Die vertraulichen Sprachregelungen der ARD
Seite 4: Die Richtlinien bleiben vertraulich
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Um die Sprachregelungen der ARD seriös öffentlich debattieren zu können, müssten sie natürlich zunächst einmal selbst ans Licht der Öffentlichkeit. Vieles ist unklar. Zu welchen politischen Gruppen und Personen gibt es überhaupt Richtlinien? Wie lauten sie und wer hat sie wann warum verfasst? An dieser Stelle aber mauert der Chefredakteur:
Das Redaktions-Wiki ist für alle Redakteurinnen und Redakteure jederzeit einsehbar, nicht aber für die Öffentlichkeit. (…) Das Redaktions-Wiki, in dem die Richtlinien enthalten sind, ist ein rein internes Arbeitsinstrument und ausschließlich für den Gebrauch in der Redaktion bestimmt. (…) Viele Redaktionen verfügen über einen eigenen 'Styleguide', den sich die Redaktion selbst erarbeitet und den man nicht vor den Mitbewerbern ausbreiten muss.
Kai Gniffke
Dieses Argument verwundert, da führende Medien ihre entsprechenden Richtlinien längst veröffentlicht haben. So bietet die New York Times ihren offiziellen Styleguide in Buchform jedermann zum Kauf an, ebenso die Nachrichtenagentur AP. Die Richtlinien der BBC kann man mittlerweile sogar ohne Zugangsbeschränkung online einsehen. In diesem Zusammenhang irritiert die Intransparenz der ARD.
Ähnlich sieht es Prof. Haller. Zwar sollten seiner Ansicht nach "nicht die internen Richtlinien in globo", also insgesamt, veröffentlicht werden, "aber die im Verständnis politischer Vorgänge ggf. als heikel empfundenen Bezeichnungen, in der Art: Name plus zugeordnete Etikettierung plus kurze begriffliche Erläuterung/Begründung. Dies würde den Diskurs transparent machen." Ex-Tagesschau-Redakteur Volker Bräutigam ergänzt:
Selbstverständlich wäre es angemessen, diese Richtlinien zu veröffentlichen. Noch besser wäre allerdings, wenn sich die zur Kontrolle der Programmarbeit befugten Rundfunkräte ihres Amtes würdig erwiesen und prüften, ob diese Richtlinien überhaupt mit dem Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vereinbar sind. Ich bezweifle es.
Volker Bräutigam
Bräutigam (Autor des gerade erschienenen Buches "Die Macht um Acht") hatte bereits vor 35 Jahren, damals noch als aktiver Tagesschau-Redakteur, ein kritisches Buch über die Nachrichtensendung verfasst ("Die Tagesschauer", Rowohlt Verlag), dass 1982 ein kleiner Sachbuchbestseller war. Manche Passagen daraus wirken noch heute aktuell:
Journalisten üben ihren Beruf nicht in einem machtfreien Raum aus. Das gilt in besonderem Maße für die Redakteure in den Rundfunkanstalten und hier gerade auch in Nachrichtenredaktionen wie der Tagesschau. Wir Redakteure sind im Gegenteil selbst Schlingen in einem höchst tragfähigen Machtnetz. (…) Keiner wird bei uns Intendant, der den politischen Parteien insgesamt zu kritisch gegenübersteht. Keiner wird Chefredakteur, es sei denn, er hat die richtigen Beziehungen oder das richtige Parteibuch. (…)
Wer die Tagesschau kritisch betrachtet, wird merken, dass sie massenhaft das bringt, was unsere politischen Zustände bestätigt und verfestigt (…) Die Parteien brauchen keinen direkten Durchgriff in die Redaktionen. Es genügt, dort ein bestimmtes Klima zu schaffen, das die Journalisten abstumpft. Ein Klima, in dem Kritik und Engagement, Mut und auch Konfliktbereitschaft ersticken.
Volker Bräutigam
Vor solchen Problemen steht selbstverständlich nicht nur die ARD - alle großen Medien agieren in diesem Machtnetz. Der Medienwissenschaftler Leon Barkho, der für die Nachrichtenagenturen Reuters und AP gearbeitet hat und derzeit an einer schwedischen Hochschule Medienwissenschaften lehrt, hat 2011 eine Studie veröffentlicht, in der er die internen Sprachregelungs-Richtlinien von BBC und Al Jazeera English vergleicht.
Die Richtlinien sind ausgefeilt und geben konkrete Anweisungen an die eigenen Redakteure, wie bestimmte Begriffe verwendet (oder vermieden) werden sollen. So spricht die BBC laut der Studie (eher negativ) von "militanten Palästinensern", Al Jazeera aber (neutral) von "Gaza-Kämpfern". Barkho weist auf die große Bedeutung dieser Richtlinien hin, die oftmals unausgesprochen politische Ziele verfolgen und eine bestimmte Perspektive bevorzugen. Umso wichtiger erscheint eine Offenlegung solcher Anweisungen sowie eine kritische Debatte.
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