Die Wissenschaftstheorie fordert Open Access

Wären Popper und Merton noch unter uns: Sie wären wohl Open-Access-Fans

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Sir Karl Poppers normative Forderung nach dem öffentlichen Charakter der wissenschaftlichen Methoden geht von der Überzeugung aus, dass die anzustrebende "Objektivität" der wissenschaftlichen Methoden nicht individuell zu bewerkstelligen sei, sondern durch öffentliche Kontrolle und Kritik zustande kommt. Robert K. Merton stellte vier Postulate des Wissenschaftsethos auf: Universalismus, Kommunismus, Uneigennützigkeit und organisierter Skeptizismus. Papierjournale gelten vielfach als harter Kern, als Rückgrat der Wissenschaftskommunikation. Ihre Funktionen im Rahmen wissenschaftlicher Kommunikationsprozesse können im Wesentlichen als Kontrolle der Kommunikation beschrieben werden. Die digital gestützte Wissenschaftskommunikation hat gegenüber konventionellen Papierformen etliche Vorteile. Die Zukunft von "Open Access" hängt u.a. davon ab, ob die dargestellten Funktionen konventioneller kostenpflichtiger wissenschaftlicher Papierjournale tatsächlich für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt unverzichtbar sind; wenn ja, ob sie sich durch innovative digital unterstützte Open- Access-Kommunikationsformen ersetzen lassen.

Eugen Garfield tut es. Szientometriker tun es. Viele Ökonomen tun es. Nicht wenige tun es, aber sie wissen nicht einmal, dass sie es tun. Die Rede ist von Open Access, d.h. vom Bereitstellen wissenschaftlicher Informationen, kosten- und barrierenfrei über das Internet, vorzugsweise im WWW. Warum machen dies Garfield, der Koerfinder des Impact Faktors für Journale (JIF), und die Szientometriker? Warum tun dies Ökonomen, die Evangelisten des Marktes und vehementen Anhänger der Impact Faktoren? Warum vertrauen sie nicht der "unsichtbaren Hand" des Marktes, sondern tun etwas, was ihren Grundüberzeugungen eigentlich entgegensteht? Nämlich "Spenden" in Form von Open Access-Beiträgen?

Open Access - das ist nicht der ideale Markt ökonomischer Theorien, sondern allenfalls Freiwilligenarbeit, ehrenamtliche Tätigkeit, Geschenkökonomie, also der Dritte Sektor der Selbstorganisation. Alles ins Netz stellen, vom kleinsten Beitrag bis zur gesamten Buchreihe, WWW und Mailinglisten (SIGMETRICS) offensiv zu nutzen, ist zwar bis heute die Praxis Garfields (und anderer Freunde der Szientometrie), war aber nicht seine Botschaft an das Wissenschaftlervolk. Die hieß doch stets: Publizieren in (und nur in) Journalen, die von Garfields Kindern, den Zitationsdatenbanken SCI, SSCI bzw. AHCI erfasst sind. Warum also diese Abweichungen von den propagierten offiziösen Wegen? Vor meiner Antwort ein paar (scheinbare) Umwege in die Eiswüsten wissenschaftstheoretischer Abstraktionen.

1. Der öffentliche Charakter wissenschaftlicher Methoden (Popper)

Sir Poppers Forderung nach dem öffentlichen Charakter der wissenschaftlichen Methoden (vgl. Popper 1970, Fröhlich 1999a) steht im Zusammenhang mit seiner Überzeugung, dass ein Einzelner keine Wissenschaft betreiben könne. Kommunikation zwischen Wissenschaftlern sei kein Zusatz, sondern unverzichtbarer Bestandteil aller wissenschaftlichen Methoden. Wozu ist wissenschaftliche Kommunikation notwendig? Ohne öffentliche Darstellung, ohne intersubjektive Kontrolle, ohne Kritik Dritter ist nach Popper eine Untersuchung nicht wissenschaftlich.

Sir Popper zieht zur Verdeutlichung seiner These die Geschichte von Robinson Crusoe heran: Wenn Crusoe auf seiner Insel alles richtig gemacht hätte, bei seinen einsamen (vergessen wir einmal Freitag) Sternenbeobachtungen oder Experimenten, hätten deren Ergebnisse keinen wissenschaftlichen Status beanspruchen können. Denn Robinson hätte seine Forschungen niemand anderem präsentieren können, sie keiner kritischen Prüfung durch Dritte unterziehen, keiner Diskussion aussetzen können, und wäre daher Gefahr gelaufen, seinen einseitigen Vorurteilen zum Opfer zu fallen (Popper 1970, 269f.).

Popper setzt das Wort "Objektivität" ausdrücklich in Gänsefüßchen und betont: Wir können Objektivität nicht von den einzelnen Wissenschaftlern erwarten; die einzelnen Wissenschaftler sind irrational, besessen, sie sind, so möchte ich hinzufügen, in ihre Begriffe, Theorien, Modelle, Methoden, Ergebnisse verliebt, sie sind ihnen Ehepartner, Kinder und Geliebte zugleich: Popper zufolge ist der Ausdruck "Wahrheitsliebe" keine Metapher, sondern wortwörtlich zu nehmen. Wir können Popper zufolge die Wissenschaftler ihres emotionalen Hintergrunds nicht berauben, sonst würden sie nicht mehr allzu produktiv sein (es erfordert schon ein gehöriges Maß an Besessenheit, so meine ich, um wie Marie Curie gegen jede Menge Widerstände in Kellerlöchern in Schlamm herumzuwühlen, monate-, ja jahrelang, um wissenschaftlich kühne Vermutungen zu belegen - sogar die Hochzeitsreise per Fahrrad soll sie als Störung der Laborarbeit angesehen haben). Darum werden wohl die heute von Hardlinern der Evaluation und ministeriellen Richtlinien gezüchteten neuen karriereglatten und anpassungsgeschmeidigen WissenschaftlerInnen, die nur mehr auf effizientes Erwirtschaften maximaler Journal-Impact-Faktor-Punkte und Drittmittel schielen, nur wenig echt Innovatives oder gar wissenschaftlich Revolutionäres hervorbringen, so fürchte nicht nur ich.

Zurück zu Popper: Die "Objektivität" der Wissenschaften, der wissenschaftlichen Methoden, ist also nicht individuell zu bewerkstelligen, sondern sie kommt zustande durch öffentliche Kontrolle und Kritik, inklusive halbwegs gelungener Kommunikation (d.h. im Bemühen, "nicht aneinander vorbeizureden", ebd., 267) - denn die potentiell falsifizierenden Befunde sollten natürlich die betreffende Theorie erreichen, und umgekehrt: "Die Wissenschaft, und insbesondere der wissenschaftliche Fortschritt, ist nicht das Ergebnis isolierter Leistungen, sondern der freien Konkurrenz der Gedanken." (Popper 1987, 121) "Wissenschaftliche Objektivität" beruhe "in gewissem Maße auf sozialen Institutionen", die Demokratie müsse die Gedankenfreiheit garantieren. Dabei stellt Popper (1997) auch die Frage nach "Zensur und Monopole der Medien": "Wieweit erzeugen Verlegermonopole eine Art von Zensur? Wieweit können Denker ihre Ideen frei veröffentlichen?" (ebd., 513)

2. Die Imperative des wissenschaftlichen Ethos (Merton)

Robert K. Merton stellte vier Postulate als Kern des Wissenschaftsethos auf: Universalismus, Kommunismus, Uneigennützigkeit und organisierter Skeptizismus. Weil sie schon mehrfach als obsolet abgeschrieben worden sind (etwa von den Propheten der "entrepreneurial university" oder des "Mode2", der strikt nichtakademisch-anwendungsorientierten Forschung), hier einige Passagen Mertons in deutscher Übersetzung und in vollem Wortlaut, um ihre erstaunliche Aktualität im Kontext der Kontroversen um Open Access zu zeigen.

Der Universalismus fordert, dass die Position des wissenschaftlichen Senders gleichgültig sein müsse, seine Rasse, sein Geschlecht oder sein Status. Wahrheitsansprüche, so Merton, müssten "unabhängig von ihrem Ursprung vorgängig gebildeten unpersönlichen Kriterien unterworfen" werden (Merton 1972, 48, Herv. Orig.). Im Klartext: Von wem gesendet wird, von welcher Statusposition aus, müsse egal sein. Universalismus finde Ausdruck in der "Forderung, dass den Talenten Karrieren offenstehen. ... Der freie Zugang zu wissenschaftlichem Arbeiten ist ein funktionaler Imperativ." (ebd., 49) Merton sieht hier Fehlentwicklungen hin zum Kastenwesen, sie seien zu bekämpfen: "Wissenschaftler können sich ... gegenüber jenen abschließen, die einen niedrigeren Status haben, unabhängig von deren Fähigkeiten und Leistungen. ... In dem Maße, in dem eine Gesellschaft demokratisch ist, bietet sie auch den Rahmen für die Anwendung universalistischer Kriterien in der Wissenschaft." (ebd., 49f.)

Kommunismus im nicht-technischen und ausgedehnten Sinn des allgemeinen Eigentums an Gütern ist das zweite wesentliche Element des wissenschaftlichen Ethos. Die materiellen Ergebnisse der Wissenschaft sind ein Produkt sozialer Zusammenarbeit und werden der Gemeinschaft zugeschrieben. Sie bilden ein gemeinsames Erbe, auf das der Anspruch des einzelnen Produzenten erheblich eingeschränkt ist. Mit dem Namen ihres Urhebers belegte Gesetze oder Theorien gehen nicht in seinen oder seiner Erben Besitz über, noch erhalten sie nach den geltenden Regeln besondere Nutzungsrechte. Eigentumsrechte sind in der Wissenschaft aufgrund der wissenschaftlichen Ethik auf ein bloßes Minimum reduziert. Der Anspruch des Wissenschaftlers auf sein "intellektuelles Eigentum" beschränkt sich auf die Anerkennung und Wertschätzung, die ... in etwa mit der Bedeutung dessen übereinstimmt, was in den allgemeinen Fonds des Wissens eingebracht worden ist.

Robert Merton

Wir alle seien Zwerge "auf den Schultern von Riesen" (Merton 1980), d.h. der bisher akkumulierten Erkenntnisse unserer wissenschaftlichen Vorfahren.

Das dritte Postulat des wissenschaftlichen Ethos, Uneigennützigkeit (im Original: "disinterestedness") erwartet von den WissenschaftlerInnen keinen strikten Altruismus im engen Sinne. Aber Wissenschaftler dürfen nur der Erkenntnis verpflichtet sein, und dürfen nicht Methoden oder Ergebnisse für Karriere- oder Auftraggeberinteressen zurechtbiegen. Wissenschaftliche Forschung unterliege "der unumgänglichen, genauen Prüfung durch Fachkollegen. ... die Tätigkeit der Wissenschaftler unterliegt einer derart rigorosen Überwachung wie wohl kein anderer Handlungsbereich. Die Forderung nach Uneigennützigkeit hat ihre feste Grundlage im öffentlichen und überprüfbaren Charakter der Wissenschaft" (ebd., 53; Herv. G.F.).

"Organisierter Skeptizismus" als viertes Postulat des Wissenschaftsethos sei "sowohl ein methodisches wie auch ein institutionelles Mandat" (ebd., 55): Es fordere die "unvoreingenommene Prüfung von Glaubenshaltungen und Überzeugungen aufgrund empirischer und logischer Kriterien". Der Forscher halte sich "nicht an die scharfe Trennung ... zwischen Erscheinungen, die des unkritischen Respekts bedürfen und solchen, die objektiv analysiert werden können. ('Ein Professor ist ein Mensch, der anderer Meinung ist.')". In der "modernen totalitären Gesellschaft" diene die "Zentralisierung institutioneller Kontrollen dazu, den Rahmen für wissenschaftliche Arbeit einzuschränken." (ebd., 55)

Merton war keineswegs naiv, er hatte durchaus einen Blick für die Abweichungen von diesen normativen Forderungen, seien es Plagiate, Betrug und Täuschung oder sog. Matthäus-Effekte (Merton 1968, Fröhlich 2007), die kumulative Bevorteilung bereits bekannter, kumulativ bevorteilter Wissenschaftler bzw. wissenschaftlicher Institutionen. In der Nachfolgestudie von 1988 moniert Merton auch klar, dass neuere Konzepte und Praktiken (Schlagwort: "entrepreneurial university") die Werte des klassischen Wissenschaftsethos korrumpieren würden.

3. Journale - Kinder der Postkutschenära

Heute gelten referierte Papierjournale mit einem Journal-Impact-Faktor, zugewiesen von Thomson-Reuters nach nicht reproduzierbaren (!) Verfahren (Rossner et al. 2007), als Rückgrat der Wissenschaftskommunikation. Zur Relativierung dieses Glaubens möchte ich kurz die eher ungeplante Entstehung dieser 'Wissenschaftsinstitution' skizzieren. 'Wissenschaftliche' Journale (die Grenze zur 'Nicht-Wissenschaft' war noch recht durchlässig) entwickelten sich über längere Zeiträume des 17. und 18. Jh. Als Vorläufer dienten Briefe, Kalender, Almanache, Sitzungsakten wissenschaftlicher Gesellschaften. Die für die Emergenz der Journale wichtigste organisatorische Innovation betraf die Einrichtung regelmäßigen öffentlichen Postverkehrs zwischen größeren Städten.

Bei ihren Sitzungen verlasen und diskutierten die Akademiemitglieder eingelangte Briefe. Die Weiterverbreitung wichtiger Briefe besorgte z.B. Henry Oldenburg, deutscher Emigrant und Sekretär der Londoner Royal Society. Er - und nicht, wie in der Literatur vielfach fälschlicherweise behauptet, die Royal Society, die Übernahme durch die Roy Soc geschah erst 100 Jahre später - gründete 1665 die "Philosophical Transactions". Sie bestanden aus dem arbeitssparenden auszugsweisen Abdruck der immer zahlreicher eintreffenden Briefe - und zwar ohne peer review (d.h. einer Begutachtung), wie ebenfalls in der Literatur vielfach fälschlicherweise behauptet - auch das geschah erst 100 Jahre später. Der wöchentliche Rhythmus der Postdienste führte zu ebenfalls wöchentlichen Herausgaberhythmen bei Zeitschriften. Regelmäßiges Erscheinen war allerdings eher Anspruch als Realität. Die meisten Gelehrtenjournale kamen zudem über einige Hefte bzw. Jahrgänge kaum hinaus. Am überlebensfähigsten erwiesen sich nicht die von Verlegern, sondern die von wissenschaftlichen Gesellschaften herausgegebenen Zeitschriften (siehe Fröhlich 2008 und dort zitierte Literatur).

4. Dimensionen wissenschaftlicher Kommunikation

Um das Credo vom Papierjournal als Rückgrat der Wissenschaftskommunikation kritisch zu untersuchen, müssen wir ihre Funktion im Gesamtzusammenhang wissenschaftlicher Kommunikationsprozesse beleuchten. Letztere können wir nach Funktion, Grad an Formalität und Öffentlichkeit differenzieren.

Ich schlage vor (vgl. Fröhlich 2008), zwischen der Funktion der Forschungs- und Wissenschaftskommunikation zu unterscheiden: Die "Forschungskommunikation" führt zum "eigentlichen" wissenschaftlichen Produkt, d.h. zu ausgearbeiteten Hypothesen, neuen Theorien, Modellen, Befunden, idealtypisch zum umfangreichen Abschlussbericht eines Forschungsprojekts. Die "Wissenschaftskommunikation" findet idealtypisch ab Erstellung der Endberichts-"Substanz" statt: ihre Zerteilung in Artikel und Einreichung bei möglichst angesehenen Zeitschriften bzw. Verlagen, mit dem Ziel optimaler Ergebnisvermarktung und -verwertung.

Wissenschaftliche Kommunikationsprozesse möchte ich zudem nach dem Grad ihrer Formalität unterscheiden: Typisch für formale Kommunikation wäre die Manuskripteinreichung in bestimmten, von Herausgebern festgelegten Formen sowie dessen Bewertung nach einem bestimmten formalen Verfahren. Typisch für informelle Kommunikation wäre die ungezwungene Diskussion im wissenschaftlichen Freundeskreis, in der - wie von Popper gefordert - "kühne Vermutungen" und "rücksichtslose Kritik" geäußert werden.

Auch der Öffentlichkeitsgrad wissenschaftlicher Kommunikationsprozesse ist unterschiedlich. Inhaltlich interessante und brisante Forschungskommunikation (vorbereitender Ideenaustausch, Kritik von Gegenlesern) findet kaum öffentlich, sondern in Kleinstgruppen statt. Die Gutachten zu Projektanträgen werden den Antragstellern vielfach nicht zur Kenntnis gebracht, oder nur auszugsweise, ja mit schwarzen Zensurbalken. Ähnlich sind die Beziehungen zwischen Autoren und Journaleditoren bzw. -gutachtern nach dem Modell konspirativer Organisation gestaltet: Autoren und Gutachter (aber auch Gutachter untereinander) wissen so wenig wie möglich voneinander, die Herausgeber alles.

Fazit: Die öffentlich zugänglichen Inhalte der Wissenschaftsjournale sind nur die Spitze des Eisbergs forschungsrelevanter Kommunikationen, insbesondere konstruktiver Kritik (Fröhlich 1998, 2008). Wertvolle Anregungen und Kritiken versickern, Fehler werden wiederholt. Die wesentlichen Funktionen wissenschaftlicher Journale können also nicht, wie in Selbstdarstellung von Journalen wie Verlagen behauptet, im "Austausch von Ideen und Kritik" bestehen, sondern müssen andere sein.

5. Funktionen der Journale

Des Rätsels Lösung: Ähnlich wie Kirchen nicht der Förderung, sondern der Kontrolle der Religiosität dienen (Bekämpfung von Häretikern und Volksaberglauben), sind die wichtigsten Journalfunktionen nicht mit der Förderung, sondern mit der Kontrolle der Kommunikation verbunden:

  • Dem Journalwesen wird vielfach die Funktion der Archivierung wissenschaftlicher Leistungen zugeschrieben. Über dieses behauptete Funktionsmonopol ließe sich streiten: Auch Patente, Briefe, Artefakte (wissenschaftlichen Geräte, Produkte) und das in den Wissenschaftlerkörpern gespeicherte "implizite Wissen" (Michael Polanyi) sind unverzichtbar, wenn wir wissenschaftliche Leistungen nachvollziehen oder gar nutzen wollen. Bücher basieren meist auf dem Zusammentragen verstreut publizierter Beiträge eines Autors oder zu einem Thema und deren Integration - in Verbindung mit Registererschließung bislang die klassischen Wissensarchive schlechthin.
  • Die wichtigste Funktionszuschreibung besteht wohl (im Monopol) der Qualitätskontrolle. Die Hardliner-Meinung: Nur referierte Journalaufsätze seien für die Bewertung wissenschaftlicher Leistungen relevant. Dabei übersehen sie, dass Verlage von Welt auch Buchmanuskripte begutachten lassen und zahlreiche wissenschaftliche Gesellschaften die Vortrags-Einreichungen zu Kongressen bzw. deren Proceedings. Die einzig mögliche Garantie für die Qualitätskontrolle sei das "Peer-Review-System" der Verlage. Doch ein einheitliches Prüfsystem gibt es nicht. Zu willkürlich unterschiedlich und unterschiedlich willkürlich sind die Prozeduren beim Referieren bzw. Editieren. Sie werden im Übrigen ehrenamtlich von WissenschaftlerInnen vorgenommen. Und recht pessimistisch hinsichtlich ihrer Funktionstüchtigkeit sind zahlreiche Befunde der Peer-Review-Forschung (vg. Fröhlich 2002a, 2006b, 2008).

Als weitere wichtige Journalfunktionen sehe ich an:

  • die Rationalisierung oft erbitterter Prioritätsstreitigkeiten. Berief man sich vordem auf persönliche Zeugen oder deponierte bei Akademien versiegelte Kuverts (um Konkurrenten nicht auf die richtige Spur zu führen), erwies sich seit dem 17. Jh. das Datum der Erstveröffentlichung als wesentlich sinnvolleres Kriterium für Priorität. Es verpflichtete zur Veröffentlichung der Ergebnisse und förderte so die weitere wissenschaftliche Entwicklung.
  • Unterstützung bei der Herausbildung und Durchsetzung neuer Fächer, Spezialdisziplinen und Paradigmen (wissenschaftlicher Schulen). In Universitäten konnten neue Fächer und Theorien, meist von Privatdozenten und Extraordinarien vertreten, oft erst nach langer Verzögerung Fuß fassen. Nicht selten sind etablierte Wissenschaftler Gegner grundlegender Innovationen - denn diese entwerten ihre eigenen Investitionen, d.h. Theorien, Modelle, Methoden. In ihren eigenen Journalen und Organen ließen sie konkurrierende Ansätze oft nicht zu Wort kommen. Die Gründung eigener Gesellschaften und Zeitschriften brachte den Innovatoren den Durchbruch (vgl. Fröhlich 2002b und dort zitierte Literatur).
  • Schaffung und Fortschreibung von Hierarchien. Experten vermuten die aktuelle weltweite Zahl wissenschaftlicher Journale irgendwo zwischen 50 000 und 500 000. Letztere Schätzung dürfte wohl auch Jahrbücher, Newsletter wissenschaftlicher Vereinigungen, Nebenreihen und elektronische Journale umfassen. Nur etwa 8000 Journalen rühmen sich, von den Zitationsdatenbanken der Firma "Thomson Reuters" erfasst zu werden. Für ihre natur- und sozialwissenschaftlichen Vertreter werden jährlich "Journal Impact Faktoren (JIFs)" berechnet, welche die durchschnittliche Zitation je Artikel in den beiden Jahren zuvor repräsentieren sollen. Diese JIFs sind zu primären Attraktoren von Autoren, Herausgebern und Verlegern geworden. Pointiert formuliert: Ob ein Journal tatsächlich gelesen wird, wird zunehmend belanglos. Ob es in den ersten zwei Jahren nach seinem Erscheinen häufig zitiert wird, wird hingegen immer wichtiger.

Bei einem Einzelbeitrag wird es nicht nur zunehmend irrelevant, ob er gelesen wird, sondern auch, ob er bloß zitiert wird: Von Relevanz ist bloß sein Erscheinen in einem referierten und durchschnittlich stark zitierten Journal. Denn statt tatsächlich den article impact, d.h. die Zitationen des Einzelbeitrags zu eruieren (aufwändig und teuer), multiplizieren Evaluatoren lieber die Zahl der Aufsätze eines Wissenschaftlers mit den Journal-Impact-Faktor-Werten ihrer Publikationsorte (= Journale). Auf Basis solcher Milchmädchenrechnungen habilitiert manfrau sich heutzutage in Ökonomie und Medizin (auf die vielen Dysfunktionen qualitativer und quantitativer Journalevaluation und auf mögliche Reformvorschläge kann ich hier nicht eingehen, vgl. dazu Fröhlich 199b, 2002a, 2006b, 2008).

6. Die Zukunft der wissenschaftlichen Journale: hybrid?

Zur Zeit erscheinen Journale in folgenden Formen: Auf Papier und/oder online, für Autoren und/oder Rezipienten kostenpflichtig ("toll access"), für Autoren und/ oder Rezipienten kostenfrei ("open access") sowie in beliebigen Mischformen:

  • Trotz der Durchhalteparolen mancher Verleger, die von der "stabilen Anmutung" von Papiererzeugnissen schwärmen: Konventionelle Papierjournale werden sich mittelfristig nicht mehr halten können. Der Niedergang konventioneller Papierjournale - wie erwähnt Kinder der Postkutschenära - scheint unvermeidbar: wozu in digitalen Zeiten Papiere, die nur wenig miteinander zu tun haben, zu Bündeln schnüren und im Zweimonatstakt energie- und abgasintensiv versenden?
  • Fraglich sind die Zukunftschancen von Hybridjournalen, d.h. von Journalen mit strikt parallelen Papier- und Digitalausgaben. Letztere nutzen als bloße PDF-Faksimiles die digitalen Möglichkeiten nicht konsequent, wenn sie auf die Einbindung von Animationen, Videos, Datenreihen verzichten, auf vergrößerte Dateien von Abbildungen etc. Onlineausgaben sollten die Beschränkungen der Papierversion überwinden. Manche Verlage behelfen sich hier zumindest zur Überwindung von Platzbeschränkungen mit "Online Supplements", in denen etwa Forschungsdesign, Fragebogen, Tabellen detailliert dargestellt werden - d.h. die für die intersubjektive Überprüfbarkeit relevante Information wird zusätzlich zur verkürzten Papierversion, digital offeriert.. Die "Knappheit des zur Verfügung stehenden Platzes", bislang Hauptargument für restriktive Maßnahmen, hat jedenfalls in der digitalen Ära vollends ausgedient.
  • Ein zweiter Typ von Hybridjournal bietet zugleich Artikel im "toll access" und "open access"-Modus an. Immer mehr Journale bieten ihren Autoren an, ihre Artikel gegen Entgelt (bei Springer zur Zeit 3000 US Dollar) für Open Access freizuschalten. Diese "Hybridjournale" offerieren also Artikel, die für Leser, und Open-Access- Artikel, welche für die Autoren kostenpflichtig sind. Die Autorenentgelte müssen oft als demagogisches Argument gegen Open Access herhalten, denn auch viele konventionelle Buch und Journalverlage verlangen Autorengebühren in z.T. beträchtlicher Höhe (bis zu um 2500 Euro), etwa für farbige Illustrationen. Immerhin berichtet ein Fünftel der 1600 von der DFG geförderten (und von ihr befragten) Wissenschaftler (DFG , 2005, Tabellenband, 27, Tab. 30) dass sie die Publikationspauschale der DFG für technische Arbeiten bzw. Druckkosten in konventionellen Zeitschriften (bei Geistes- und Sozialwissenschaften in kostenpflichtigen Büchern) ausgegeben hätten, vor allem Nachwuchswissenschaftler. Fast 30 Prozent mussten bei kostenpflichtigen konventionellen Journalaufsätzen zwischen 501 und mehr als 2000 (!) Euro entrichten (ebd., 22, Tab. 23a).

Die Entwicklungsdynamik wissenschaftlicher Kommunikation hat sich ohnehin schon länger von den Vorgaben der Verlage und des Copyrights entkoppelt: Kostenfrei zugängliche "Open-Access"-Publikationen erhalten nachweislich weitaus höhere "Article Impacts" (Zitationen des einzelnen Artikel) als kostenpflichtige - bloß über Ursachen bzw. Gründe streitet man eher akademisch1 (Garfield und die vielen Szientometriker und Ökonomen, die ihre Arbeiten open access stellen, glauben offensichtlich sehr wohl an die förderliche Wirkung von OA-Archivierung für ihre Zitationsraten). Daher ignorieren immer häufiger Autoren entsprechende Passagen in den von ihnen eilfertig unterschriebenen Verlagsverträgen und stellen ihre Ausarbeitungen, ja nicht selten ganze Bücher mehr oder minder legal kostenlos ins Netz, entweder in eigene Homepages bzw. die ihrer Institutionen ("self-archiving") oder in "Open-Access"- Archive. Das Überleben im wissenschaftlichen Alltag wird angesichts logarithmischer Journalpreise, vor allem ihrer Campus- Lizenzen, mit diversen Listen und Tricks gesichert, die vom einfachen Warentausch bis hin zu schwarzmarktähnlichen Praktiken reichen (mehr möchte ich nicht preisgeben).

Die Bedeutung einzelner Zeitschriften sinkt so oder so, nicht nur durch die erwähnte Preprint- oder Postprint-Archivierung in institutionellen oder disziplinären Open-Access-Repositorien: Die Verlage selbst stellen Datenbanken aller herausgegebenen Artikel und Buchkapitel mit Suchfunktionen ins Netz. Zitationshinweise versuchen die Aufmerksamkeit auf andere Publikationen im eigenen Pool zu lenken. Das Organisationsprinzip konventioneller Papierjournale (= periodisches Zurückhalten bzw. Preisgeben von Information statt kontinuierlicher Informationsflüsse) weist sie als Kinder der Postkutschenära aus - ist aber in der digitalen Ära zunehmend obsolet. Hybridjournale stellen akzeptierte Beiträge daher bereits Monate vor dem Erscheinen der Papierausgabe ins Netz ("Online First") und verkünden dies über ausgewählte Wissenschaftsjournalisten, um möglichst früh Zitierungen zu erwirtschaften.

Im Vergleich zu konventioneller Papierpublikation hat konsequent digitalisierte Wissenschaftskommunikation etliche unleugbare Vorteile:

  • Links zu den zitierten Publikationen (die dann ebenfalls digital vorliegen); statt vormals unhandlicher Tabellenbände Links zu den Originaldaten (in der Biologie bereits Standard);
  • Links zu Korrekturen und "Retractions" (die in Papierversion etlichen Zitationsstudien zufolge großteils unbekannt bleiben bzw. ignoriert werden);
  • Links zu den Zitaten, die daher sofort und komfortabel überprüft werden können;
  • Extradateien mit hoher Auflösbarkeit von Abbildungen (die "DFG Task Force F.H." musste im Krebsforscherskandal noch alle winzigen Papierabbildungen einscannen und vergrößern, um die Manipulationen nachweisen zu können, vgl. Fröhlich 2003b). Prüfprogramme (Bildfälschungen, Textähnlichkeiten) können eingesetzt werden, die jedoch das abwägende Gesamturteil kritischer Köpfe nur unterstützen, aber nicht ersetzen können;
  • Schaffung neuer webometrischer Kennzahlen (z. B. Downloads je Artikel) und Analysemöglichkeiten.

Fazit: Digitale Medienkompetenz vorausgesetzt steigt die intersubjektive Überprüfbarkeit eindeutig: "rücksichtslose" (Popper) Kritik bzw. organisierter Skeptizismus (Merton) werden erleichtert. Doch im Korsett des "toll access" müssen wir stets bereit sein, Passwörter oder Kreditkarten zu zücken. Zumindest lästige Verzögerungen oder der übliche Preis von 30 Euro für einige Seiten Text halten einen davon ab, sich tatsächlich den Volltext eines Artikels herunterzuladen - und so zitiert manfrau auf Gerüchtebasis bzw. nach Überfliegen des Abstracts. Die Nutzer fühlen sich bei ihrer Arbeit behindert, ausgebremst. Copyright-Bestimmungen, Digital Rights Managements (DRM) und Knebelverträge geraten zu Innovationshemmnissen, zu "Fesseln der Produktivkräfte" (Marx). Ein Großteil der Programmieranstrengungen gilt heute nicht der Förderung, sondern der Einschränkung digitaler Möglichkeiten. Nur unter "Open Access" können wir die vielfältigen Potentiale der digitalen Technologien zur Verbesserung und Beschleunigung wissenschaftlicher Kommunikation tatsächlich und in vollem Umfang realisieren.

7. Die Zukunft von Open Access

Ob sich "Open Access" weiter durchsetzen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Die bislang von Ministerien, Ländern, Städten, Förderfonds, Stiftungen, wissenschaftlichen Gesellschaften in Form von Druckkostenzuschüssen bereitgestellten Millionenbeträge stützen letztlich technologisch und organisatorisch überholte Publikationsformen. Diese Geldsummen könnten daher für die Förderung digitaler Open-Access-Veröffentlichungen umgewidmet werden. Viel liegt in der Hand der wissenschaftlichen Gesellschaften (Fröhlich 2002b). Sie organisieren die Kongresse, Buchreihen, Journale; sie transferieren die vereinnahmten Mitgliedsbeiträge in Richtung Papierverlage, statt ihre Publikationen open access selbst herauszugeben. Open Access, das geht nicht, da laufen uns die Mitglieder davon, fürchtet mancher Vereinsfunktionär; und wir brauchen Gewinne aus dem Publikationssektor, sagen die ganz erfolgreichen, um unsere Kongresse finanzieren zu können. Da wäre es wohl weitsichtiger, sich 'neue' Finanzierungsmodelle für Kongresse zu überlegen und dafür den Publikationssektor freizuschalten.

Entscheidend für die Zukunft von Open Access, d.h. für die Akzeptanz in den wissenschaftlichen Communities ist m.E. auch, ob sich die oben dargestellten Funktionen konventioneller wissenschaftlicher Papierjournale (vor allem die Hierarchiebildung) tatsächlich als unverzichtbar herausstellen und wenn ja, ob sich diese Funktionen des "toll access"- Modus durch andere digital unterstützte Open-Access-Kommunikationsformen ersetzen lassen:

Die Funktionen der Archivierung und Qualitätskontrolle bzw. Kanonisierung können ohne weiteres von Datenbanken bzw. Webservern übernommen werden. Digitale wissenschaftliche Kommunikation, und selbstverständlich auch kostenfreier Open Access und Peer Review (oder erweiterte Verfahren wie Peer Monitoring), schließen einander ohnehin nicht aus - das behaupten nur einige Demagogen der Gegenseite.

Archivierung auf Papier sei sicherer, denn künftige Generationen könnten die Dateien nicht mehr lesen, heißt es. Doch auch Bibliotheken können zu Asche werden, Archive einstürzen. Der Nutzen von Archiven hängt vom Zugriffskomfort ab. Hier sind digitale Dokumente und Datensätze den Papierformen haushoch überlegen (sofern Manipulationsmöglichkeiten eingedämmt werden können).

Für die Regelung von Prioritätsstreitigkeiten scheinen Journale in der hektischen Aufmerksamkeitsökonomie der "Wissenschaft per Pressekonferenz" und einflussreicher Mailinglisten ohnehin bereits als viel zu langsam. Dies führt zwar auch zu Peinlichkeiten (man denke an die Cold Fusion-Affäre von 1989). Doch das Paradigma des Sports (schneller, höher, weiter) verbreitet sich leider auch in einer Wissenschaftswelt scheinbar unaufhaltsam, nicht zuletzt, weil davon immer stärker auch die massenmediale Aufmerksamkeit abhängt, an der wiederum Institutionen, Sponsoren, Förderer, Politiker interessiert sind.

Die Repräsentierung neuer Fächer bzw. Spezialdisziplinen kann sicherlich von Webservern übernommen werden.

Bleibt die leidige Hierarchiefrage: Sind wirklich Verlags- und Journalhierarchien erforderlich zwecks "Reduktion von Komplexität" (Luhmann), um den überforderten Damen und Herren WissenschaftlerInnen Orientierung zu bieten? So lautet jedenfalls das Hauptargument der Befürworter von Impact-Faktor-Hierarchien. Die bisher (re-)produzierten Hierarchien bzw. Rankings wissenschaftlicher Institutionen und Journale sind jedenfalls ganz oben ziemlich stabil, aufgrund der sattsam bekannten Matthäus-Effekte, welche die bereits kumulativ Bevorteilten weiterhin kumulativ bevorteilen - nach dem Prinzip "the more, the more". Für Bibelfeste: "Denn jenen, die haben, wird gegeben werden, und jenen, die nichts haben, wird sogar das noch genommen werden." (Evangelium nach Matthäus, Gleichnis vom anvertrauten Gelde). Letztlich 'messen' die meisten Rankings von Institutionen bzw. Journalen die Erfolge der Vergangenheit, bei der Akkumulation sozialer, ökonomischer, politischer, symbolischer Kapitalbestände (Fröhlich 199b, 2008).

Die Gründung neuer wissenschaftlicher Institutionen, Buchreihen, Journale war früher oft unvermeidlich, um verkrustete Hierarchien, die gegen wissenschaftliche Innovationen erfolgreich blockierten, mit Bypass- Strategien zu umgehen. Bei fast allen sozialen, wissenschaftlichen und technischen Innovationen können die Karten (etwas) neu gemischt werden. Das ist keineswegs, wie manch Gegner des Open Access meint, das Ende unserer Kultur, das Ende unserer Wissenschaften, sondern eine Art frische Brise - bei der auch Verlage und Verlagsdienstleister keineswegs zugrunde gehen müssen, wenn sie die Zeichen der Zeit erkennen und von manch liebgewordener eingeschliffener Prozedur (z.B. "Post und Papier") und in der digitalen Ära obsoletem Geschäftsmodell Abschied nehmen und ökonomisch-organisatorische Innovationen wagen.

Ein weiterer, von Befürwortern wie Gegner von "Open Access" kaum bemerkter, sehr wichtiger Vorteil: Die Mehrsprachigkeit, die Vielsprachigkeit wissenschaftlicher Kommunikation wird eindeutig gefördert, genauer: die Sichtbarkeit von Publikationen, die nicht in englischer Sprache verfasst sind (So ist zur Zeit die wichtigste Sprache bei E-LIS nicht englisch, sondern spanisch, vgl. den Beitrag von Antonella De Robbio und Michael Katzmayr (2009) in diesem Heft). Das ist vor allem für Kultur- und Sozialwissenschaften mit ihren teilweise recht kultur- und sprachabhängigen Themen von Bedeutung. Doch auch in der Medizin und vielen anderen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen werden die allgemein für wichtig und vermutlich globale Aufmerksamkeit erregenden Themen auf Englisch, die "bloß" regional wichtigen Forschungsfragen, etwa zu speziellen Krankheiten oder Krankheitserreger, in den Nationalsprachen publiziert. Dadurch versickerte bislang große Erkenntnisschätze unbemerkt - kaum oder gar nicht registriert von den US-dominierten Datenbanken.

Mein Resümee: Der Widerstand gegen das Neue hat noch jede wissenschaftliche Innovation behindert; warum sollte das gerade bei "Open Access" anders sein? Popper und Merton begründen und befürworten wohl eindeutig "Open Access". Die Dimensionsdifferenzierungen wissenschaftlicher Kommunikation und die Funktionsanalysen konventioneller Journale lassen den Schluss zu: Open Access ist für Forschungskommunikation (Preprint-Server) wie Wissenschaftskommunikation (peer reviewed Journale, Archivierung referierter Postprints) problemlos geeignet, ermöglicht aber wesentlich besser als konventionelle Papierpublikationen die Aufdeckung von Plagiat und Täuschung und die Kennzeichnung als gefälscht überführter Publikationen.

Möchten wir tatsächlich optimale Bedingungen für wissenschaftliche Öffentlichkeit bzw. Kommunikation, möchten wir wirklich Kritik, offene pluralistische kognitive Konkurrenz, optimale Diffusion wissenschaftlicher Theorien, Modelle, Methoden, Befunde fördern? Dann sollte die wissenschaftliche Kommunikation nicht durch reaktionäre (d.h. das Rad der Geschichte zurückzudrehen versuchende) Urheberrechtsbestimmungen - wie sie hier im vorliegenden Heft auch von Kuhlen/Ludewig (2009) beschrieben werden - und sonstigen künstlichen Barrieren behindert werden. Im Gegenteil: Es sollten die Potentiale digitaler Technologien zur Förderung von Öffentlichkeit, Kritik, Qualitätskontrolle durch Software wie Open Peer Commentary voll ausgeschöpft werden. Wären Popper und Merton noch unter uns: Sie wären wohl Open-Access-Fans. Was sonst?

Literatur

Dieser Artikel ist in der Fachzeitschrift "Information: Wissenschaft und Praxis (IWP)" 5/2009 der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und -praxis (DGI) erschienen und mit anderen online abrufbar. Gastherausgeber der Schwerpunktausgabe zum Thema Open Access (5 MB) ist Gerhard Fröhlich.

Gerhard Fröhlich, Dr. phil., a. Univ. Prof. (Kulturtheorie, Wissenschaftsforschung) am Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie der Johannes Kepler Universität Linz (JKU). Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Kultur und Medientheorie, Wissenschaftsforschung (Evaluation, wissenschaftliches Fehlverhalten, innovation resistance). Open-Access-Datenbanken (mit Ingo Mörth): <HyperBourdieu.jku.at>, <HyperElias.jku.at>, <HyperGeertz.jku.at>. Zahlreiche Beiträge in den Open-Access-Archiven E-LIS (Informationswissenschaften), Sammelpunkt (Philosophie) und SSOAR (Sozialwissenschaften). Neueste Buchpublikation: Fröhlich, Gerhard / Rehbein, Boike (Hg.): Bourdieu-Handbuch. Stuttgart 2009 (Metzler).