Beschleuniger der Expansion

Die kulturelle Entwicklung trieb den Homo sapiens aus Afrika fort

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Lange galten Umweltfaktoren als ausschlaggebender Faktor für den Aufbruch des modernen Menschen in Richtung Europa und Asien. Aber es war wohl nicht die Klimaveränderung, die den Homo sapiens antrieb. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der Migration ein technischer Innovationsschub voraus ging.

Was macht den Menschen zum Mensch, was unterscheidet ihn von den Tieren? Ein neues Buch über die Evolution unserer Gattung sagt, sechs Merkmale und Eigenschaften seien ausschlaggebend: Der große Zeh, der Daumen, der Kehlkopf, und unsere Fähigkeit zu lachen, zu weinen und zu küssen (vgl. Hand & Fuß). Sicher ist, dass der anatomisch moderne Mensch in Afrika zur Welt kam, vor etwa 200.000 Jahren (siehe Echt alt).

Die gemeinsame Abstammungslinie von Affen und Menschen geht weit zurück, unser erster echter Urahn, ein Wesen mit mehr menschlichen als affigen Zügen, hat möglicherweise bereits vor sechs oder sieben Millionen Jahren gelebt (siehe Junger Mensch oder alter Affe?). Aber er hatte nur wenig Ähnlichkeit mit uns. Ganz anders Homo erectus, der „aufgerichtete Mensch“, der auf zwei Beinen geht, sich Werkzeuge schafft und das Feuer nutzt, und vor 1,75 Millionen Jahren aus Afrika nach Asien und Europa aufbricht (Die Besiedlung der Erde - Homo erectus erobert die Welt).

Aus ihm entwickelt sich in Europa der Neandertaler (siehe Klug und voller Fleischeslust) und in Afrika Homo sapiens. Letzterer wandert vor ungefähr 40.000 Jahren nach Europa ein und verdrängte Ersteren vollständig. Am Ende, vor mindestens 25.000 Jahren, tritt der Homo neanderthalensis aus der Geschichte ab, ohne genetische Spuren in uns zu hinterlassen (vgl. Neandertaler in der Sackgasse).

71.000 Jahre alte Artefakte aus einer Still Bay-Fundstelle, Foto: C. Henshilwood

Die Gattung Homo hat offensichtlich schon sehr lang den Drang zu wandern, neue Gebiete zu entdecken und besiedeln. Der Siegeszug des „klugen Menschen“, des Homo sapiens – unserer Art – führt zur Bevölkerung aller Kontinente, jedes Stückchen Erde macht er sich untertan.

Aber wie begann das alles? Warum trieb es unsere Vorfahren aus Afrika fort? Lange galt die Erklärung, Klimaveränderungen hätten ihm die Heimat so unangenehm werden lassen, dass er sich neue Plätze suchte. Aber jetzt tritt eine internationale Forschergruppe an und bezweifelt, was so plausibel klingt. Kürzlich veröffentlichten Zenobia Jacobs von der australischen University of Wollongong und Kollegen auch aus Europa und Afrika ihre Neudatierungen wesentlicher Artefakte von zwei frühen so genannten „Steingeräteindustrien“ im südlichen Afrika im Wissenschaftsmagazin Science.

Sie nahmen sich Steinzeit-Werkzeuge, frühen Schmuck und mit Symbolen gravierte Ockersteine aus den nach Fundorten benannten Steingeräteindustrien „Still Bay“ und „Howieson's Poort“ vor und analysierten die entsprechenden Fundschichten an neun Orten im südlichen Afrika, wo wichtige derartige Artefakte aus der Erde geborgen worden waren.

Die Sibudu-Höhle, wo sowohl Still Bay als auch Howieson’s Poort Steinwerkzeug gefunden und nun neu datiert wurde. Foto: G. Baker

Die Wissenschaftler nutzen für ihre Neudatierung die optisch stimulierte Lumineszenz.(OSL-Methode. Dabei wird gemessen, wann Sandkörner aus Fundschichten zum letzten Mal das Licht der Sonne erblickt haben. Das Team um Zenobia Jacobs untersuchte mehr als 50.000 Quarzkörnchen, und die Resultate überraschten die Experten. Es zeigte sich, dass die beiden Steinzeitindustrien jeweils nur eine sehr kurze Zeit existierten und dass es zwischen ihnen eine ausgiebige Pause gab.

Die archäologischen Fundstücke umfassten Werkzeuge, aber auch gestaltete Besitztümer, die mehr als nur nützlich waren. Co-Autor Ralf Vogelsang von der Universität Köln erklärt:

Zu den Schmuckgegenständen gehören natürlich die durchbohrten Meeresschnecken aus der Blombos Höhle. Außerdem gibt es Bruchstücke von Straußeneischalen mit sorgfältig gerundeten Kanten aus der Höhle Apollo 11, die Bruchstücke von Straußeneianhängern sein könnten und aus den Howieson's Poort Schichten stammen. Charakteristisch für viele Inventare ist eine hohe Anzahl von Farbpigmente, z.B. Ockersteine. Abriebspuren an einigen Stücken belegen den Gewinn von Farbpulver. Möglich ist eine Verwendung der Farbe u. a. zur Körperbemalung. Von mehreren Fundstellen (u.a. wieder von Blombos) gibt es Ocker mit eingeritzten Mustern. Man kann darüber streiten ob dies die früheste afrikanische Kunst ist, aber eine symbolische Bedeutung ist unzweifelhaft.

Die beiden Kulturen tauchen zwischen 80.000 bis 60.000 Jahren vor heute kurz auf und verschwinden dann plötzlich wieder. Die Still Bay Industrie – bekannt für ihre meisterlichen Steinklingen und sorgfältig flächig bearbeitete Spitzenformen – existiert gerade Mal 1.000 Jahre lang. Danach ist 7.000 Jahre lang nichts mehr Gleichwertiges zu finden, bis schlagartig die vielfältigen und aufwändigen Howieson's Poort-Werkzeuge gefertigt werden.

Werkzeuge der Howieson’s Poort Industrie, Bild: M. Lombard

"Aber diese technische Hochzeit endete vor 60.000 Jahren und danach folgen 30.000 Jahre relativ grober Steinzeit-Technologie", erläutert Zenobia Jacobs. Aber was geschah mit den frühen Menschen, die so versiert feine Werkzeuge und Schmuck herstellten? Noch gibt es keine eindeutigen Erklärungen, dazu sind die Erkenntnisse noch zu neu, aber vielleicht wanderten sie aus, denn um diese Zeit beginnt der lange Zug des Homo sapiens nach Europa. Und vielleicht waren und sind es gerade die innovativsten und mutigsten Menschen, die sich auf den Weg machen, um die Welt hinter dem Horizont zu entdecken, damals wie heute?

Klimaänderungen gab es viele, auch vorher und nachher, aber keine so gravierende in der Zeit, dass sie einen Exodus erfordert hätte. Zudem liegen die Fundstellen an so verschiedenen Orten wie der Wüste Namibias, den Küsten Südafrikas und den Bergen Lesothos.

Es sieht danach aus, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem technologischen und kulturellen Schub und der Ausbreitung des Homo sapiens gibt. Innovation und Migration gingen Hand in Hand. Erst mehr Ausgrabungen und Datierungen werden Gewissheiten bringen.

Aber Zenbia Jacobs spekuliert bereits ein bisschen:

Es ist möglich, dass die Innovationen von Still Bay und Howieson’s Poort Beschleuniger für die Expansion der Bevölkerung innerhalb und aus Afrika heraus waren – oder die demografischen Vorgänge waren der Auslöser für die fortschrittliche Steinzeit-Technologien.