Die dramaturgische Imponderabilie

Zum 75. Geburtstag von Marilyn Monroe

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"Wenn man Marilyn Monroe auf der Leinwand sieht, dann wünscht man ihr, dass es ihr gut geht." hat Natalie Wood mal gesagt. Heute geht es beiden ähnlich. Sie sind Nachbarinnen am Friedhof in Westwood. Und komischerweise ist die eine zu den schätzungsweise zehn unverwüstlichen Ikonen Amerikas geworden, die andere nicht. Früh sterben allein nützt also auch nichts. Man kann ja sehr schön spekulieren, was aus berühmten Frühverstorbenen geworden wäre, wenn sie nicht des Todes grause Hand abgezogen hätte. Jimi Hendrix würde heute Duette mit Eric Clapton aufnehmen, James Dean wäre Vorabendserienopa, und John Lennon würde nicht als der Kopf der Beatles gelten. Marilyn Monroe wäre heute, mit 75, vielleicht nicht unbedingt Faschistin und Arschgeige wie ihre französische Kollegin Brigitte Bardot, sondern eher Gesellschaftsvettel wie Liz Taylor. Womöglich hätte die Monroe es aber einfach nicht mehr ausgehalten und sich zeitig garbo- oder dietrichartig zurückgezogen, vielleicht zusammen mit dem x-ten Ehemann, wahrscheinlich aber eher ohne.

So ziemlich jeder, der ab und zu fernsieht, dürfte im Gedächtnis allerhand Krimskrams über diese Frau gespeichert haben. Da war das berühmte Nacktfoto - ein verbogenes Stück Fleisch auf einem roten Laken, da war die Ehe mit dem Baseballstar, mit dem Intellektuellen, die angebliche Affäre mit dem totgeschossenen Präsidenten und schließlich der Selbstmord im Jahre 62. So muss sie seither für zig Amerikanisten, Soziologen und Pop-Theoretiker als wissenschaftlicher Gegenstand herhalten. Aber all dieses Drumrum verstellt bis heute den Blick auf ihre Kunst. Denn wieviele große Komödiantinnen hatte es denn schon, das letzte Jahrhundert? Katharine Hepburn, Mae West, Liesl Karlstadt, Mable Norman, Frances McDormand und ein paar Zerquetschte...keine so große Ausbeute, um eine Marilyn Monroe den Schauermärchen und Pin-Up-Kalendern zu überlassen.

In ihren Filmen war sie nie nur ein eigenschaftsloses Stück Niedlichkeit, keine hübsch langweilige Prinzessin, keine Gretel, die nur ab und an "Sei vorsichtig, Kasper!" hauchen musste. So eine blieb auch nicht im Wagen, wenn der Hauptdarsteller darum bat, sondern stellte stets eine dramaturgische Imponderabilie dar. Nur Robert Mitchum warf sie sich mal über die Schulter und trug sie aus dem Saloon wieder raus, um sie bei sich in der Farm aufzupflanzen. Ihr Terrain steckte sie aber selbst ab, wie im Lied "I'm gonna file my claim" angekündigt. Das Rollenmodell das sie so häufig wie plastisch ausfüllte - blonde Maid, blöd wie ein Stück Butter - mag man vielleicht nicht für vorbildlich halten. Trotzdem bleibt es bemerkenswert, dass dieser jungen Schauspielerin im patriarchalischen Hollywood der Fünfziger ein Großteil der Pointen zur Gestaltung überlassen wurde. An viele ihrer männlichen Filmpartner erinnert man sich indessen kaum.

Schon ihr Durchbruch "Blondinen bevorzugt" war weit mehr als nur ein Musical, sondern eine "Musicalparodie" wie Regisseur Howard Hawks es nannte, "So schrill wie möglich und absolut ordinär". Da spielte Marilyn die wunderbare Karikatur einer geldgierigen Blondine, im Nachfolgefilm "Wie angelt man sich einen Millionär" war sie wiederum zu unbedarft für echten Geschäftssinn. Diese beiden Sex-Komödien gaben die Richtung vor, die privaten Eskapaden lieferten die Promotion. Zwar spielte Monroe auch in dem quadratisch-praktischen Western "Fluss ohne Wiederkehr", in Joshua Logans zartem Drama "Bus Stop", sowie am Ende bei John Huston im "Misfits", einem Film voller Wehmut; im Gedächtnis ist Marilyn jedoch eher als wiggelnder Weiberleib geblieben. Dass zur Mitwirkung in Billy Wilders Filmen "Das verflixte siebente Jahr" und "Manche mögen's heiß" mehr gehören musste als nur ein blondes Haar und ein gut platzierter Leberfleck, wird vor lauter Glotzen und Geifern oft vergessen. Heute kann es uns herzlich egal sein, wenn Billy Wilder erzählt, dass er eine völlig simple Szene in "Some like it hot" 65 mal drehen musste, weil seine Hauptdarstellerin sie ständig verschusselte. Die Überlieferung, dass sie die lange Szene, in der sie "Shell-Oil-Junior" kennenlernt, in einem einzigen Take runterspielte, beweist, wie gut sie war.

Es heißt, sie habe stets darunter gelitten, dass viele sie für dumm hielten. So schleppte sie ständig Bücher mit sich rum, heiratete mit Arthur Miller einen Parade-Intellektuellen und ließ sich im hehren Actors-Studio in ihrer Schauspielkunst neu ausbilden. Billy Wilder lieferte dazu einen ziemlich endgültiges Urteil: "Sie hatte schon ohne die Ausbildung in Lee Strasbergs "Actors Studio" ein Gefühl für den Dialog, wie kaum jemand sonst. Sie wußte ganz instinktiv, wie man sich bewegt, wie man einen Witz erzählt, wie man komisch ist. Sie spielte vor der Zeit bei Strasberg genausogut wie danach." Dass Marilyn Monroe mit Pin-Ups, Skandalen und dampfend erotischen Filmauftritten berühmt geworden ist, läßt ihr offensichtlich bis heute keine Chance, als begnadete Komikerin, echte Wertschätzung abzubekommen. 39 Jahre hätte sie bis zu ihrem heutigen Geburtstag Zeit gehabt, ihr Image zu korrigieren. Aber so lang wollte sie halt nicht warten.