Die hohe Inflation und die bedrohlich steigende Kerninflation

Teuerungsrate sinkt etwas, Straffung der EZB-Geldpolitik wirkt, aber die Inflation ist in der Breite angekommen. Sollten die Energiepreise wieder steigen, könnte es dramatisch werden.

Beobachter machen es schon als "gutes Omen" aus, dass die Inflationsrate zuletzt etwas gesunken ist. Mit Blick auf Spanien wird sogar schon getitelt: "Inflation in Spanien macht Hoffnung für Eurozone", wie bei ntv zu lesen ist. Grund zur Hoffnung ist, dass der Rückgang etwas stärker als erwartet ausgefallen ist.

Berichtet wird, dass sich die Inflation in der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone im Dezember deutlicher abgeschwächt habe, als es von Experten erwartet worden war. Nach Angaben der spanischen Statistiker sind die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr offiziell "nur" um 5,6 Prozent gestiegen, wie das Nationale Statistikamt (INE) auf Basis vorläufiger Daten ermittelt hat.

Experten hätten hingegen einen Wert von 6,0 Prozent erwartet. Neue Daten vom Statistischen Bundesamt (Destatis) über die Teuerungsrate in Deutschland kommen erst am Mittwoch.

"Der stärker als erwartet nachlassende Preisdruck gilt als ein gutes Omen für die bald anstehenden Preisdaten aus dem gesamten Euroraum", erklärt ntv mit Blick auf Spanien.

Die Experten gehen davon aus, dass im Dezember die Inflation in der Eurozone von 10,1 auf 9,7 gesunken ist, Die Zahlen von Eurostat kommen aber erst am Freitag. In der Absenkung spielen die spanischen Werte eine Rolle.

Spanische Subventionen

Warum Spanien bei der Inflationsentwicklung inzwischen eine Sonderrolle in der EU einnimmt, haben wir hier schon ausgeführt. Das hat vor allem mit der Deckelung des Gaspreises zu tun, womit auch die Strompreise niedriger bleiben, was Deutschland in der EU bisher verhindert hat.

Dazu kamen Subventionen auf die Spritpreise von 20 Cent pro Liter, die aber zum Jahreswechsel für die Verbraucher abgeschafft wurden. Nur noch im Transportwesen, der Fischerei und in der Landwirtschaft wird Treibstoff weiter subventioniert. Was die Staatsverschuldung weiter antreibt, sorgt dafür, dass die Inflation niedriger als im EU-Durchschnitt ist.

Aber die Inflation wird vermutlich im Januar auch in Spanien mit dem Wegfall von Subventionen vermutlich auch wieder steigen. Das neu beschlossene Hilfspaket ist unzureichend, wenig sozial und wenig zielführend, da weiter mit der Gießkanne vorgegangen wird.

Die noch immer viel zu hohe Inflation in Spanien ist vor allem über Notmaßnahmen und Subventionen gesenkt worden, ganz ähnlich wie in Frankreich, das ebenfalls am unteren Ende der Eurostat-Skala zu finden ist.

Kompensation der EZB-Politik

Zum Teil wurde damit die verfehlte Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgefangen, die viel zu lange mit Erhöhungen der Leitzinsen gewartet hatte. Getrieben von der Geldpolitik der US-Notenbank musste sie letztlich aber nachziehen, auch um die Geldflucht in andere Währungsräume zu verhindern.

Die Geldflucht hatte den Euro stark geschwächt, der auf die Parität zum Dollar abgerutscht war. Damit hat sich Energie, die in US-Dollar bezahlt werden muss, zusätzlich verteuert.

Indices, Verschleierung und Lücken

Doch schauen wir uns den ntv-Bericht und die Daten der INE-Statistiker einmal etwas genauer an. Vorneweg sei gesagt, dass in Spanien mit dem "Harmonisierten Verbraucherpreisindex" (HVPI) gearbeitet wird, wie auch richtig berichtet wird. Obwohl auch dieser Index in den letzten Jahren aufgehübscht wurde, wie Experten betonen, um die real noch höhere Inflation zu verschleiern.

Der HVPI ist international vergleichbarer und deutlich aussagekräftiger als der "Verbraucherpreisindex" (VPI) mit dem Destatis in Deutschland arbeitet. Die Lücke zwischen beiden Werten wurde im letzten Jahr immer größer. Nach Angaben von Destatis hatte Deutschland im November eine aufgehübschte Inflation von offiziell 10 Prozent (VPI). Nach dem international vergleichbareren HVPI lag sie aber schon bei 11,3 Prozent.

Hätte der Euro zudem weiter an Wert verloren und wären die Energiepreise nicht deutlich gefallen, wäre die Inflationsrate in Deutschland ohnehin schon durch die Decke gegangen. Die baltischen Staaten zeigen mit Raten über 20 Prozent, dass noch viel Luft nach oben ist. Der Ölpreis ist inzwischen zum Beispiel heute mehr als fünf Prozent niedriger als vor einem Jahr.

Destatis schrieb aber erst kürzlich:

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind insbesondere die Preise für Energie und Nahrungsmittel merklich angestiegen und beeinflussen die Inflationsrate weiterhin erheblich.

So werden weiterhin Märchenerzählungen bedient. Der Ölpreis war schon längst vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs stark in die Höhe geschnellt.

Auch die Inflation war deshalb schon sehr hoch. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat mit dieser Entwicklung, wie schon oft ausgeführt, weniger zu tun, als dies verbreitet wird. So benutzt ihn auch die EZB als Ausrede für ihre erratische Geldpolitik.

Die hätte die Leitzinsen schon vor gut einem Jahr erhöhen müssen, als die Inflation im November 2021 schon auf sechs Prozent in Deutschland geklettert war.

Erarre est Lagarde

Viel zu spät leitete die EZB unter Führung der Französin Christine Lagarde die Zinswender aber erst im Sommer ein, dazu noch viel zu zaghaft. Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass die ausufernde Verschuldung in ihrem Heimatland zum Teil "weginflationiert" wird, da sie im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sinkt. Das kann bei Eurostat nachvollzogen werden.

Zwar war die französische Verschuldung schon im 2. Quartal 2022 auf fast drei Billionen Euro gestiegen, doch im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung war sie auf 113 Prozent gefallen. Im Vorquartal waren es noch 114 Prozent.

Die Inflation hat uns im vergangenen Jahr beschäftigt und wird dies, vor allem wegen der falschen EZB-Politik, noch eine ganze Weile tun.

Was ntv neben den Sonderbedingungen in Spanien auch weglässt, um die Entwicklung in Spanien als "Omen" der "Hoffnung" für den Euroraum darstellen zu können, ist die Entwicklung der Kerninflation. Die ist nämlich sehr bedenklich, worauf auch der angesehene Wirtschaftswissenschaftler Santiago Niño Becerra hinweist.

Wenn die Inflation in die Breite geht

Anders als die deutschen Statistiker gibt die spanische INE auch den Inflationswert an, aus der in Spanien Energie und verarbeitete Lebensmittel herausgerechnet werden.

Nimmt man diese Zahl in den Bericht auf, bleibt von der Hoffnung kaum mehr eine Spur übrig. So ist in Spanien zwar die allgemeine offizielle Inflationsrate nur auf 5,6 Prozent gestiegen, aber die Kerninflation ist noch deutlich weiter gestiegen und liegt nun erstmals über dem HVPI-Wert und das mit 6,9 Prozent sogar markant.

Wir hatten hier immer wieder davor gewarnt, es bestehe eine starke Gefahr dafür, dass die Inflation in die Breite geht. Genau das hat die Schweiz zum Beispiel zu verhindern versucht. Die Inflationsrate stagnierte beim Nachbar im November bei gerade einmal drei Prozent.

Da in der Schweiz die Löhne im Durchschnitt um 2,5 Prozent zugelegt haben, ist dort der Kaufkraftverlust auch nur gering.

In Deutschland dagegen ist sogar nach stark aufgehübschten Destatis-Daten der Kaufkraftverlust schon "so hoch wie nie zuvor". Das zeitigt vermutlich dann noch ziemlich schlechte Auswirkungen auf die Konjunktur.

Der Schweiz ist bisher gelungen, es zu verhindern, dass die Inflation in die Breite geht. In der Eurozone hat die erratische EZB-Politik aber dafür gesorgt, dass die Inflation eben in die Breite gehen konnte – statt für Preisstabilität bei einer Inflationsrate von knapp zwei Prozent zu sorgen, was ihre eigentliche Aufgabe ist.

Die Anpassung der Doktrin

Stattdessen hat man nach politischen Vorgaben die Zielmarke noch eilig, wenn auch nur leicht, von "knapp unter zwei Prozent" auf zwei Prozent angehoben. Dramatischer war aber, dass die Zentralbank nun auch "stärkere Abweichungen nach oben oder unten" akzeptieren will und das "über einen längeren Zeitraum" hinweg.

Die Anpassung der Doktrin kam ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Inflation aus dem Ruder lief. Damit wurde im Sommer 2021 der Weg zu der Entwicklung zementiert, die wir 2022 schmerzhaft zu spüren bekommen haben.

Die Kerninflation

Wie stark die Inflation in der Breite angekommen ist, darüber sagt die Kerninflation etwas aus. In Spanien lag die zum Jahreswechsel 2021 bis 2022 noch bei etwa 2,2 Prozent. Sie ist in 12 Monaten auf 6,9 Prozent explodiert. In Deutschland sieht das ähnlich aus.

Lag die Kerninflation im Januar 2022 bei 2,9 Prozent, hat sie sich schon bis November auf fünf Prozent fast verdoppelt. Bisher wurde die hohe Inflation vor allem auf die gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise geschoben, die zeitweise besonders stark gestiegen sind.

Dass dahinter aber auch massive Spekulation steckt, wird nicht erklärt, dabei sind auch die Mitnahmeeffekte über die "Gewinninflation" längst in die Breite gegangen. Das drückt sich in Entwicklung der Kerninflationsraten aus, die zeigen, dass die Inflation inzwischen in der gesamten Breite angekommen ist.

Deshalb warnt der spanische Wirtschaftswissenschaftler Becerra richtigerweise eindringlich vor Erfolgs- oder Hoffnungsmeldungen, die einer realen Grundlage entbehren. Dass die Kerninflation in Spanien erneut um 0,6 Prozentpunkte angestiegen ist, "gibt eine Vorstellung davon, was in den kommenden Monaten passieren könnte".

Er richtet sich an seine Twitter-Follower und erklärt: "Und stellen Sie sich vor, was mit dem Verbraucherpreisindex passiert, wenn die Energiepreise wieder steigen." Die Inflation geht dann nämlich erst richtig durch die Decke und 2022 war nur ein Vorgeschmack.

Wann geht die Inflation zurück?

In der deutschen Wirtschaft gibt es deshalb auch Stimmen, die nicht davon ausgehen, dass die hohe Inflation rasch sinken wird, wie es uns die EZB immer wieder zu verkaufen versucht.

"Die Inflation hat bereits vor der Energiekrise eingesetzt und wird auch erst mal andauern", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Inflation noch einige Zeit über der sinnvollen EZB-Zielmarke von zwei Prozent liegen wird", fügte er an.

"Eine spürbare Verlangsamung der Preissteigerung ist vermutlich erst ab dem Sommer 2023 zu erwarten", meint der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) sogar noch einigermaßen optimistisch.

Aber auch Holger Schwannecke schränkt ein, dass die Teuerung trotz allem auf hohem Niveau bleiben werden und die Steigerungsraten "deutlich höher als in den Jahren vor 2022 liegen". Nur die allerwenigsten Betriebe hätten die gestiegenen Kosten für Energie, Rohstoffe oder Vorprodukte vollständig über höhere Endkundenpreise weitergeben können.

Auch nach Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) wird die Inflation längst nicht mehr hauptsächlich von den Energiepreisen getrieben, sondern von mehreren Faktoren, weshalb einer Rückkehr auf die EZB-Zielmarke von zwei Prozent länger dauern dürfte.

Erst Mitte des Jahrzehnts sei damit zu rechnen, "wenn die Geldpolitik Wirkung zeigt", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Dass wenigstens der Höhepunkt erreicht wurde, hofft optimistisch der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Der BGA-Präsident Dirk Jandura will "erste Anzeichen" von einem nachlassenden Preisdruck sehen.

Aussichten

Der DIHK-Präsident Adrian hält die EZB-Geldpolitik noch immer für zu zögerlich, auch wenn Lagarde weitere Zinsanhebungen ankündigt, die in Zukunft aber schwacher ausfallen sollen. Die Frankfurter Notenbank stehe einer großen Zahl an Herausforderungen gegenüber, verweist Adrian allen voran auf importierte Inflationstreiber in Form von gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen.

"All dies kann sie aktuell nicht einfach einfangen", meint er. Aber er sieht, dass die EZB "mit den Zinsanhebungen und damit der Rückführung der expansiven Geldpolitik viel zu spät begonnen" habe.

Jetzt müsse sie deshalb die Zinsen umso schneller erhöhen. "Das erschwert die Unternehmensfinanzierung und ist ein zusätzlicher Belastungsfaktor für die Betriebe", meint er. Trotz der dunklen Wolken am Horizont, rechnet der BDI-Präsident Russwurm nur mit einer schwachen Rezession in Deutschland.

Ob es tatsächlich so kommt, hängt mit der Entwicklung der Energiepreise und damit mit den Entwicklungen im Ukraine-Krieg zusammen. Großbritannien erwartet eine Jahrhundertrezession, was aber ebenfalls mit ganz eigenen Faktoren zu tun hat. Die Konservativen dort haben das Königreich tief in die gefährliche Stagflation geführt.