Die älteste Höhlenmalerei der Welt in Indonesien
Auf der Insel Sulawesi entstanden vor 40.000 Jahren die ersten Kunstwerke
Es ist eine echte Sensation: Malereien in einer Höhle auf der indonesischen Insel Sulawesi sind genauso alt wie ihre Pendants in Spanien und Frankreich. Die Kunst entstand also nicht plötzlich in Europa, als dort die ersten anatomisch modernen Menschen ankamen. Entweder brachte Homo sapiens seine künstlerischen Fähigkeiten bereits auf seinem Weg out of Africa mit, oder die erste Kunstwerke der Menschheit wurden ganz unabhängig voneinander an zwei sich gegenüberliegenden Orten auf der Weltkugel zur gleichen Zeit geschaffen.
Es ist ein echter Perspektivenwechsel, der sich anbahnt, denn bislang war alle Aufmerksamkeit auf Europa gerichtet, wenn es um den Beginn der Kunstgeschichte der Menschheit ging.
Längst ist bekannt, dass der anatomisch moderne Mensch - unser direkter Vorfahr - aus Afrika stammt und sich von dort aus aufmachte, um die Welt zu erobern. In Afrika finden sich auch die ältesten Beweise kulturellen Verhaltens, der frühe Homo sapiens schmückte sich, er durchbohrte und färbte Muscheln, und trug sie als Schmuck (vgl. Muschelkette als Statussymbol). Ein deutliches Anzeichen von symbolischem und damit kognitivem Denken. Wer sich mit Muscheln behängt, besitzt sehr wahrscheinlich ein Bewusstsein für soziale und kulturelle Identität, meinen die Experten.
In Südafrika wurde ein mehr als 75.000 Jahre alter Ockerbrocken gefunden, der mit geometrischen Ritzmustern verziert ist (Älteste Kunstwerke der Welt entdeckt). Möglicherweise war es sogar die kulturelle Entwicklung bestimmter Menschengruppen, die unsere Ahnen dazu brachte, aus ihrem Heimatkontinent aufzubrechen, um sich neue Lebensräume zu erschließen (Beschleuniger der Expansion).
Urknall der Kunst
Sehr wahrscheinlich bemalten sich die frühen anatomisch modernen Menschen ihre Körper, zu Pigmenten verarbeitete Brocken unter anderem aus Ocker, Hämatit oder Pyrit machen das wahrscheinlich. Auch der Neandertaler trug Schmuck und praktizierte steinzeitliches Bodypainting (Großes Gehirn und intelligenter als gedacht).
Aber die ältesten Kunstwerke wie Malereien an Höhlenwänden oder kleine Skulpturen fanden sich in Europa, wo diese beiden Menschen-Typen vor etwa 40.000 Jahren aufeinander trafen, und sich in den folgenden vielen Jahrtausenden des europäischen Zusammenlebens miteinander vermischten.
Die Entdeckungen immer älterer Kunstwerke kamen in den letzten Jahre Schlag auf Schlag, besonders die Chauvet-Höhle in Südfrankreich mit ihren ausdrucksstarken und lebendigen Zeichnungen, die bis zu 35.000 Jahre alt sind, verblüffte die Fachwelt - und lässt die Diskussion um die Datierung bis heute nicht verstummen (Vergessene Träume in 3D). Aber schnell hatten diese Höhlenmalereien sowieso ihren Status als älteste Kunstwerke verloren.
Auf der Schwäbischen Alb tauchten die ältesten Skulpturen aus Mammutelfenbein auf, und zudem die ältesten Musikinstrumente der Menschheit: Flöten aus Knochen und Elfenbein (vgl. Schwäbische Alb - Wiege der Kunst). In der nordspanischen El Castillo-Höhle erwiesen sich 2012 rote Scheiben und Bilder von Händen (Handnegative) mit einem Alter von mehr als 40.000 Jahren als die neuen Rekordhalter in Sachen Alter).
Zuletzt gab es wissenschaftliche Diskussionen um kreuzförmige Felsritzungen in der Gorham-Höhle in Gibraltar mit einem Alter von mindestens 39.000 Jahren. Sie werden dem Neandertaler zugeschrieben, da zu diesem Zeitpunkt der Homo sapiens Gibraltar noch gar nicht erreicht hatte. Umgekehrt gelten alle anderen sehr frühen Kunstwerke in Europa fast immer als vom anatomisch modernen Mensch geschaffen, da ihre Herstellung und das dafür nötige symbolische und abstrakte Denken dem Neandertaler generell nicht zugetraut wird.
Fast alle Experten gingen bisher auf Grund der Fundsituation davon aus, dass die Kunst in Europa geboren wurde und zwar durch die Hände des Homo sapiens. Zwei Modelle dazu stehen im Raum. Das erste geht von einer langsamen Kunst-Evolution aus, an deren Anfang abstrakte, einfache geometrische Muster der Höhlenmalerei stehen, die sich nach und nach hin zu den figurativen Formen wie Tierdarstellungen entwickelt. Der zweite Ansatz geht von einem schlagartigen Auftauchen der Kunst aus, wobei bereits komplizierte, figurative Werke im Anfang stehen.
In jedem Fall sprach bis jetzt alles dafür, dass der künstlerische Urknall in Europa stattfand. Das muss nun revidiert werden.
"Eiszeit-Kunst" aus Indonesien
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature veröffentlicht ein indonesisch-australisches Forscherteam um Maxime Aubert und Adam Brumm von der Griffith University Gold Coast ihre Höhlenmalerei-Untersuchungsergebnisse. Im Südwesten der indonesischen Insel Sulawesi befindet sich die Maros-Karstlandschaft, die mit ihren vielen prähistorischen Kalkstein-Höhlen bald zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen möchte.
Bereits in den 50er Jahren wurden die dortigen Höhlenmalereien untersucht. Sie befinden sich zum größten Teil in keinem guten Zustand. Sie zeigen Handabdrücke (Stencils), die negativ auf den Felsen abgebildet wurden, indem rote Farbe durch einen Halm oder ein Röhrchen auf den ausgestreckten und auf den Felsen gelegten Handrücken gesprüht oder aus dem Mund gepustet wurde. Auf etwas jüngeren Bildern sind Tiere wie Zwerg-Rinder, Warzenschwein oder Hirscheber (Babirusa) zu sehen.
Aufgrund der tropischen Umgebung und der mit ihr einhergehenden Erosion gingen die Fachleute davon aus, dass die Kunstwerke nicht älter als 10.000 Jahre sein könnten.
Umso größer war die Überraschung der Forscher, die nun ein neue, genaue Datierung vornahmen. Das Team nahm mit einem Spezialbohrer Proben aus der etwa einen Zentimeter dicken Sinterschicht, die sich über den Malereien in den Höhlen gebildet hatten. Sie untersuchten dann dieses Tropfstein-Material, das sich wegen seiner Form Höhlen-Popcorn nennt, mit Hilfe der Thorium-Uran-Datierung.
Dabei wird der Zerfall der Uranium- und Thorium-Isotope berechnet. Auf diese Weise ist eine sichere Altersbestimmung der Malerei möglich, da sich die mineralische Ablagerung sehr langsam über den Kunstwerken gebildet hat. Die Abbildungen sind also mindestens so alt wie die unterste Schicht des Sinters.
19 Proben aus sieben Höhlen wurden untersucht, wobei sich zeigte, dass das älteste Bild - ein Handnegativ - 39.900 Jahre alt, und eine Hirscheber-Darstellung 35.400 Jahre alt und damit eine der ältesten figurativen Darstellungen weltweit ist (Nature-Video). Maxime Aubert erklärt:
Es wird meist angenommen, dass Europa vor 40.000 Jahren das Zentrum der frühesten Explosion menschlicher Kreativität war, besonders der Höhlenmalerei. Aber die Höhlenkunst aus Sulawesi zeigt, dass ungefähr zur selben Zeit auf der anderen Seite der Welt Menschen Bilder von Tieren gezeichnet haben, die genauso beeindruckend sind wie jene in den europäischen Eiszeit-Höhlen von Frankreich und Spanien.
Kunst im Gepäck
Der Neandertaler rückt damit noch weiter als bisher aus dem Bild, denn auf Sulawesi gab es keine Homo neanderthalensis. Es könnte in Indonesien aber durchaus zur Begegnung mit anderen, archaischen Menschen-Formen gekommen sein. Nur einige hundert Kilometer entfernt wurde vor einigen Jahren der Hobbit, der Homo floresiensis entdeckt, ein kleinwüchsiges menschliches Wesen mit winzigem Gehirn, das vielleicht einen direkten Nachfahren des Homo erectus vor Ort darstellte (Hobbit-Vorfahren).
Wer weiß, wem der anatomisch moderne Mensch auf Sulawesi begegnet ist, um sich durch diesen Clash of Culture kulturell beflügeln zu lassen? Die ältesten bisher auf der Insel gefundenen menschliche Überreste sind nur etwa 35.000 Jahre alt, aber das kann sich jederzeit ändern, offensichtlich waren ja schon vorher Menschen dort und hinterließen ihre Kunstwerke. Mit Sicherheit wird nun verstärkt vor Ort - und auch auf anderen indonesischen Inseln - weiter gefahndet und neu datiert.
Spannend bleibt es sicherlich zudem auf Australien, wo nachweislich vor mindestens 50.000 Jahren bereits Menschen ankamen, die dazu über das offene Meer fahren mussten (Video).
Es klingt eher unwahrscheinlich, dass zur gleichen Zeit Menschen, die 13.000 Kilometer voneinander entfernt waren, plötzlich, sozusagen aus dem Nichts heraus, anfingen auf gleiche Art ihre Hände auf Felswänden zu verewigen. Die Bilder aus Nordspanien und Indonesien gleichen sich jedenfalls auffallend (vgl. Neanderthal culture: Old masters).
Das indonesisch-australische Forscher-Team legt sich im Artikel nicht fest, aber der zweite Hauptautor Adam Brumm (der auch an der Erforschung des Homo floresiensis beteiligt war) hält es eher für plausibel, dass Homo sapiens schon künstlerische Fähigkeiten im Gepäck hatte, als er sich auf den Weg in die Welt machte:
Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass Höhlenmalerei und mit ihr verwandte Formen künstlerischen Ausdrucks Teil der kulturellen Traditionen der ersten anatomisch modernen Menschen waren, als sie sich aus Afrika auf den Weg machten, um Asien und Australien zu erreichen lange bevor sie in Europa eintrafen.
Um das zu belegen, wird in den kommenden Jahren sicherlich sowohl in Afrika als auch überall in Asien verstärkt nach frühen Kunstwerken gesucht, denn Belege für diese These müssten ja irgendwo auf der langen Strecke nach Indonesien zu finden sein.