Die kontrollierte Abwicklung der Sowjetunion

Seite 2: Die schmutzige Auktion um die Teheraner Geiseln

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Jahre 1979 und 1980 waren Wendepunkte. Der Politikstil sollte sich radikal ändern. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien. Auf dem europäischen Kontinent sollte die Umwälzung allerdings noch ein wenig auf sich warten lassen.

Schluss war mit der Rücksichtnahme auf die Schwachen. Mit der Rücksichtnahme auf einen regelbasierten Umgang miteinander. Mit dem Versuch, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, sondern sich mit seinen Widersachern friedlich zu einem Kompromiss zusammenzuraufen. Vorbei sind auch die Zeiten, wo besonders verantwortungsbewusste Einzelkämpfer wie Franklin Roosevelt, Dwight D. Eisenhower, Charles de Gaulle oder Nikita Chruschtschow einen funktionstüchtigen Staatsapparat nutzen konnten, um uneigennützige Ziele wie Solidarität, Entmilitarisierung, Befreiung von Diktatur oder nationale Souveränität durchzusetzen.

Vorbei die Zeit des heroischen Scheiterns eines Charles de Gaulle. Nach den Nichtregierungsorganisationen und den Multinationalen Konzernen klopfen nun die weltweit vernetzten Verbrecherbanden an die Tür der politischen Macht und fordern mit besonders brutalem Röhren sofortigen Einlass.

Der nichts ahnende Wähler gewährt 1980 den begehrten Einlass. Der glücklos agierende Jimmy Carter hätte seine Wiederwahl eigentlich durchaus erreichen können. Noch im Spätsommer 1980 liegen Carter und sein Herausforderer Ronald Reagan gleichauf in den Umfragen. Und das obwohl in der US-Botschaft im revolutionären Teheran 55 Geiseln von iranischen Garden gefangen genommen wurden. Und obwohl dann der Versuch durch das amerikanische Militär, die Geiseln zu befreien, kläglich im Wüstensand gescheitert war.

Carter und sein Team hatten schon lange heimlich Kontakt mit den Geiselnehmern angeknüpft. Und es sah ganz so aus, als sollten die amerikanischen Geiseln noch vor dem Wahltermin im November gegen ein saftiges Lösegeld freikommen. Das wäre eine wahre Oktober-Überraschung geworden. October Surprise ist in den USA ein feststehender Begriff: denn schon frühere Präsidenten hatten im Monat vor der Wahl so manches Mal eine Überraschung aus dem Hut gezaubert und damit die Wahl für sich entschieden. Doch Carter war diese Oktober-Überraschung nicht vergönnt.

Die Geiseln kamen trotz großzügiger amerikanischer Offerten nicht frei. Herausforderer Reagan gewann die Wahl mit einem satten Vorsprung von zehn Prozent auf den Amtsinhaber. Und, seltsam, seltsam: Am 20. Januar 1981 leistet Ronald Reagan seinen Amtseid als neuer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika - und fünf Minuten später klingelt das Telefon. Die Geiselnehmer sind am Apparat. Sie verkünden, dass soeben die jetzt noch 52 Geiseln freigelassen wurden und auf den Weg zum amerikanischen Militärhospital im bundesdeutschen Wiesbaden geschickt werden.

Mochten die iranischen Revolutionsgarden den zackigen neuen Law-and-Order-Kandidaten Ronald Reagan besonders gerne? Wohl nicht. Die Antwort ist ganz banal. Die Leute aus dem Stab des Herausforderers Reagan hatten ihrerseits Kontakt zu den Revolutionswächtern aufgenommen und in einer perversen Auktion mehr Lösegeld geboten als die Carter-Leute. Reagans Wahlkampfchef William Casey hatte sich mehrmals im Sommer 1980 mit den Iranern in Madrid getroffen. Für diese Heldentat belohnt Reagan seinen Schildknappen Casey mit dem Job des Direktors der CIA.

Und nun kommen wir auf die Clearing-Institute zurück. Bei CEDEL in Luxemburg sitzt der drittwichtigste Mann in der Firmenhierarchie, Ernest Backes, am 18. Januar 1981 in seinem Büro und hat einen Sonderauftrag auszuführen. Er soll von zwei privaten Bankhäusern in New York insgesamt sieben Millionen Dollar abheben und diese sodann auf das Konto der Nationalbank von Algerien überweisen.

Backes fragt sich, ob das so in Ordnung ist, von fremden Bankhäusern mal eben Millionenbeträge abzubuchen. Doch die New Yorker haben keine Einwände. Dagegen weigern sich die Algerier zunächst, das Geld anzunehmen. Doch nach einem kurzen Telefonat mit Teheran nehmen sie das Geld gerne entgegen, um es sodann den Revolutionswächtern im Iran zukommen zu lassen.

Dank der extremen Geheimniskrämerei des Clearing-Systems erfährt die Öffentlichkeit über viele Jahre nichts von den kriminellen Hintergründen der spektakulären - künstlich und arglistig verspäteten - Heimkehr der gequälten amerikanischen Geiseln. Wenn nicht bei CEDEL-Mitarbeiter Backes der Groschen gefallen wäre. Und wenn nicht acht Jahre später eine ausgestiegene Reagan-Mitstreiterin die ungeheuerliche Verzögerung der Geiselbefreiung in einem Buch beschrieben hätte.2

Wir sehen: Seit Reagans Amtsantritt ist das organisierte Verbrechen mit von der Partie. Mögen auch die Tricks von Kissinger und Nixon besonders schmutzig gewesen sein: Diese Tricks wurden noch immer von Staatsbediensteten ausgeführt - was sie natürlich um keinen Deut kuscheliger machten. Aber dass eine US-Regierung ihre Macht aufbaut auf die Unterstützung mafiotischer Vereinigungen, das ist neu.

Das färbt auch ab auf die Art und Weise, wie Reagan oder auch seine britische Amtskollegin Margaret Thatcher mit zuvor "Sozialpartner" genannten Bevölkerungsgruppen umgehen. "Rüde" ist geprahlt. Reagan lässt streikende Fluglotsen von der Polizei in Handschellen abführen und wirft 11.345 Kollegen mal eben auf die Straße. Maggie Thatcher lässt die streikenden Bergarbeiter brutal in der Winterkälte hungern, bis sie zähneklappernd aufgeben. Brutale Bilder, die bislang unvorstellbar waren.

Sowohl Thatcher als auch Reagan streichen radikal Steuern für die Reichen und senken gleichzeitig den Sozialhaushalt, bis dieser nur noch bronchitisch vor sich hin pfeift. Die Rüstung wird erneut in obszöne und durch die allgemeine Weltlage nicht gerechtfertigte Höhen getrieben. In einem Punkt unterscheiden sich Reagan und seine Schwester im Geist Maggie Thatcher allerdings: Ersterer treibt die Staatsverschuldung absichtlich in noch nie gekannte Höhen, letztere achtet dagegen immer noch auf einen einigermaßen ausbalancierten Staatshaushalt.