"Dieses Infektionsschutzgesetz liegt mir wie ein Stein im Magen"

Seite 2: Neue Gesetze unter großem Druck

Man könnte doch sagen, jetzt wird gerade im Bundestag kurz über das neue Infektionsschutzgesetz diskutiert. Am Freitag fand eine Diskussion statt, am Montag soll es dann aber schon verabschiedet werden. Das findet unter einem wahnsinnigen Druck statt, aber das Parlament wird im Prinzip nicht ausgehebelt, es könnte auch eine Verschiebung verlangen.

Heribert Prantl: Es könnte natürlich, es müsste auch, weil es umso wahnsinnig wichtige Dinge geht. Wir alle wissen, dass diese Grundrechtseinschränkungen die weitreichendsten, die am tiefsten greifenden und am längsten dauernden sind, die wir in der Geschichte dieser Republik erlebt haben. Angesichts dessen ist die Zahl der Stunden, die man im Parlament mit der Debatte verbracht hat, geradezu lächerlich. Das ist der Dimension nicht angemessen.

Wenn dann die Debatte wieder darauf hinausläuft, dass man der Exekutive das große Handeln einräumt, ist das einfach ungenügend und unzureichend. Kritisch anzumerken habe ich zur Neufassung des Infektionsschutzgesetzes auch, dass die Grundrechtseinschränkungen viel zu sehr von den Inzidenzen abhängig gemacht werden. Das neue Gesetz macht diese zu den ausschlaggebenden Kriterien für Grundrechtseinschränkungen, es setzt einen Automatismus in Kraft.

Wir haben viel von der Exekutive und vom Parlament gesprochen, aber noch nicht von den Medien. Sie äußern als Journalist Kritisches, aber insgesamt unterstützen die großen Medien ja den Kurs der Regierung zum Präventivstaat. Eigentlich sollten die Medien ja superkritisch sein, aber sie begleiten die Regierung oft, indem sie mitlaufen.

Heribert Prantl: Ja, das bekümmert mich. Ich denke manchmal, Mensch Prantl, du wirbst jetzt seit drei Jahrzehnten für die Achtung und Beachtung der Grundrechte. Jetzt greift der Virus nicht nur Menschen und ihre Gesundheit an, sondern auch das Verständnis für Grundrechte. Mein Gott, guter Mann, heißt es dann, das Grundrecht auf Leben ist doch das wichtigste, alle anderen könne man dann vergessen.

Das Wichtigste aber ist: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Entscheidend ist also, wie ich mit Menschen umgehe, wie und mit welchen Mitteln und Methoden ich Menschen, ihr Leben und ihre Gesundheit schütze. Aber warum waren die Journalisten zu Zeiten der Terrorgesetze noch einigermaßen kritisch und warum ist diese rechtsstaatliche Sensibilität so weit verloren gegangen?

Man muss sich heute schon fragen lassen, wenn man die Grundrechte verteidigt, ob man schon ein Querdenker geworden ist. Solches Gerede gibt mir jedes Mal einen Stich. Was ist da passiert, dass das Verfassungs- und Grundrechteverständnis so porös geworden ist. Das liegt wohl daran, dass anders als der Terror, auch wenn er medial sehr präsent war, den Bürgern nicht so nahe war; das Virus rückt den Menschen ganz nahe.

Die Masken, die überall getragen werden, zeigen auf Schritt und Tritt, dass da etwas Gefährliches ist. Vor dem kann ich mich, so ist die allgemeine Meinung, schützen und selbst etwas dazu beitragen, was auch, teilweise jedenfalls, stimmt. Und dann sagen die Menschen sich, gut, dann mache ich es halt.

Und zu den Lockdowns: Die Gesellschaft ist keine Ziehharmonika. Wenn man die zusammenzieht und auseinander bewegt, kann man ordentliche Töne herauskriegen; eine Gesellschaft geht bei einem solchen Verhalten kaputt. Entscheidende Fortschritte in der Pandemiebekämpfung erzielen wir durch die Impfungen, die möglichst schnell und möglichst unbürokratisch ablaufen müssen.

Schwindende Diskussionsräume

Wir hatten von den Medien gesprochen. Es findet eine Polarisierung statt, man ist entweder dafür oder dagegen. Das Mittelfeld, was nicht nur bei Corona der Fall ist, schrumpft, die Grauzone, in der die Öffentlichkeit stattfindet und in der die Medien arbeiten müssten, wird immer kleiner.

Heribert Prantl: Vielleicht sprechen wir nicht von der Grauzone, sondern von dem großen Zwischenraum der Diskussion, den es heute zu wenig gibt.

Der war doch vor 30 Jahren noch sehr viel breiter als jetzt …

Heribert Prantl: Ja, der schrumpft. Wir sind auch in den Medien dafür da, dass eine Diskussion differenziert geführt wird. Wir haben in dieser Pandemie ein binäres Denken, Schwarz und Weiß. Der Zwischenraum ist groß. Ich sehe mich in diesem Zwischenraum.

Es gibt Maßnahmen, die ich befürworte, gegen andere sträube ich mich, weil ich sie weder für geeignet noch für erforderlich und verhältnismäßig halte. Das muss man sagen dürfen. Wenn ich sage, dass wir im Detail kritisch sein müssen und den Rechtsstaat dem Virus nicht opfern dürfen, dann will ich nicht in grobe Raster eingeordnet werden, sondern beitragen zu einer hoffentlich offenen Diskussion.

Die sollten die Medien offensiver würden, da waren wir nicht so gut. Mit angeblichen Alternativlosigkeiten sollte an nicht argumentieren.

Das ungekürzte Gespräch ist bei "krass & konkret" erschienen. Das Video des Gesprächs mit Florian Rötzer gibt es hier.

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