Die allerneueste Biografie des Universums
Forscher konnten die Entwicklung des Weltalls in einer neuen Computersimulation nachvollziehen, die seinen heutigen Zustand deutlich besser erklärt als frühere Modelle
Moderne Wissenschaft ruht normalerweise auf drei Standbeinen: Beobachtung, Theorie und Simulation. Die Beobachtung liefert die Tatsachen. Die Theorie erklärt diese. Die Simulation nutzt die Theorie, um aus den Anfangsbedingungen den aktuellen Zustand herzuleiten. Dabei können aus allen drei Bereichen Ansätze für wissenschaftliche Innovation kommen: Neue Beobachtungen machen neue Theorien erforderlich - und wenn eine Simulation nicht zu einem Modell der Wirklichkeit führt, ist entweder die dahinter stehende Theorie falsch oder die Simulation ist nicht ausgereift.
Die Kosmologie konnte sich bisher vor allem auf Beobachtung und Theorie stützen. Der Kosmos erlaubt dabei einen überraschend tiefen Blick in seine Vergangenheit - der begrenzten Lichtgeschwindigkeit sei Dank. Aus der Entfernung eines Objekts lässt sich dadurch ganz einfach sein Alter bestimmen. Das bisher jüngste vom Menschen beobachtete Phänomen ist demnach ein Gammastrahlenausbruch, der bei heute 13,14 Milliarden Lichtjahren Entfernung schon rund 520 Millionen Jahre nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren erfolgt sein muss.
Der helle Blick in die Vergangenheit
Es ist faszinierend, was sich aus einem nur rund zehn Sekunden andauernden Gammablitz herauslesen lässt: Er wurde wohl freigesetzt, als ein Stern von mehr als dreißig Sonnenmassen am Ende seines kurzen Lebens zu einem Schwarzen Loch kollabierte. Dieser Stern muss der ersten Population einer der allerersten Galaxien angehört haben, denn die Bildung von Sternformationen setzte überhaupt erst 400 Millionen Jahre nach dem Urknall ein.
Einen weiteren Blick in die Vergangenheit erlauben Radio-Galaxien, die so genannten Quasare. Im Teleskop wirken sie wie Sterne, tatsächlich handelt es sich um ganze Milchstraßen und mit bis zu 1014 Sonnen-Lichtstärken um die lichtstärksten Objekte im Weltall. Ihre beobachtete Helligkeit beziehen sie aus dem Schwarzen Loch in ihrem Zentrum, das Material aus seiner Umgebung an sich reißt und zu einer scheibenförmigen Struktur zwingt.
Magnetfelder in dieser Scheibe können zur Bildung sehr schneller Strömungen (Jets) führen, die im Radioteleskop zu sehen sind. Die am weitesten entfernten Quasare (zumindest soweit von Astronomen beobachtet) sind knapp 13 Milliarden Lichtjahre alt.
Anforderungen an die Rechenkraft
Die aussagekräftigsten Informationen über die Entstehungsgeschichte des Weltalls liefert aber die kosmische Hintergrundstrahlung. Schon ihr Vorhandensein hat die Forscher auf den explosiven Start des Universums aufmerksam gemacht. Interessanter sind aber noch die Strukturen, die die frühe Evolution dieser Hintergrundstrahlung aufgeprägt hat. Diese Inhomogenitäten haben mit der Zeit zu der kosmischen Struktur geführt, die heute noch zu beobachten ist.
Wenn Forscher allerdings bisher versucht haben, den Prozess im Computer nachzuvollziehen, waren sie nur mäßig erfolgreich - insbesondere, wenn es darum ging, gleichzeitig die grobe Struktur des Kosmos und seine Detailgrößen auf Galaxienebene zu entwickeln. Das lag vor allem an den massiven Anforderungen an die Rechenkraft: Die Forscher mussten sich entweder auf das große Ganze konzentrieren oder sich auf kleinere Bereiche beschränken.
Neue Simulationen oder: Wie gut die derzeitige Theorie zur Wirklichkeit passt
Im Fachmagazin Nature stellt ein internationales Team nun die neue Simulation Illustris vor, die hier einen großen Schritt weiter kommt. Sie startet ganze 12 Millionen Jahre nach dem Urknall, im so genannten "Dunklen Zeitalter". Das Weltall war zu großem Teil von Wasserstoff erfüllt, der die Ausbreitung ultravioletten Lichts verhinderte. Das sollte sich erst nach 200 bis 800 Millionen Jahre später wieder ändern, als das Licht der ersten Sterne (ab einem Universums-Alter von etwa 100 Millionen Jahren entstanden) zu einer zweiten Ionisierungsphase führte.
Die neue Simulation Illustris umfasst einen Würfel von etwa 350 Millionen Lichtjahren Kantenlänge (also bei fast 14 Milliarden Lichtjahren Ausdehnung nur einen relativ kleinen Teil). Die kleinste Auflösung liegt bei rund 150 Lichtjahren - das ist zur Erfassung interner Strukturen in Galaxien sehr gut geeignet. 41.416 Modell-Galaxien sind denn auch in Illustris zum heutigen Zeitpunkt enthalten. Erstmals gelang es dabei, auch die Entwicklung scheibenförmiger Galaxien wie unserer Milchstraße zu beobachten, die sich bisher der Simulation verweigert hatten.
Die Forscher haben zudem virtuelle Sternenfotos kreiert, wie sie etwa das Hubble-Teleskop von ihrem Modell-Universum hätte aufnehmen können - und diese besitzen überraschende Ähnlichkeiten mit den tatsächlichen Hubble-Aufnahmen. Lediglich bei der Simulation kleiner Galaxien versagt das Modell: Sie entstehen hier weitaus früher als in der Realität. Die schlechte Nachricht ist damit eigentlich nur, dass das neue Modell keine neue Theorie erfordert - aber andererseits ist es auch beruhigend zu sehen, wie gut die derzeitige Theorie zur Wirklichkeit passt.
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