Die Wiedergeburt der russischen Sprachkultur im Internet

Das russische Medienministerium fördert ein Internet-Portal, das sich mit der russischen Sprache beschäftigt und zeigt damit, dass die Zeiten der Sprachnormierung endgültig vorbei sind

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Dass das Russische eine schwere Sprache ist, weiß jeder, der sich einmal damit beschäftigt hat. Eine Sprache, in der jeder Name, ja bei hohen Zahlen sogar jede einzelne Ziffer durchdekliniert werden muss, ist selbst für Muttersprachler nicht einfach. Korrekt Lesen und Schreiben, das ist die Bedeutung des russischen Wortes "Gramota" und unter dieser Web-Adresse findet man seit dem November 2000 das Internet-Portal "Russkij Jasyk" (dt.: russische Sprache) das Informationen rund um die russische Sprache offeriert.

Eingerichtet wurde "Russkij Jasyk" mit Unterstützung des russischen Medienministeriums und auf Empfehlung der Russischen Kommission für die russische Sprache in den Massenmedien. In diesem Jahr erhielt das Sprachen-Portal den Preis für Erziehung und Wissenschaft der Russischen Internet Akademie. Gramota.ru wird täglich von durchschnittlich 300 Usern angewählt. Das sieht nicht viel aus, ist für russische Verhältnisse aber nicht schlecht. Denn wie der russische Minister für Kommunikation und Informatisierung Leonid Reiman im vergangenen Dezember anlässlich des Russischen Wirtschaftstags in Frankfurt/M. berichtete, waren im Jahr 2000 von rund 147 Millionen Russen nur etwa 2,5 Millionen am Netz. Auch die Telefondichte hat erst eine Rate von 21,9 Prozent erreicht.

Das Informationsangebot von "Russkij Jasyk" ist ähnlich wie das, was in Deutschland das Institut für deutsche Sprache in Mannheim bietet: Links zu allen wichtigen Hochschulen und Institutionen, Hinweise auf Veranstaltungen und Sekundärliteratur, Informationen über laufende Forschungsprojekte sowie Aufsätze renommierter Sprachwissenschaftler. Doch zum einen will das russische Sprachen-Portal eine breitere Zielgruppe ansprechen als nur Spezialisten: Es bietet Links zu Online-Wörterbüchern, die eigens von "Russkij Jasyk" ins Netz gestellt wurden. Außerdem kann jeder seine Sprachkenntnisse beim "Narodnyj Diktant" (dt. Volksdiktat) prüfen. Zum zweiten ist es interaktiver angelegt: ein "Sprawotschnoje Bjuro" (dt.: Auskunftsbüro) beantwortet eingehende Fragen - gratis versteht sich - und es gibt einen von einer Redakteurin geleiteten Diskussionsclub.

Damit man nicht übersieht, wer eigentlich hinter dem Portal steht, gibt es noch eine Rubrik "offizielle Dokumente", die die staatlichen Richtlinien und Verordnungen für die Medien enthält. Hier zeichnet sich ein Hauptanliegen des Portals ab, das unter dem Punkt "Monitoring Kultury Retschi" deutlicher formuliert wird: die Beobachtung der Sprache in den Medien. Wie die Chefredakteurin Maria Bolschakowa in ihrer Einführung schreibt, ist das Ziel von "Russkij Jasyk" nichts Geringeres als die Wiedergeburt der Sprachkultur in Anbetracht der allgemein feststellbaren Vernachlässigung der Standardsprache. Ziel ist also eine gewisse Reinhaltung und Normierung der russischen Sprache, ein Thema, das aus Frankreich wohlbekannt ist, und das auch hierzulande immer wieder hochkocht. Trotzdem hat dieses Thema in Russland eine andere Tradition. Sie wird nicht, wie in Frankreich, vom ehrgeizigen Anspruch Weltsprache zu sein getragen oder vom Kampf gegen das "Denglisch", wie ihn der Verein deutscher Sprache e.V. so tapfer ausficht.

Die Russen lieben ihre Sprache, weil die russische Kultur auf dem geschriebenen Wort basiert und die Literatur das kulturelle Leben Russlands immer schon bestimmt hat. Die Russen sind stolz darauf, dass die Pflege ihrer Sprache maßgeblich von der Literatur ausging und nicht wie in den meisten anderen europäischen Ländern von der Kirche. Alexander Puschkin, der das moderne Russisch geformt hat, ist nach wie vor quer durch alle Schichten der bekannteste und beliebteste Dichter.

Das lustvolle Debattieren über die eigene Sprache hat in Russland eine lange Tradition. Zu Sowjetzeiten hatte jede Zeitung eine regelmäßige Rubrik zu diesem Thema, im Fernsehen war die Sendung "Liebhaber der russischen Sprache" ein Dauerbrenner. Dass das russische Medienministerium in diesen wirtschaftlich schlechten Zeiten die Mittel locker macht, dieses Thema auch im Internet zu präsentieren, hat seinen Grund aber sicher auch in der Aktualität, die das Thema seit der Perestrojka besitzt. Denn in der vergangenen Dekade hat sich, vor allem in den Medien, die russische Sprache mit ungeheurer Dynamik verändert.

Im Gegensatz zum Deutschen kennt das Russische keine Dialekte. Es gibt regionale sprachliche Varianten, wie etwa Unterschiede in der Satzmelodie oder der Betonung. Das russische Sprachsystem ist vielmehr sozial differenziert. Besonders bekannt sind die Vulgärsprache "Mat" und "Blatnoj Jasyk", die Gefangenensprache. Zu Sowjetzeiten war die Sprache in und durch die Medien normiert ebenso wie die Inhalte. Das heißt die Sprecher in Radio und TV waren so geschult, dass regionale Varianten wegfielen, Umgangs- und Vulgärsprache kamen in den Medien schlicht nicht vor.

Mit der Perestrojka, die bezeichnender Weise von einem Mann (Michail Gorbatschow) eingeleitet wurde, dem man seinen unfeinen südrussischen Akzent immer wieder vorhielt, änderte sich dies dann schlagartig. Der "Schargon" gelangte in die Mediensprache und wurde salonfähig. Parallel dazu kamen mit der Öffnung nach außen und den sich verändernden Lebensumständen viele Fremdwörter - allen voran die vielseits gefürchteten Anglizismen - ins Land. Die Standardsprache, dies beklagt auch Chefredakteurin Bolschakowa, wurde aufgeweicht.

Doch der Versuch die russische Sprache über das Internet reinzuhalten und ihren alten oder auch neuen Normen zuzuführen, zeigt welchen Weg diese Diskussion zurückgelegt hat. Kontrolle mittels eines offenen Systems ausüben zu wollen, ist nicht nur unmöglich, es ist ein völlig absurdes Unterfangen. Auch wenn, wie die jüngsten Geschehnisse um den Moskauer Fernsehsender NTW oder die Durchsetzung eines Lizenzzwangs für Internet-Cafes gezeigt haben, immer noch ungeniert versucht wird, den Medien das Zaumzeug anzulegen, kann das mit der Sprache nicht gelingen. Die Liebhaber der russischen Sprache sollten sich also auf das Plaudern beschränken!

Ein besonderes Schmankerl von "Russkij Jasyk" sind übrigens die - in guter alter Sowjet-Tradition - regelmäßig veranstalteten Wettbewerbe. Wer hier drei Aufgaben präzise und richtig lösen kann, dem winkt ein Gewinn. Darunter Bücher mit viel versprechenden Titeln wie "2000 Jahre Buchstabe jo", natürlich mit persönlicher Widmung des Autors!