eine durch eine Protest geäußerte Kritik, ein fundamentales Recht jeder Demokratie, buchstäblich mit Füßen getreten wird.

In der Türkei herrscht nach Ausschaltung der freien Medien Schweigen oder verschleiernde Berichterstattung. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet staatstreu und im Sinne von alternativen Fakten, dass sich Anhänger der Terrororganisationen PKK und YPG mit einer nicht angemeldeten Demonstration vor der Botschaft versammelt hätten. Die Polizei habe unzureichend geschützt, ein Türke sei von den Demonstranten verletzt worden. Aufgrund der Untätigkeit der Polizei, so wird suggeriert, habe dann die Präsidentengarde eingegriffen. Näheres wird den Bürgern im eigenen Land vorenthalten, wo Kritik willkürlich mit Terrorismus gleichgesetzt wird.

"This is the United States of America. We do not do this here."

Die exzessive Gewaltausübung konnte auch die US-Regierung nicht einfach übergehen. Auch Trump-Gegner John McCain schaltete sich ein. Der Senator twitterte: "This is the United States of America. We do not do this here. There is no excuse for this kind of thuggish behavior."

Heather Nauert, die Sprecherin des US-Außenministers, teilte vor wenigen Stunden offiziell mit, dass Gewalt nie eine angemessene Reaktion auf Meinungsfreiheit sein könne. Die US-Regierung sei besorgt wegen der Gewaltausübung vor türkischen Einrichtungen, an der türkisches Sicherheitspersonal beteiligt war. Man teile der türkischen Regierung die Sorge in der strengst möglichen Form mit.

Immerhin wurden neun Menschen verletzt, zwei davon schwer. Verhaftet wurden zwei Männer, vermutlich Leibwächter, von denen einer auch einen Polizisten angegriffen hat. Peter Newsham, der Polizeichef von Washington, erklärte, dass man derartiges Verhalten nicht dulde. Erschwerend kam hinzu, dass einige der Erdogan-Wächter bewaffnet gewesen seien, weswegen deren Zurückdrängung schwierig gewesen sei. Washingtons Bürgermeisterin Muriel E. Bowser sprach von einem "gewalttätigen Angriff auf friedliche Demonstranten". Angekündigt wird, die Angreifer zu identifizieren und strafrechtlich zu belangen. Ob das mehr als eine Ankündigung sein wird, ist fraglich. Aber womöglich haben Erdogans Leibwächter nun den Bogen überspannt.

Ein Leser wies uns darauf hin, dass es bereits während der Lateinamerikareise von Erdogan einen ähnlichen Vorfall gab. Anfang Februar befand sich der türkische Präsident im Instituto de Altos Estudios Nacionales (IAEN) in Quito. Davor protestierten ein paar Menschen, vornehmlich Frauen, die von den Leibwächtern Erdogans angegriffen und geprügelt wurden.

Die ecuadorianische Regierung beschwerte sich über die Anwendung "unangemessener Gewalt" gegenüber Bürgern. Der Vizeaußenminister bestellte den türkischen Botschafter deswegen ein, verurteilte die Sicherheitskräfte und verlangte eine Erklärung der türkischen Regierung. Allerdings entschuldigte er sich auch für die bedauernswerten Rufe der Protestierenden bei Erdogan. Auch diese verurteilte er und nannte den türkischen Präsidenten einen Freund der ecuadorianischen Regierung.