Die unbeschränkte Macht des US-Präsidenten
Das Weiße Haus hat die angeblich verfassungsgemäßen Befugnisse des Präsidenten weit ausgedehnt, ob es sich um das heimliche Abhören von US-Bürgern, die Rechtlosigkeit von Gefangenen oder die nun erfolgte Umgehung des vom Kongress beschlossenen Folterverbots handelt
Der US-Präsident sieht sich und sein Land noch immer Krieg, nicht nur im Irak oder in Afghanistan, sondern weiterhin in einem globalen Krieg gegen den Terror. Um die USA vor den Feinden schützen zu können, müsse, appellierte Bush kürzlich an den Kongress, der Patriot Act unbedingt in Kraft bleiben. Auch wenn sich Bush scheinbar dem Kongress gebeugt und zum Pentagon-Haushaltsgesetz auch den so genannten McCain-Zusatz mit dem Folterverbot unterzeichnet hat, so will sich der US-Oberbefehlshaber doch nicht wirklich vom Kongress zügeln lassen. Wie schon das heimlich beschlossene Abhören der Auslandskommunikation durch die NSA führt Bush auch hier wieder seine Sondervollmachten nach der Unitary Executive Theory ins Feld, die es ihm erlauben soll, das Recht in weitem Maße selbst auszulegen.
Schon Dutzende Mal hat US-Präsident Bush sein ihm angeblich verfassungsmäßig zustehendes Recht bei der Unterzeichnung von Gesetzen oder Anordnung von Anweisungen in Anspruch genommen. Eigentlich sieht die Unitary Executive Theory vor, dass der Präsident die Exekutive beaufsichtigt. Die Bush-Regierung hat allerdings diese Kontrolle so interpretiert, dass der Präsident diese praktisch alleine und ohne die Zustimmung des Kongresses oder der Legislative ausführen kann. Er würde damit sogar über dem Obersten Gericht stehen.
Der Richter Samuel Alito, den Bush für das Oberste Gericht nominiert hat, sieht dies ebenso, weswegen dann von ihm, sollte er Oberster Richter werden, keine Gefahr ausgehen würde. Im November 2000 erklärte er, wie Wall Street Journal am. 6.1. 2006 berichtete, in einer Rede: "Der Präsident hat nicht nur einige exekutive Befugnise, sondern er übt die Macht über die Exekutive aus – über alles." Und auch schon zuvor hatte er sich für einen Ausbau der präsidialen Macht durch die Unitary Executive Theory stark gemacht.
Die Rechtsdehner des Weißen Hauses
John Yoo, der Office of Legal Counsel des Justizministeriums tätig war und für die Bush-Regierung auch die Rechtsauslegung für den außerrechtlichen Status von "feindlichen Kämpfern" und deren Behandlung lieferte (Die intellektuellen Wegbereiter von Folter und Willkürjustiz), hatte schon in einem Gutachten am 25.9.2001 die Macht des Präsidenten praktisch unbegrenzt erweitert, den Krieg gegen den Terrorismus zu führen. Nach seiner Ansicht – und auf solche internen Gutachten beruft sich die Bush-Regierung permanent, um die angebliche Legitimität ihrer Aktionen zu demonstrieren – hat der Kongress, nachdem er dem Präsidenten zum Oberbefehlshaber im Krieg gegen den Terrorismus ernannt hat, diesem praktisch zeitlich unbegrenzt die Entscheidung übertragen, wie und gegen wen dieser vorgehen will. So dürfe er auch ohne weitere Bevollmächtigung gegen Terrororganisationen oder Staaten, die solche beherbergen, präventiv militärisch einschreiten, auch wenn dies in keinem Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11.9. steht. Das war praktisch schon die Legitimität für den Irak-Krieg.
Yoo führt etwa in folgender Passage vor, wie man die Rechte des Präsidenten auch im Widerspruch zur expliziten Genehmigung des Kongresses angeblich rechtmäßig erweitert:
It should be noted here that the Joint Resolution is somewhat narrower than the President's constitutional authority. The Joint Resolution's authorization to use force is limited only to those individuals, groups, or states that planned, authorized, committed, or aided the attacks, and those nations that harbored them. It does not, therefore, reach other terrorist individuals, groups, or states, which cannot be determined to have links to the September 11 attacks. Nonetheless, the President's broad constitutional power to use military force to defend the Nation, recognized by the Joint Resolution itself, would allow the President to take whatever actions he deems appropriate to pre-empt or respond to terrorist threats from new quarters.
Und im letzten Satz des "Gutachtens" geht Yoo noch weiter, woraus man dann auch im Weißen Haus das Recht abgeleitet hat, dass der Präsident unter Umgehung des Kongresses und des FISA-Gerichts das Abhören der Auslandskommunikation von US-Bürgern durch die NSA anordnen kann:
Neither statute, however, can place any limits on the President's determinations as to any terrorist threat, the amount of military force to be used in response, or the method, timing, and nature of the response. These decisions, under our Constitution, are for the President alone to make.
Am 19.12.2005 hatte Justizminister Gonzales, der zuvor als Rechtsexperte des Weißen Hauses unter anderem für die "Legalisierung" der Folterung von Gefangenen gesorgt hatte, versichert, dass die vom Kongress US-Präsident Bush gewährte Kriegsermächtigung eben auch die Befugnis enthalte, ohne Genehmigung durch den Kongress US-Bürger zu belauschen. Offenbar geht der Machtanspruch des Weißen Hauses, pochend auf "the President’s inherent constitutional authority”, dem Kongress, in dem mehrheitlich Republikaner sitzen, nun doch zu weit. Ein vom Congressional Research Service geschriebenes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Autorisierung durch den Kongress nicht das ohne Gerichtsbeschluss erfolgende Belauschen von US-Bürgern einschloss, und wenn, dann höchstens über das FISA-Gericht, das von der Bush-Regierung ebenfalls umgangen wurde, weil, so der angegebene Grund, das zu langsam sei und zuviel Papierarbeit mache.
Das Folterverbot: Wie man ein Gesetz übernimmt und zugleich aushebelt
Aufgrund derselben Unterstellung der angeblich legalen Macht des Präsidenten wurde vom Weißen Haus der Status von "feindlichen Kämpfern" geschaffen, die verschleppt, im rechtsfreien Raum wie in Guantanamo und anderswo unbegrenzt festgehalten und auch unter Zwang verhört werden dürfen. Wie Gonzales und andere Angehörige der Bush-Regierung in ihren Gutachten erklärten, sind Misshandlungen und Bewirken von Schmerzen nach dem US-amerikanischen Folterverständnis "legal", das von Folter erst bei extrem hohen Schmerzen spricht.
Der republikanische Senator McCain hatte, um Vorfälle wie in Abu Ghraib künftig zu verhindern, dem Haushaltsgesetz des Pentagon einen Zusatz zugefügt, nach dem für alle Angehörigen der Regierung unabhängig von ihrem Aufenthaltsort das Folterverbot nach dem Wortlaut der Antifolter-Konvention gilt:
(a) In General- No individual in the custody or under the physical control of the United States Government, regardless of nationality or physical location, shall be subject to cruel, inhuman, or degrading treatment or punishment.
(b) Construction- Nothing in this section shall be construed to impose any geographical limitation on the applicability of the prohibition against cruel, inhuman, or degrading treatment or punishment under this section.
Das Folterverbot wurde mit großer Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat angenommen, obgleich die Bush-Regierung großen Druck ausübte und ein Veto androhte, um die CIA davon auszunehmen. Mit großer Geste verkündete dann US-Präsident, dass er das Haushaltsgesetz mit dem Folterverbot annehme (US-Regierung akzeptiert Folterverbot), allerdings war schon deutlich, dass man im Weißen Haus nach der Möglichkeit suchte, das Verbot doch umgehen zu können (Legalisierung von Guantanamo). Allerdings wurde in dem Gesetz die Strafverfolgung von möglichen Misshandlungen von Gefangenen bereits erheblich eingeschränkt. Verlangt werden zudem Berichte über die Zahl der Gefangenen in Guantanamo und über die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von deren Inhaftierung. Hier wird bereits ausgeschlossen, was die Bush-.Regierung ebenfalls durchsetzen konnte, dass amerikanische Gerichte Klagen von Inhaftierten übernehmen können. Das alles aber scheint dem Weißen Haus nicht zu genügen.
Als Bush dann Ende des Jahres fast unbemerkt neben zahlreichen anderen Gesetzen auch das Haushaltsgesetz des Pentagon (H.R.2863) unterzeichnete, fügte er einen Zusatz zum Umgang mit Gefangenen bei. Darin nahm wieder die von der Verfassung garantierte Macht des Präsidenten, die "unitary executive branch" zu kontrollieren, und die Befugnisse als Oberbefehlshaber in Anspruch, um "die amerikanischen Menschen vor künftigen Angriffen zu verteidigen". Danach sollen "Ausländer, die im Ausland als feindlicher Kämpfer inhaftiert wurden", keine Verfassungsrechte der USA in Anspruch nehmen dürfen, gleichzeitig sollen US-Gerichte keine Habeas-Corpus-Klagen von diesen übernehmen dürfen. Sie sollen also rechtlos bleiben, was auch hieße, dass US-Angehörige, die im Ausland Menschen entführen und inhaftieren, selbst dann keine Strafe droht, wenn sie diese misshandeln und foltern.
Dieser juristische Trick, durch das Folterverbot in Kraft treten und gleichzeitig wieder aufgehoben werden kann, wird von Dana Perino, einer Sprecherin des Weißen Hauses, so gerechtfertigt, dass es dem Präsidenten nur um das Prinzip gehe, nicht darum, das Folterverbot zu umgehen: "Der Präsident sagte, dass wir dem Gesetz folgen. Natürlich werden wir auch diesem Gesetz folgen." Das Prinzip eben heißt, dass der Präsident nach der "unitary executive theory", die bereits exzessiv von Reagan gegenüber dem Kongress in Anspruch genommen wurde, praktisch unbegrenzte Macht haben soll, wenn es um die nationale Sicherheit geht.
McCain hat zwar nun zusammen mit dem ebenfalls republikanischen Senator John Warner, mit dem er das Folterverbot als Zusatz zum Pentagon-Haushaltsgesetz eingereicht hatte, vor dem Unterlaufen des Verbots gewarnt. In einer gemeinsamen Erklärung schrieben sie, dass sie davon ausgehen, dass der Präsident das von einer großen Mehrheit getragene Gesetz für den Umgang mit Gefangenen versteht. Der Kongress habe auch Ausnahmen explizit nicht zugestimmt und würde die Einhaltung strikt überwachen.
Wie sie in einem Gespräch mit dem Spiegel verkündete, will Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Besuch in den USA darauf dringen, dass Guantanamo aufgelöst wird: "Es müssen Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden." Zudem will sie sich für die Freilassung des Deutsch-Türken Murat Kurnas einsetzen, der in Guantanamo inhaftiert ist. Allerdings sollte die deutsche Regierung auch dringend intern klären, wie sie allgemein zum Konzept der "feindlichen Kämpfer" und deren rechtlosem Status steht, der auch die Verschleppung, unbegrenzte Inhaftierung und Überstellung an Staaten einschließt, in denen Folter praktiziert wird. Wird die deutsche Regierung, wie man den Worten von Innenminister Schäuble entnehmen kann, hier weiterhin kooperieren? Nur Guantanamo aufzulösen, ändert nichts Grundsätzliches, sondern wäre nur eine symbolische Handlung.