"Die unverzichtbare Nation": Wie die USA sich in Nahost und Ukraine verrennen

Seite 2: Eine niedergehende Weltmacht schadet sich selbst

Russland ist nicht in der Lage, einen Angriffskrieg gegen Länder jenseits der Ukraine zu führen. Selbst im schlimmsten Fall einer vollständigen Niederlage der Ukraine müsste die russische Regierung selbstmörderisch sein, wenn sie weiter nach Westen in das Nato-Gebiet vordringen wollte.

Der Wunsch des Präsidenten, die von Russland ausgehende größere Bedrohung größer darzustellen, als sie ist, führt dazu, dass er die Fähigkeit der Nato zur Abschreckung von Angriffen infrage stellt. In dem anderen Konflikt scheinen die Bedrohungen für Amerika viel wahrscheinlicher zu werden, wenn sich die USA eng an Israel binden, das einen verheerenden Krieg in Gaza führt.

Die Annahme, dass die USA die "unverzichtbare Nation" sind und dass ihre Führung "die Welt zusammenhält", ist ein diskreditiertes Glaubensbekenntnis. Es ist nicht wahr, und es gibt viele Beispiele von Vietnam über den Irak bis Syrien dafür, dass die "Führung" der USA Spaltung und Konflikte erzeugten, was zum Schaden aller führte.

Der Glaube an die "Unverzichtbarkeit" der USA hat einige der schlimmsten Fehler und Verbrechen in der jüngeren US-amerikanischen Geschichte begünstigt und in den 25 Jahren, seit Madeleine Albright diesen Satz gesagt hat, viel dazu beigetragen, die Sicherheit der USA und der Welt zu untergraben und zu beeinträchtigen.

Es ist ein erstaunlich arroganter Glaube, der davon ausgeht, dass die Sicherheit des Rests der Welt von der ständigen Einmischung der USA abhängt. Auf die Politik angewandt, verurteilt dieser Glaube die Vereinigten Staaten dazu, für den Rest ihrer Existenz in fremden Kriegen zu kämpfen oder anderweitig daran beteiligt zu sein.

Das hält die Welt nicht zusammen, sondern wird sich in vielen Regionen destabilisierend und zerstörerisch auswirken, da die USA immer wieder versuchen zu beweisen, wie "unverzichtbar" sie trotz ihres relativen Niedergangs sind.

Es sei daran erinnert, dass Albright in ihrer Formulierung nicht nur betonte, dass die Welt von den USA abhängt, sondern auch, dass sie von den USA abhängt, weil wir "aufrecht stehen und weiter in die Zukunft sehen als andere Länder" und die USA daher berechtigt sind, Gewalt anzuwenden, wenn sie es für richtig halten. Wie Andrew Bacevich feststellte, war Albrights Behauptung Unsinn:

Die Vereinigten Staaten sehen nicht weiter in die Zukunft als Irland, Indonesien oder irgendein anderes Land, egal wie weise oder frisch man es präsentiert.

Die USA haben keine besondere Weitsicht oder ein besseres Verständnis der Welt als andere Länder, und in vielen Fällen ist es peinlich, dass die politisch Verantwortlichen Schwierigkeiten haben, das zu sehen, was direkt vor ihnen liegt.

Das vielleicht Beunruhigendste an Bidens Aufruf zu mehr Unterstützung für beide Kriege ist, dass er sich keine Gedanken darüber macht, wie überfordert die USA bereits in der Welt sind. In einem früheren Interview mit 60 Minutes wies der Präsident Bedenken zurück, dass die USA zu viele zusätzliche Lasten auf sich nehmen würden:

Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika, um Himmels willen, die mächtigste Nation in der Geschichte – nicht in der Welt, in der Geschichte der Menschheit. Wir können uns um beides kümmern und trotzdem unsere internationale Verteidigungsstrategie aufrechterhalten.

Die Äußerungen des Präsidenten haben den Beigeschmack von Hybris. Das Ignorieren der Grenzen der US-Macht hat unsere Regierung in der Regel dazu gebracht, sich auf gefährliche und selbstzerstörerische Weise zu übernehmen. Wir müssen hoffen, dass die Selbstüberschätzung des Präsidenten nicht das Schicksal herausfordert.

Bidens Rede mag andere, die an die "unverzichtbare" Rolle Amerikas glauben, zufrieden gestellt haben, aber bei den US-Amerikanern, die diese Überzeugung nicht teilen, und bei den vielen anderen, die sich wünschen, dass sich ihre Regierung mehr um die inneren Probleme des Landes kümmert, wird sie zwangsläufig nicht ankommen.

Bidens predigtartiger Appell für mehr Kriegsfinanzierung könnte im Kongress kurzfristig erfolgreich sein, indem er die bereits vorhandene Unterstützung für Israel nutzt, um mehr Unterstützung für die Ukraine zu gewinnen. Aber er könnte auch die Öffentlichkeit wegen der ständig steigenden Anforderungen an die US-Ressourcen von der Unterstützung für beide Konflikte abbringen.

Der Präsident besteht darauf, dass es sich um eine "kluge Investition" handelt, die sich "auszahlen" wird. Doch für eine wachsende Zahl von US-Amerikanern scheint es nichts anderes zu sein, als gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.