Die Toten von Butscha: Russland in Beweisnot

Tote Frau in Butscha. Bild: Відео: Військове телебачення України/Wikimedia/CC BY 3.0

Die Plausibilität, dass russische Soldaten für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, ist höher als die Behauptung einer "Inszenierung". Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt, die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger schaltet den Generalbundesanwalt ein

Der Beweisdruck auf Russland zu den Gräueltaten in Butscha wächst. Nach Berichten der letzten Tage zum tödlichen Geschehen in dem Vorort von Kiew ist die Plausibilität, wonach russische Soldaten für die Getöteten verantwortlich sind, höher als eine andere Version.

Vertreter der russischen Regierung verteidigen sich bis dato mit dem Vorwurf, dass die Schuldzuweisungen auf Material beruhe, das "inszeniert" sei. Handfeste Beweise dafür von offizieller Seite stehen noch aus. Hinweise auf Videos in sozialen Netzwerken sind keine überzeugende Grundlage (wie etwa hier exemplarisch im Fall des Einsatzes von TikTok-Videos im beiderseitigen Informationskrieg gezeigt wird), solange man ihre vorgebliche Beweiskraft nicht mit einem genauen, verifizierbaren Kontext und dokumentierten Angaben unterlegt.

Aussagen aus der lokalen Bevölkerung

Demgegenüber stehen besonders Aussagen von Bewohnern Butschas (siehe besonders eindringlich hier). Sie kommen auch in einem aktuellen Video-Beitrag der Washington Post zur Sprache. Das Video berichtet über vorläufige Ergebnisse der Untersuchung der Toten in Butscha, die ein ukrainisches Untersuchungsteam, bestehend aus einem Staatsanwalt sowie "Polizei, Ermittler, Offizieren und Spezialtruppen" herausgefunden hat.

Die vorläufige Beweislage bestätige die Verwicklung der russischen Armee in diese Morde, so der Staatsanwalt, der von einem "Kriegsverbrechen" spricht und auf Spuren an den Leichen zeigt, die von Folter zeugen.

Er erwähnt, dass von der lokalen Bevölkerung, Opfern wie auch Zeugen von Gewalttaten, Aussagen gemacht wurden, wonach russische Soldaten Menschen grundlos getötet hätten. Er nennt konkrete Vorfälle.

Drei Gruppen würden daran arbeiten, die Mörder und Folterer zu ermitteln. "Wir haben bereits die vollen Namen von Mitgliedern der russischen Streitkräfte ermittelt, die im Bereich Butscha stationiert waren." Die untersuchende Task-Force und die Staatsanwälte würden diejenigen, die an den Grausamkeiten beteiligt waren, vor Gericht bringen.

Stadt unter der Kontrolle der russischen Armee

Nach Informationen des russischen Exilmediums Medusa, über die heute n-tv in Deutschland berichtet, unterlegt mit Videos und Satellitenaufnahmen, könne man "mit hoher Sicherheit" davon ausgehen, "dass Dutzende von Zivilisten in Butscha getötet wurden, während die Stadt unter der Kontrolle der russischen Armee, der russischen Strafverfolgungsbehörden und des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) stand".

Es heißt dort allerdings auch:

Die Umstände, unter denen die Zivilisten starben, waren unterschiedlich. Einige wurden sofort erschossen, als das russische Militär sah, dass sie sich einem russischen Konvoi näherten. Andere wurden hingerichtet, nachdem sie von russischen Streitkräften festgenommen worden waren. Die genauen Umstände eines Großteils der Tötungen können noch nicht ermittelt werden.

Meduza

Satellitenaufnahmen, die dem Argument widersprechen, dass die Menschen erst getötet worden seien, als die russische Armee schon abgezogen war, wurden bereits vor ein paar Tagen von der New York Times veröffentlicht.

Der BND und Funksprüche

Größeres internationales Aufsehen erregte ein Bericht des Spiegel (in der englisch-sprachigen Fassung online ohne Zahlschranke zugänglich). Demnach gelang es dem BND über abgefangene Funksprüche "forensisch klar nachzuweisen" (Tagesschau), dass russische Staatsangehörige für die Ermordung der Zivilisten verantwortlich seien.

Nach Informationen des Spiegel verfügt der Auslandsgeheimdienst einerseits über neue Satellitenbilder, zudem hat er belastende Funksprüche russischer Militärs aus der Region nördlich von Kiew abgefangen, wo auch Butscha liegt. Einzelne dieser Funksprüche, in denen es um Morde an Zivilisten geht, könnten sich Bildern von Leichenfunden in Butscha zuordnen lassen.

Spiegel

Die Tagesschau berichtet, dass Fraktionskreise des Bundestags bestätigt hätten, dass der BND diese Ausführungen gemacht habe.

Eine Korrektur

Bemerkenswert ist, dass der Spiegel eine Korrektur gegenüber dem ursprünglich veröffentlichen Bericht vornehmen musste. In der früheren Version sei davon die Rede gewesen, dass die abgefangenen Funksprüche des BND sich auf Morde von Zivilisten in Butscha bezogen habe – ("in denen Morde an Zivilisten in Butscha besprochen wurden. Sie seien in Butscha fotografierten Leichen zuzuordnen"). Das wurde korrigiert:

Weitere Recherchen haben ergeben, dass die Gespräche geografisch nur der Region nördlich von Kiew zuzuordnen sind, auch wenn sie deutliche Parallelen zu den Tötungen in Butscha aufweisen. Wir haben daher unsere Formulierungen angepasst.

Spiegel

Da war man offensichtlich etwas voreilig mit der Zuordnung. Was nicht sonderlich verwundert, da die Plausibilität der Vorwürfe gegen russische Soldaten derart ist, dass viele Medienberichte fest überzeugt davon ausgehen, dass die Schuldfrage ohne Zweifel geklärt und eindeutig ist.

Das Pentagon zeigte sich Anfang der Woche, wie berichtet, vorsichtiger:

Das US-Militär ist nicht in der Lage, ukrainische Berichte über Gräueltaten russischer Streitkräfte an Zivilisten in der Stadt Butscha unabhängig zu bestätigen, hat aber auch keinen Grund, diese Berichte zu bestreiten, sagte ein hochrangiger US-Verteidigungsbeamter am Montag.

Reuters

Die Vorgänge in Butscha müssen jedenfalls noch genauer untersucht werden. Die Beweise sollten nicht nur von ukrainischer Seite kommen, zumal wenn ukrainische Offiziere beteiligt sind wie bei der Taskforce im Video der Washington Post.

Forensische Experten aus der EU, der Internationale Strafgerichtshof und der Generalbundesanwalt

Den Angaben des ehemaligen UN-Sondergesandten für Folter, dem Juristen und Menschenrechtsanwalt Manfred Nowak, zufolge, die er heute Morgen machte, sind "bereits Leute des Internationalen Strafgerichtshofs vor Ort (in Butscha; Einf. d.A.) oder müssten in der nächsten Zeit dort hinkommen – vor allem forensische Experten. Weil nur diese können genau feststellen, wie jemand zu Tode gekommen ist".

Nowak hält es fürs Beste, wenn der Internationale Strafgerichtshof direkt diese Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen untersuchen würde. "Weil der Internationale Strafgerichtshof durch die Ukraine ja einseitig für zuständig erklärt wurde und das gilt für alle Verbrechen, die auf dem Gebiet begangen wurden - gleichgültig von wem."

Laut dem EU-Kommissar für Justiz, Didier Reynders, sollen europäische Experten die Untersuchungen unterstützen, wie mit dem ukrainischen Justizminister Denys Maliuska vereinbart wurde. Dass die EU zur Aufklärung der Kriegsverbrechen Ermittlungsteams in die Ukraine schicken will, wurde bereits am Montag berichtet. Die EU-Justizbehörde Eurojust und die Strafverfolgungsbehörde Europol seien zur Unterstützung bereit.

Die FDP-Mitglieder Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhard Baum haben gestern Strafanzeige beim Bundesgeneralanwalt gestellt.

"Mit unserer Strafanzeige richten wir uns nicht nur gegen die politische Ebene, Putin und die Verantwortlichen in seinem Sicherheitsrat, sondern gerade auch gegen die militärische Ebene, Befehlsketten; wir führen mehrere, ganz konkrete Einheiten auf, bis dahin, dass Soldaten, die jetzt im Einsatz sind für Russland in der Ukraine, auch sich Kriegsverbrechen schuldig machen können", sagte Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. "Wir wollen nicht zuallererst die politische Ebene verfolgen lassen, sondern viel viel breiter streuen."

Das BKA müsste im Auftrag des Generalbundesanwalts ermitteln, so die ehemalige Justizministerin. Rechtsgrundlage sei das "Weltrechtsprinzip" des Völkerstrafrechts, das seit 2002 nationales Gesetz in Deutschland sei.