Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
Die Ankündigung der Herausgeber mehrerer großer wissenschaftlicher Zeitschriften, sicherheitsrelevante Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Biomedizin zu zensieren, lässt einige Fragen offen
Zu einem seit dem zweiten Weltkrieg einmaligen Schritt haben sich am Samstag die Herausgeber von insgesamt 18 internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften durchgerungen und eine Stellungnahme unterzeichnet, in der sie ankündigen, sich künftig bei der Veröffentlichung möglicherweise sicherheitsrelevanter biomedizinischer Forschungsartikel einer Selbstzensur zu unterwerfen (Maulkorb für die Wissenschaft).
Die Initiative ist eine Reaktion auf den 11. September 2001 und die darauf folgende Periode der Angst vor Milzbrandattacken in den Vereinigten Staaten. Eingeschränkt werden soll in Zukunft vor allem die Veröffentlichung von Forschungsartikeln, die entweder als Gebrauchsanleitung zur Herstellung von biologischen Waffen gelesen werden könnten, oder die darauf abzielen, Bakterien oder Viren waffentauglicher zu machen. "Wenn der Herausgeber zu der Überzeugung gelangt, dass der potentielle Schaden einer Veröffentlichung den Nutzen übersteigt, dann sollte der entsprechende Artikel überarbeitet oder gar nicht veröffentlicht werden", heißt es in dem Aufruf.
Wie Nicholas Cozzarelli, Chefredakteur von PNAS, in einem Editorial erläutert, würde ein solches ablehnendes Urteil nicht der Willkür eines einzelnen Redakteurs überlassen, sondern in enger Zusammenarbeit mit namhaften Wissenschaftlern der jeweiligen Fachrichtung gefällt. Dass die Entscheidung darüber, welche Artikel abgelehnt oder aus Sicherheitsgründen verändert werden sollten, im Einzelfall äußerst schwierig sein kann, geben auch die Unterzeichner des Aufrufs zu. Abgewägt werden muss hier nicht nur zwischen Sicherheit und Freiheit der Forschung. Da man sich auf biomedizinischem Terrain befindet, stehen natürlich auch berechtigte Interessen möglicher Patienten an bestimmten Forschungsergebnissen mit im Raum.
Von selbsternannten Wächtern ...
Auf eine nahe liegende Frage bleibt dieser scheinbar philanthropische Aufruf eine Antwort schuldig: Erfährt die Öffentlichkeit, was man ihr vorenthält? Wenn - wofür einiges spricht - die Selbstzensur künftig tatsächlich auf konspirativem Niveau abläuft, dann sollte ein schaler Geschmack im Mund aller liberal denkender Menschen bleiben. Es kann nicht sein, dass nur ein paar Eingeweihte wissen, wie viele und welche Informationen aus staatlich finanzierter Forschung der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Denkbar wäre dagegen, dass "Kochrezepte" zum Bombenbauen tatsächlich aus der Public Domain heraus gehalten werden. Man sollte dann aber über eine Rubrik diskutieren, die etwa heißen könnte: "In diesem Monat haben wir Artikel zu folgenden Themen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht". Dies würde der Öffentlichkeit zumindest erlauben, die Quantität der geblockten Informationen einzuschätzen.
Der zweite etwas heikle Punkt der Initiative scheint mir darin zu bestehen, dass hier eine Gruppe von Insidern relativ willkürlich beschließt, an welchen Stellen moralische Grenzen zu ziehen sind. Menschen, die sonst keine Gelegenheit versäumen, noch so abstruse Tätigkeiten im Namen der Forschungsfreiheit als legitim zu klassifizieren, präsentieren sich hier plötzlich als die Moralwächter der Welt. Immerhin ist Bioterror bei weitem nicht das einzige moralisch problematische Kapitel der modernen Biomedizin. Gegner jeglicher Embryonenforschung etwa könnten durchaus auf die Idee kommen, die Legitimität der Veröffentlichung von Arbeiten zur human Embryonenforschung mit dem Hinweis auf die zahlreichen "Opfer" dieser Experimente in Frage zu stellen. Ich möchte das hier nicht ethisch kommentieren oder beides vergleichen. Es ist aber ein Punkt, an dem die Befürworter einer wissenschaftlichen Selbstzensur früher oder später in Erklärungsnöte kommen werden, insbesondere dann, wenn von außen keiner genau nachvollziehen kann, was eigentlich zensiert wird.