Die Volksparteien haben das Volk belogen und betrogen

Seite 2: Die entwickelten Demokratien sind keine Leistungsgesellschaften

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Die Superreichen des Geldadels arbeiten nicht und sie leisten nichts. Sie lassen ihr Kapital arbeiten. Sie sind keine Unternehmensgründer und auch keine Unternehmenslenker. Sie sind Anleger und verwalten das Vermögen, das ihre Väter und Großväter geschaffen haben.

Doch Geldvermehrung durch Vermögensverwaltung ist keine Leistung. Die Geldelite ist auch keine Leistungselite. Die Politik der Volksparteien hat diese gigantische Umverteilung von unten nach oben auf jeden Fall nicht verhindert. Im Gegenteil, sie hat nach Kräften mitgeholfen, sie wachsen und gedeihen zu lassen.

Wer mit seinem Vermögen Geld verdient, zahlt pauschal 25 Prozent Kapitalertragssteuer. Wer sein Einkommen durch Arbeit erzielt, zahlt hingegen bis zu 45 Prozent.

Das demokratische System schafft keine Gerechtigkeit. Es schafft krasse Ungerechtigkeit und lässt sich davon auch durch nichts abbringen. Die entwickelten Demokratien bestreiten inzwischen gar, dass sie überhaupt dafür zuständig sind, soziale Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen.

Die Superreichen tragen in immer geringerem Maße zum Gemeinwohl bei, obwohl sie für sich selbst doch so gern das Bild von der Lokomotive in Anspruch nehmen, die den Zug des allgemeinen Wohls in Fahrt bringt. Doch sind sie noch nicht einmal ein Bummelzug, sondern eine Riesenbremse.

1960 trugen die Gewinnsteuern der Kapitaleigentümer etwa 35 Prozent zu den Einnahmen des Staats bei, während die Massensteuern der arbeitenden Menschen nur ein bisschen mehr aufbrachten, nämlich 38 Prozent. Zwischen Kapital und Arbeit herrschte damals noch so eine Art fragiles Gleichgewicht.

Heute zahlt das Gros der Bevölkerung mit seinen Massensteuern 71 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Die Gewinnsteuern liegen unter 20 Prozent. Also wächst der Reichtum des Geldadels ganz von selbst. Er braucht nicht einmal selbst etwas dafür zu tun. Er kann sich hinsetzen und dabei zuschauen, wie sein Vermögen blüht und unaufhörlich wächst. Und das wächst schneller als das Gras im Sommerregen dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Volksparteien.

Die oberste Oberschicht ist fein ‘raus. Den Staat finanzieren die arbeitenden Menschen aus der Mittelschicht. Die Angehörigen der obersten Oberschicht tragen noch nicht einmal richtige Peanuts dazu bei. Doch wie lange wird das noch möglich sein, wenn die Mittelschicht weiter schrumpft? Denn deren Wohlstand sinkt.

Hier zeigt sich einmal mehr die selbstzerstörerische Eigendynamik der entwickelten Demokratien. Die einzige Bevölkerungsschicht, auf der das politische und wirtschaftliche System dauerhaft ruht, wird nach und nach von den Rändern her angefressen und aufgezehrt. Und das wird so lange gehen, bis die Mittelschicht im Kern vernichtet ist.

Die Armutsgefährdungsquote beträgt im Bundesdurchschnitt 15,8 Prozent. Sie wächst seit Jahren unverdrossen. Für eines der reichsten Länder der Welt ist das eine Schande. Es ist dies aber nicht das Werk eines finsteren Diktators, der sein Volk aussaugt. Es ist das Werk einer durch das System des demokratischen Parteienstaats ermöglichten, teils gewissenlosen, teils gleichgültigen und teils einfach auch nur hilflosen und unfähigen Politikerkaste, die sich ständig mehr mit sich selbst beschäftigt und der das eigene luxuriöse Hemd näher als die Hosen der breiten Bevölkerung ist.

Der Demokratie liegt der Glaube an eine Gesellschaft zu Grunde, in der die soziale Ungleichheit vor allem auf Leistung und Arbeit beruht, nicht auf Abstammung, Erbe und Kapital. In der Demokratie gerät sonst die proklamierte Gleichheit der Rechte aller Bürger in schreienden Gegensatz zur real existierenden Ungleichheit der Lebensverhältnisse. Ohne rationale Rechtfertigung lässt sich diese Ungleichheit nicht ertragen…

Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Kenneth Rogoff spricht davon, dass heute längst wieder Vermögensmacht wie zu Zeiten der rücksichtslosen "robber barons" im 19. Jahrhundert, des entfesselten Raubtierkapitalismus und auf dem Höhepunkt der Ungleichheit herrscht.

Die Kluft zwischen arm und reich geht weltweit rasant auseinander. Die entwickelten Demokratien feiern die Wiederauferstehung des unkontrollierten Frühkapitalismus in abgewandelter, moderner Form.

Die demokratisch gewählten Entscheidungsträger in den herrschenden Volksparteien tragen die Hauptverantwortung für diese unheilvolle Entwicklung. Sie haben die entscheidenden Weichenstellungen durchgesetzt und die Unternehmenssteuern und die Steuern auf Kapitaleinkünfte und Vermögen radikal gesenkt. Sie sind eben nicht die Vertreter der Interessen ihrer Wähler, sondern die Handlanger der Plutokraten.

Die resultierende Strukturveränderung ist eine unmittelbare Folge fehlender Besteuerung von Unternehmen und Superreichen durch die Volksparteien sowie der Staatsverschuldung. Sie hat dazu geführt, dass heute viel zu viel Geld in der Welt im Umlauf ist. Und je mehr Geld zirkuliert, desto wichtiger wird es. Heute beherrscht die Geldwirtschaft die Realwirtschaft, statt ihr zu dienen.

Das politische System mit seinem umfangreichen Apparat und der Notwendigkeit für die Volksparteien, Wahlen zu gewinnen und das mit Wahlgeschenken zu finanzieren, haben die Finanzen der entwickelten Demokratien in aller Welt und auf allen Ebenen ruiniert.

Die politische Kaste mit ihren zehn- bis zwanzigtausend Personen verbraucht nicht nur für sich selbst große Geldmengen. Sie verursacht vor allem eine immense Fehlleitung von Steuereinnahmen. Das kostet das Volk weit mehr, als die Gegenleistung wert ist. Politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen, deren Inhalt vom Primat des Machterhalts und Machtgewinns von Parteien bestimmt ist, können der breiten Bevölkerung nicht nützen. Sie schaden ihr immens.

Leere Hülsen im Gewande einer Demokratie

Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Menschen in den entwickelten Demokratien der Welt darüber nachdenken müssen, ob es Alternativen zu den erstarrten und verkrusteten Herrschaftsformen gibt, die sich ohne Fug und Recht noch immer als Demokratien bezeichnen.

Sie verfügen ja im besten Fall überhaupt nur noch über Spurenelemente der Demokratie-Ideale von einst und nennen sich nur Demokratien, sind es aber längst nicht mehr. Sie schmücken sich mit einem Namen, den sie längst nicht mehr verdienen. Sie sind leere Hülsen im Gewande einer Demokratie.

Antworten auf die großen Zukunftsfragen haben die Volksparteien aller Länder viel zu wenige. Sie sind von der Konstruktion her auf die kurzsichtige Perspektive angelegt, die in aller Regel selten länger als dem Ende der laufenden Legislatur und der nächsten Wahl geht. Bei den meisten Zukunftsfragen sind sie völlig ratlos.

In der politischen Mitte ist ein Vakuum entstanden, das die anderen Parteien füllen. In Stil und Sprache unterscheiden sich die Grünen mit Abstand am meisten von den Volksparteien, wenn es um die Auseinandersetzung mit der AfD geht. Wer, wie CSU, FDP und sogar Teile der SPD, AfD-Wähler umwirbt, verliert eigene Wähler - eine besonders hinterhältige List der politischen Vernunft.

Gesellschaftliche Herausforderungen und Probleme lassen sich in Zukunft nur über Lösungen definieren. Nur so haben die "Volksparteien" vielleicht noch eine Zukunft, wahrscheinlich aber auch so nicht mehr. Das wird ihnen auf jeden Fall sehr schwerfallen; denn der gesamte parlamentarische Zirkus ist von Fraktionszwang bis Debattenkultur auf parteipolitischen Konflikt gebürstet. Sie müssen sich den wirklichen Fragen stellen und sich stärker gegenüber jenen öffnen, die sich von ihnen immer weniger repräsentiert fühlen: junge Menschen, Frauen, Unternehmer und Menschen mit einer Migrationsgeschichte.

Doch ob es den politischen Parteien gelingen wird, diese Wende der demokratischen Kultur überhaupt zu bewerkstelligen, steht in den Sternen. Es bedürfte erheblicher Anstrengungen derjenigen, die in der Kultur des Besserwissens ("Wir haben die besseren Konzepte.") politisch sozialisiert wurden und nicht in einer lösungsorientierten Politikkultur. Mit den Volksparteien verlieren die Demokratien jedenfalls einen ihrer wichtigsten Pfeiler, und es kann durchaus sein, dass kein besserer nachwächst.