Die Suche nach der Blauen Fee

A.I. oder der Pinocchio der Zukunft

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Unmittelbar nach dem perfekt maskierten Flugzeugattentat auf World Trade Center und Pentagon präsentiert der in Deutschland angelaufene Film "A.I.- Artificial Intelligence" - das Science-Fiction-Märchen von Steven Spielberg und Stanley Kubrick - ein apokalyptisch zerstörtes New York, das in 2000 Jahren von friedlichen Außerirdischen Intelligenzen wieder aufgesucht wird. Allerdings ist Manhattan wie andere Küstenstädte seit Unzeiten, also in nicht allzu fernen Jahren, durch den Treibhauseffekt und die Schmelzung der Polareiskappen überschwemmt. Ein posthumanes Szenario, in dem ein ausgesetztes Roboterkind zur letzten Flaschenpost einer abwesenden Spezies und einer rückläufigen Zivilisation wird, die zuletzt ihre Gefühle und Emotionen in Maschinen einprogrammiert hat, während sie an den Folgen ihres herzlosen Wachstums zugrunde ging.

Damit ist bereits die dialektische Botschaft dieses an der Oberfläche scheinbar naiv und einfältig daherkommenden elektronischen Fairy-Tales umschrieben. Seit den 70er Jahren sah sich Stanley Kubrick von Brian W. Aldiss Kurzgeschichte "Superspielzeug hält nur einen Sommer lang" zu einem möglichen Film inspiriert.

Aldiss hält in seiner "Vignette, einem skizzenhaften literarischen Entwurf - erstmals im Dezember 1969 in Harper's Bazaar erschienen" (Aldiss) - die ambivalente Momentaufnahme des Roboterjungen David beim Spiel mit Teddy im Kinderzimmer fest, der auf seine menschliche Adoptivmutter Monica Swinton mit einem Übermaß an Zuwendung und Liebe reagiert, ohne dabei auf entsprechende Gegenliebe zu stoßen. Und er weiß nicht, dass er ein Androide ist, der als Spielzeug für gefühlsarme Erwachsene dient, die wegen der Geburtenbeschränkung kein eigenes Kind bekommen dürfen.

Die vorhergehende Programmierung und die mögliche spätere Entsorgung Davids wird nur angedeutet. Im Ton einer sentimentalen Kinderbuchgeschichte wird das potentielle Seelendrama, die mögliche Initialzündung eines eigenen emotionalen Bewusstseins im Roboterjungen David nur vorbereitet, wird seine erwachende Selbstwahrnehmung in ein synthetisches Ambiente eingebettet, in dem elektronische Bildwände ewigen Sommer simulieren und damit die konsequente Künstlichkeit der menschlichen Macher und Partner des kleinen Robotboys symbolisieren. Die Frage der ethischen Einschätzung einer speziesübergreifenden Kommunikation wird an den Rand der Erzählung verschoben.

Aldiss infantile Kurzgeschichte gegen Collodis Kinderhospitalismus

Brian W. Aldiss hat Kubricks Versuche, die Zusammenarbeit bis in die 90er Jahre zu dem dann offiziell angekündigten "A.I."-Filmprojekt voranzutreiben, im Vorwort zu den insgesamt drei David-Geschichten (bei Heyne) geschildert. Wieder einmal ist von Kubricks Perfektionswillen und seiner beharrlichen Konsequenz die Rede, an bestimmten Ideen trotz aller Einwände festzuhalten. Nach dem Tod Kubricks kehrte Aldiss zu "Super-Toys" zurück und war für Spielberg bereit, an der Fortspinnung der Geschichte zu arbeiten und Davids Erfahrung der eigenen Künstlichkeit und seine Odyssee zu erzählen.

Kubrick hatte Aldiss eine Ausgabe von Carlo Collodis "Pinocchio" zukommen lassen. Aldiss sträubte sich zunächst gegen das Vorhaben, "Super-Toys" auf der Folie von Pinocchios Reisen und Abenteuers auszubauen. Collodis Klassiker (1881/3) aus dem Italien des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist freilich alles andere als eine harmlose Kindergeschichte, vielmehr einer schrägen Kombination aus Pygmalion und Oliver Twist. Gerade am Modell des strapazierfähigen Holzmännchens Pinocchio, tobt sich die Imagination eines sadistischen pädagogischen Bewusstseins von Holzschnitzern, Gendarmen, Zirkusdompteuren an den Verletzungen, Traumata und Narben des kindlichen Gemüts aus, um den Eigenwert des kindlichen Bewusstseins und die Sensibilität im Umgang mit Heranwachsenden nur in vorübergehenden Momenten zuzulassen.

Erst die Umkehrung des Blicks erlaubt diese Einschätzung: Foucaults Lehre von der unerbittlichen Formation des Individuums durch die Gesellschaft, das ständige "Überwachen und Strafen", das Fundament der Disziplinargesellschaft, die primär militärisch-strafrechliche Eintrichterung von korrektem Verhalten im öffentlichen Raum und die erst nachträgliche Sublimierung dieser Techniken durch Psychologie und Pädagogik in der Sphäre des vermeintlich Privaten und Individuellen: all dies konnte sich an einem rohen, gut brennbaren Stück Holz, einem ewigen hässlichen Entlein, einem holzgeschnitzten Prinz, der keiner war, um so drastischer manifestieren. Der lang hingezogene Episoden-Roman spielt ungleich stärker als ein kürzeres Märchen mit den Hoffnungen der kindlichen und kindischen Leserschaft auf Erlösung aus dem depressiven Szenario einer Kindheit als Kinderasyl ist.

Kubricks utopiekritische Mecha-Vision

Die Mitte der 90er Jahre lancierte Pressemeldung zu A.I. ließ aufhorchen und an ein zweites "2001" mit den tricktechnischen Möglichkeiten des mittlerweile digitalisierten Kinos denken. In Jan Harlans aufschlussreichem Dokumentarfilm "Stanley Kubrick - A life in Pictures" (in der aktuellen WarnerBros-Gesamt-DVD-Edition) wird deutlich, dass Kubricks Schaffenskurve in seinem Spätwerk - nach dem nochmaligen Kassen-Erfolg von "Shining" - in eine Dauerkrise geriet: Die Produktion von "Full Metall Jackett" fiel in einen Zeitraum von 7 Jahren und wurde überschattet von Konkurrenzprojekten wie Oliver Stones patriotischem Vietnamfilm "Platoon". Das Holocaust-Projekt "Aryan Papers" nach Begleys "Lügen in Zeiten des Krieges" war durch Spielbergs "Schindlers Liste" ebenso erledigt.

Christiane Kubrick, die Witwe des verstorbenen Regisseurs, sowie Schwager und Produzent Jan Harlan geben zu verstehen, dass Kubrick in seiner akribischen Inszenierungsweise dem höllischen Arbeitstempo von Hollywood nicht nachkommen konnte und wollte, und so lange gehegte Projekte ersatzlos streichen musste, obwohl sie unter seiner Regie eine völlig andere Handschrift bekommen hätten. Aufgrund des außerordentlichen Erfolges von "Jurassic Park" bot Kubrick Stephen Spielberg eine Koproduktion mit selbständiger Regie an. Die Geschichte des Roboterjungen war in einem Treatment von Kubrick mit den visuellen Skizzen seines Stabes schon ausführlich bis zum Ende entworfen worden. Man erwartete von Spielberg und Industrial Light and Magic vor allem eine feinfühlige Regie mit einem elektronischen David, sowie von Stan Winston animatronische Detail-Arbeit, um reibungslose Verzahnungen zwischen menschlichem Schauspiel, verschiedenen funktionalen Puppen und elektronischem Display herzustellen.

"Natürlich hätte im Film ein kleiner Junge die Rolle übernehmen und so tun können 'als ob'. Als Perfektionist wollte Stanley unbedingt einen tatsächlich künstlich konstruierten Menschen, das Für und Wider sprachen wir ausführlich durch. Dabei war als erstes ein technisches Problem zu bewältigen: Der kleine Bursche sollte sich möglichst menschenähnlich bewegen, er sollte wie ein kleiner Junge gehen, sitzen, sich umdrehen usw." (Aldiss)

Schon der sprechende HAL in "2001" bezog seinen Charme aus einem artifiziellen Kindchenschema, aus der Divergenz zwischen überlegener Intelligenz eines körperlosen Großrechners in Verbindung mit der hinterhältigen Stimme eines scheinbar uneingeschränkten emotionalen Selbstvertrauens.

Spielberg hat sich in seiner Produktion anders entschieden und David von einem Menschen darstellen lassen. Ob elektronisch oder menschlich, Davids Rolle musste erst einmal präzisiert werden, über Aldiss emotionale "Momentaufnahme" und Collodis sentimental-sadistischen Erzählverlauf hinaus. Die totale elektronische Umsetzung konnte nicht der richtige Weg sein, sie musste eher aufgebrochen werden zugunsten eines unglücklichen elektronischen Selbstbewusstseins (Hegel) unter der biomorphen Hülle, die sich wachsender humanoider Expressivität bediente. Neben dem Einsatz menschlicher Darsteller gibt es Davids sprechenden Kuschelbegleiter "Teddy" (aus Stan Winstons Studio in Gestalt von sechs Puppen mit verschiedenen Servomotoren) sowie eingestreute Spezialeffekte (von Dennis Muren), in denen David und andere Roboter ihre mechanischen Innenteile oder ihre materielle, nichtbiologische Beschaffenheit fast wie in intimer, sexueller Entblößung offenbaren:

"Viele neuartige Effekte beruhen darauf, dass einige Teile des Roboters mit einem blauen Feld abgedeckt wurden - auf dieser leeren Fläche fügte man später Computergrafiken hinzu. Durch diese Technik bekommt der Zuschauer den Eindruck, dass er in das Inneren eines lebenden und arbeitenden Wesens blickt - die tickende und summende Mechanik unter der synthetischen Haut wird sichtbar."

Aber damit nicht genug, die emotionale und körperliche Amputation der Schauspieler wurde nicht zufällig zum visuellen und konzeptuellen Angelpunkt der Ästhetik:

"Die Arbeit mit (behinderten) Darstellern, die solche besonderen Fähigkeiten mitbringen, war besonders erfreulich", sagt Stan Winston. "Was man physisch als Nachteil ansehen kann, erwies sich in Bezug auf diese Rolle als Vorteil. Mit einem Amputierten, Dave Smith, bin ich befreundet. Er spielte den Schweißer-Roboter, der den einen Arm direkt als Schweißgerät benutzen kann."

Die Last der Rolle liegt also auf den Schultern des jungen Darstellers Haley Joel Osment. Und damit auf der analogen Darstellung des robotisierten und amputierten Schauspiels, um den digitalen Effekt einer Maschine nachzustellen, die sich auf die Suche nach dem Gefühl macht. Osment spielt seinen David mit Bravour, in der richtigen Balance zwischen Starrheit und Flexibilität, Hartnäckigkeit und Staunen.

Der mechanische Mensch, das von Plänen und Obsessionen beherrschte Wesen, ist in gewisser Weise immer Kubricks Thema gewesen: Sklaven, Soldaten, Kalte Krieger, desinformierte Astronauten, unprogrammierte Gewalttäter, karrieristische Adelige, paranoische Familienväter und eifersüchtige Ehepartner. Der entscheidende Punkt für die Regiearbeit an der Rolle des kleinen Davids war für Stanley Kubrick die Dialektik von Programm und Umsetzung, Umstoß und Katastrophe, Manipulation und Befreiung.

Spielbergs ehrenvolles Scheitern

Spielberg hat in seiner Regie den Kubrickschen Geist einzufangen versucht. Und ist damit in gewisser Weise auf der formalen Ebene an dem Projekt "A.I." gescheitert, wenn auch in allen Ehren. Zwar hat er gelegentlich beim Dreh den Spruch gewagt: "Ich fühle, dass er hier ist." Doch für Kubrick ging Handwerk vor Geisterbeschwörung. Im Endschnitt springt der Film in der für Spielberg typischen Erzählweise zwischen verschiedenen emotionalen Positionen, teils zur Anteilnahme einladend, teils nur Mitleid erheischend, hin und her, ohne dass dabei die raffinierten Erzählumbrüche und Spannungsbögen im Stil Kubricks erreicht werden.

Zunächst werden Roboter wie David als eine Pioniertat des Konzerns Cybertronics vorgestellt: das erste persönliche Mecha-Kid, das von einer kinderlosen Mutter für eine persönliche Beziehung aktiviert werden kann, also die Industrialisierung der Liebe. Und der Einsatz von David in der Familie Swinton gleicht einem weiteren Test für den allgemeinen Absatz. In diesem Arrangement liegt bereits der technologische und ethische Vorbehalt, den die Swintons selbst ausbaden müssen. Es gibt zwei halbherzige, kalte Väter, den Konstrukteur, Professor Hobby (William Hurt), und den Ehemann Henry Swinton (Sam Robards), der als abhängiger Konzernangestellter sich zum Experiment überreden lässt. Bei Aldiss ist Swinton selbst leitender Angestellter, dann sogar Chef der Robotfirma und, nach seinem Ausstieg, sorgender Vater, der wie Collodis Meister Geppetto sich auf die Suche nach dem verlorenen Sohn macht.

Im Film weist Swintons Frau Monica (ergreifend von Frances O'Connor dargestellt) längere Zeit das Mecha-Kind zurück, allerdings nicht aus Lieblosigkeit, sondern aus Verlangen nach wahrhaft erfüllter Liebe zwischen Menschen. Ihr natürlicher Sohn Martin (Jake Thomas) liegt nach einem Unfall zunächst im Koma, taucht aber in der Folge als Konkurrent auf, der David mit allen Mitteln bekämpft. Er verführt ihn zu Handlungen, die ihm angeblich die ersehnte Liebe einbrächten, die Mitmenschen aber in Wahrheit nur immer weiter verunsichern.

Spielberg versammelt zwar alle diese vielschichtigen Motive auf der Leinwand, stellt sie aber als Patchwork zu illustrativ nebeneinander, statt sie zur subtilen und sanften Kunst des unmerklichen Übergangs im Sinne Kubricks miteinander zu verbinden. John Williams wohlmeinend durchkomponierte Musik steigert diesen Eindruck der Bebilderung und steht farblos gegenüber den zum Bild kontrastiven Soundtracks, wie sie Kubrick während der Drehs aushorchte. Dort, wo David der Sentimentalität der Mutter und der Zuschauer sicher sein kann, ist Spielberg ganz beim Familiengeist von "E.T." Um sich immer wieder von dieser Erzähllinie loszureißen und Kubricks Testament zu vollstrecken, drängt er Davids Mutter in manchen Momenten zum Rückfall in die Darsteller-Hysterie der 70er.

Auf diese Weise wird Davids krisenhafte emotionale Spätgeburt, die Störung der industriell vorprogrammierten und individuell aktivierten Liebe allzu deutlich. Die extranatale Aktivierung seiner Sensibilität und die von Angst diktierten Reaktionen der Familie, die David klarmachen, dass er "nicht echt", kein Mensch sein kann, schaukeln sich immer eindringlicher auf und gipfeln in der Isolierung und Aussetzung des Mechas. So reißt David, Schutz suchend vor den Angriffen der jugendlichen Gäste, das Geburtstagskind Martin mit in den Pool. Bei der anschließenden Rettung des leiblichen Sohnes bleibt David selbst mit starren Augen und erhobenen Armen auf dem Grund liegen, abgetrieben als lebend-totes Objekt, das in seiner Ausgegrenztheit lebendiger und überzeugender erscheint, als wenn es der Familienliebe sicher wäre.

Ich zweifle, also bin ich - oder: die Fee hilft weiter

Auf seiner anschließenden Odyssee durch eine verbotene Welt der maschinenzerstörenden Fleischfeste und der computergestützten Unterhaltungslüste in Rouge City erhält David den steppenden Roboter-Gigolo Joe (genial: Jude Law, "Gattaca", "eXistenZ") zur Seite. David - die mittlerweile verstörte emotionale Momentaufnahme - eines unwandelbaren Jungen kann mit dem infantilen Teddy und dem quasi-erwachsenen Sex-Spezialisten Joe als eine Maschinen-Trias für optisch verschiedene Altersstufen auftreten, obwohl ihnen biologisches Wachstum und Altern sowie der damit verbundene Erfahrungsschatz für sich selbst unzugänglich bleiben.

Joes Sexotainment hat virtuose Aspekte, die an den Terminator 1000 erinnern, handyartige Melodien dröhnen aus seinem phosphoreszierenden Kopf, Haarfarbe und Erscheinungstyp variieren je nach liebestoller Kundin. Die Struktur einer morphenden Service-Identität, das "Ich-bin-der-für-den-du-mich-hälst" stellt die Subjektlosigkeit und Teilunselbständigkeit dieser humanoiden Apparate deutlich zur Schau: Während David der Abhängigkeit durch übertriebene Romantik entrinnt und sich dabei nur tiefer verstrickt, macht Joe aus der Romantik eine handfeste Dienstleistung. Er ist die perfekte Jukebox mit Streicheleinheiten. Wohltuend lockert seine musical-förmige Performance die schwermütige Sinnsuche des Films auf.

Die Motive der Pinocchio-Odyssee werden in ein futuristisches, allerdings antiquiert wirkendes Szenario transformiert. Aus dem furchterregenden Puppenspieler Feuerfresser wird Lord Johnson-Johnson (Brendan Gleeson), der fundamentalistische Bluthund, der von der gespenstischen Mond-Gondel ausgemusterte und amputierte humanoide Apparate verfolgt, um ihre Vernichtung in einer irren Rockshow als wahrhaft menschliches Verhalten zu feiern. Die Simulation sei die Ursünde des elektronischen Zeitalters. Und die immerwährenden pädagogischen Bemühungen Collodis werden umgestaltet zum kabarettistischen Internet-Orakel des "Dr. Know".

Monica las David aus "Pinocchio", von der blauen Fee vor, in einer blauen Stunde vor einem Zu-Bett-Gehen, das für den nimmermüden David eigentlich überflüssig war und nur für Monica eine Ersatzhandlung für den vermissten Martin war. Nun spukt die märchenhafte Verwandlung in Davids Kopf herum: die Sehnsucht, einen Zauber zu finden, der ihn von der Last eines Schattenkindes, eines künstlichen Doppelgängers befreit. Und es soll die Fee sein, eine Figur zwischen Mädchen, Frau und Mutter, die schon bei Collodi sich in wechselnden Gestalten liebevoll um den Kleinen kümmert und ihm, voller Verständnis für alle seine Schwächen, Laster und Fehler, die Botschaft des Lebens vermittelt. Dabei wird sie immer wieder recht abrupt in die Erzählung ein- und ausgeblendet, als habe Collodi den Liebesentzug wohl einkalkuliert. Am Ende erscheint diese weibliche Figur wie in einer "La Traviata"-Aufführung dahingerafft, krank liegt sie in einem Hospital. Durch diese bewusste Modernisierung durchlöchert Collodi sein Märchen, lenkt es um ins Zeitgemäße. Die kapitalistische Moral der Fee: Der Wandel vom Holzbuben zum Menschen und die Anerkennung seien nur durch Arbeit und tugendhaftes Verhalten zu erwerben, nicht aber durch unstetes Umherschweifen und pubertäre Flunkereien:

"Oh, wenn ich nur ein kleines bisschen Herz gehabt, hätte, würde ich nie meine gute Fee verlassen haben, die mich lieb hatte wie eine Mutter und die so viel für mich getan hat!... Und zu dieser Stunde wäre ich kein Holzbube mehr... sondern wäre stattdessen ein ordentlicher Junge, wie es deren viele gibt!"

Aber was wird aus dieser Braven-Jungen-Moral am Ende der Arbeitsgesellschaft, wenn der narzisstische Bedarf nach Selbstbestätigung im digitalen Servofeld keine Schranken mehr kennt? Für das Super-Toy David ist die blaue Fee die Idee, aus der Matrix des überflüssigen Luxus-Roboters herauszutreten und etwas Unentbehrliches und Einzigartiges zu werden, genau das, was er als noch unvollkommener Prototyp nicht sein kann.

Die Suche nach der Blauen Fee droht im Absurden zu enden, wenn David auf der Reise ins versunkene New York, dort, wo die "Löwen weinen", die Wasserspeier der halb überschwemmten Wolkenkratzerruinen immer noch intakt sind, auf den Schöpferirrsinn des Professors und Übervaters Hobby stößt: Dieser konfrontiert ihn unbarmherzig mit seinem natürlichen Vorbild: Dem verstorbenen Sohn Hobbys und ebenso mit seinen zahllosen industriellen Brüdern, mit "tausend identischen Davids" (die von Aldiss an Spielberg verkaufte Wendung). Durch diese Begegnung wird Davids Expedition in die eigene individuelle seelische Menschwerdung beinahe zunichte gemacht. Einzig der Glaube an die eigene Verwandlung hält David von einem tragischen Ende ab.

In den Fluten der untergegangenen Metropole entdeckt er die Blaue Fee als Figur eines Pinocchio-Themen-Parks wieder. Er bringt die Madonna in den Lichtkegel seines Amphibienfahrzeuges, denn nun sieht er sich in der Lage, das Objekt seiner Begierde zu aktivieren. Schöpfer und Geschöpf, Subjekt und Objekt verkehren sich in spiegelförmiger Vertauschung. Und doch bedarf es zunächst der wundersamen Spanne von 2000 Jahren, damit der Planet erneut vereist, im teilweise wiederaufgetauchten New York Außerirdische landen und in David einen letzten Repräsentanten der ausgestorbenen Spezies Mensch entdecken können. Erst durch die außerirdische Intelligenz kann die Lücke zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz, mechanischem Sensorium und humanem Bewusstsein geschlossen werden. Die Außerirdischen aktivieren David nicht nur, sie erfüllen seinen Wunsch, von Monica wenigstens einmal geliebt zu werden. Damit leiten sie seine wahre Geburt ein und schenken ihm einen unvergesslichen, von Spielberg gefeierten Tag, an dem David aus seinen Erinnerungen heraus noch einmal wie in einem wahrgewordenen Feentraum die Beziehung mit Monica ungekränkt durchleben kann.

Aldiss hat zur Arbeit mit Kubrick am Finale bemerkt, man habe "New York in den Fluten versinken" lassen, damit die "'blauhaarige Fee' aus eben diesen Fluten wieder auftaucht", um Davids personale Existenz zu vollenden. So wie sich das Finale bei Spielberg jetzt darbietet, scheint David mit seiner Blauen Fee komplett untergegangen zu sein, als mechanischer Tropfen im Ozean der Muttergefühle. Die Gleichung von Maschine-Mensch-Gott, die Kubrick in "2001" aufgegeben hatte, wäre in Kubricks "A.I." sicher etwas anders gelöst worden.