Die wahre New Economy

In seinem Buch "Masters of Doom" erzählt David Kushner die erstaunliche Entstehungsgeschichte von "Wolfenstein 3-D", "Doom" und "Quake"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

So sieht der amerikanische Traum in den 90er Jahren aus: Zwei Vorort-Teenager aus verkorkstem Elternhaus und an der Grenze zur Verhaltensstörung entfliehen ihrer Pubertätsmisere, als sie den Computer und vor allem die Computerspiele entdecken. Sie schreiben erste eigene Games, lernen sich kennen, entwickeln zusammen mehr Games, gründen eine Firma, entwickeln noch mehr Games und werden von heute auf morgen Multi-Millionäre. Nicht mit dem Internet, wie es zu dieser Zeit viele hofften, sondern mit Computerspielen, die amerikanische Elternverbände und Politiker gegen sie aufbrachten. Hier sind buchstäblich zwei Hacker aus dem Keller zu Ferrari fahrenden, von ihren Fans wie Rockstars verehrten Erfolgsmenschen geworden. Und man würde sich nicht wundern, wenn sich schon ein amerikanisches Filmstudio die Rechte für diese klassische "From-Rags-to-Riches"-Geschichte gesichert hätte.

Die Firma heißt (id Software, ihre Gründer sind John Carmack und John Romero und die umstrittenen Spiele, die in Deutschland immer besonders beliebte Kandidaten bei der damals noch für Games zuständigen Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften waren, hießen "Wolfenstein 3-D", "Doom" und "Quake". Rechtzeitig zum derzeit auf Hochtouren laufenden Hype um "Doom 3", das für den Herbst angekündigt ist, hat der amerikanische Journalist David Kushner eine Art Biografie der Game-Firma veröffentlicht, das die erstaunliche Entstehung eines der einflussreichsten Computerspiel-Unternehmen nachzeichnet.

Kushner hält sich dabei an die beiden Protagonisten, die "zwei Johns", die er zu einer Art "Lennon und McCartney" unter den Game-Entwicklern hochstilisiert: der brillante Programmierer Carmack, der immer neue, immer noch atemberaubendere Game-Engines schreibt, und Romero, der diese Programme mit blutigem und von Trash-Referenzen nur so strotzendem Leben erfüllt. Niemand würde diesen Spielen eine besondere Tiefe zusprechen. Doch indem sie die sich ganz auf die Adrenalin induzierte Wirkung von Games, die scheinbar aus der Perspektive des Spielers ablaufen, also Ego-Shooter, kaprizierten, haben sie ein extrem effektives Spielprinzip für PC-Spiele entwickelt und durch immer elaboriertere Raumdarstellungen auch wieder und wieder neues Territorium für das junge Genre des Computerspiels bestellt.

Screenshots von "Wolfenstein 3-D", "Doom" und "Quake"

Kushner ist von der Vita seiner Protagonisten - von ihren ärmlichen Lehrjahren bei der Firma Softdisk über ihre phänomenalen Erfolge mit id Software bis zum persönlichen Zerwürfnis zwischen den beiden Gründern und Romeros spektakulären Pleite mit seiner eigenen Firma Ion Storm - so beeindruckt, dass ihm fast entgeht, wie klug Carmack und Romero Prinzipien der digitalen Ökonomie genutzt haben. Im Vergleich dazu wirkt etwa Microsoft mit ihren immer neuen Plänen zu Digital Rights Management und Profitmaximierung durch Kundengängelung wie ein Unternehmen aus dem 19. Jahrhundert.

Id Software haben dagegen die Prinzipien der Hackerethik in ein funktionierendes Businessmodell umgesetzt: Sie haben das Prinzip der Shareware (man bekommt ein Programm umsonst, und zahlt nur, wenn es einem gefällt, kann aber dann zusätzliche Funktionen nutzen), das vorher nur für Virenscanner und andere Hilfsprogramme eingesetzt wurde, auf ihre Spiele übertragen, was zum atemberaubenden Geschäftserfolg ihres Unternehmens beigetragen hat. Das Internet nutzten sie seit Anfang der 90er Jahre zum Vertrieb ihrer Spiele und umgingen so alle Zwischenhändler. Und als sie entdeckten, dass Fans ihre Spiele knackten, um eigene Levels zu schreiben, riefen sie keineswegs nach dem Staatsanwalt, sondern integrierten eigene Level-Editoren in ihre Programme, was wiederum stark zu deren Popularität und Langlebigkeit beitrug. Durch diesen Kunstgriff entwickelte sich eine ganze Volkskultur von Game-Patchern, deren Werke heute im Internet und bei LAN-Parties zu bewundern sind.

Auch die Entwicklung von Online-Spielen und die ganze Kultur der mehrtätigen Netzwerk-Marathons, die auch in Deutschland nach wie vor jede Woche von Tausenden von Gamern besucht werden, wäre ohne die Innovationen von id Software so wohl nicht möglich gewesen. Erst durch den Erfolg von "Doom" war die Grundlage da, um Gameserver und die ganze für Netzwerk-Spiele notwendige Infrastruktur entstehen zu lassen. Indem sie regelmäßig Tagebuch über den Fortschritt ihrer neuen Spiele auf ihrer Website führten, legten sie auch den Grundstock für die Verehrung von Programmierern als Stars. In diesem Sinne kann man durchaus argumentieren, dass Romero und Carmack die Popkultur verändert haben, auch wenn Kushner selbst die These, die im Untertitel seines Buches steckt, nur nebenbei und in reportagehafter Form untermauert. Kushner vergleicht seine Helden zwar abwechselnd mit Metallica und Nirvana, aber eine wirkliche Untersuchung des Erfolgs von id Software leistet er nicht. Dazu bleiben seine Betrachtungen zu deren Spiele zu sehr an der Biografie ihrer Schöpfer kleben, statt sie in einen weiterreichenden Kontext der Pop- und Computerkultur der 90er Jahre zu stellen.

Zuviel Analyse darf man freilich von einem derartigen Buch nicht erwarten, als Zeitdokument und als minutiöse Schilder einer Firma, die die New Economy eher repräsentiert als irgendeine der viel beachteten Internet-Firmen der 90er Jahre ist "Masters of Doom" dagegen unschlagbar. Kushner, der unter anderem für Wired und Rolling Stone schreibt, ist es gelungen, aus der ungewöhnlichen Materie einen echten "page-turner" zu machen. Für seine Recherche ist der Journalist eigens für einige Monate nach Dallas gezogen, um seinen Protagonisten Romero und Carmack so nah wie möglich zu sein. Auch wenn sich seine Schilderung an manchen Stellen eher wie ein Roman denn wie ein Sachbuch lesen, beharrt er in Interviews darauf, dass er für sein Buch mit über 100 Leuten gesprochen hat und alle Details überprüft seien. Spannend ist es auf jeden Fall, auch wenn man an eigenen Stellen den Eindruck hat, dass Kushner sich des alten amerikanischen Verleger-Mottos erinnert hat: "Wenn der Mythos zur Wahrheit wird, dann schreib den Mythos auf."

David Kushner: Masters of Doom How two guys created an empire and transformed pop culture; New York: Random House 2003; 352 Seiten, 24 Dollar 95.