Digitale Demütigung: Social-Media-Riesen ignorieren SPD und Grüne im Bundestag

Sitzungssaal im Bundestag

Sitzungssaal im Bundestag. Ganz so leer war er nicht, aber auch nicht so voll, wie die Vorsitzende wollte. Bild: Eilmeldung - Eilmeldung, CC BY-SA 3.0

Die Tech-Giganten sagten Treffen mit Digitalausschuss ab. Die Grünen-Vorsitzende findet das "krass". Das verrät viel über die Weltsicht einiger deutsche Politiker.

Als der Digitalausschuss des Bundestages diese Woche tagte, hatte er sich viel vorgenommen: Zu der Sitzung am Mittwochabend hatten die Abgeordneten Vertreter einiger der weltweit größten Online-Plattformen – Meta, X und Tiktok – eingeladen, um über die Umsetzung des Digitaldienstleistungsgesetzes (DStG) und Maßnahmen zum Schutz der Integrität der anstehenden Bundestagswahl zu debattieren.

Doch die Plattformen sagten allesamt ab – mit der Begründung, die Einladung sei zu kurzfristig gekommen. Das glaubt allerdings kaum jemand. Offenbar hatte man bei den Weltkonzernen keine Lust auf die zu erwartende Kritik aus dem Mitte-links-Lager, das das Musk'sche X inzwischen fast mit dem gleichen Furor attackiert wie die AfD.

Als sich die Unternehmensvertreter zuletzt im März dieses Jahres dem Ausschuss stellten, fiel das Ergebnis wenig positiv aus. Beispiel X: "Immer wieder kommt es zu willkürlichen und rechtswidrigen Sperrungen von Accounts", beklagte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann. Der Auftritt im Digitalausschuss habe gezeigt, "dass X und seinen Vertretern das Problembewusstsein fehlt".

Nun also die Absage. Und die Abgeordneten von SPD und Grünen verstehen die Welt nicht mehr. "Krass", fand das die Ausschussvorsitzende Tabea Rößner (Grüne), und: "Schade, dass wir in Deutschland ihr Kommen nicht einfordern können". Genau das haben die Konzerne wohl auch verstanden, zumal sich die Weltlage deutlich verändert hat.

Die Entscheidung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, die externen Faktenchecker abzuschaffen, war eben nicht nur ein Zugeständnis an den neuen US-Präsidenten Donald Trump. Sie ist auch ein nachwirkendes Signal an die EU, das EU-Parlament, den Rat, die Mitgliedstaaten, deren Regierungen und Kontrollbehörden, die nationalen Parlamente – und ganz am Ende dieser Reihe auch an Zimmermann, Rößner und den Digitalausschuss des Deutschen Bundestages.

Die Botschaft lautet: Der europäische Weg zur Regulierung von Online-Inhalten wird außerhalb des europäischen Rechtsraums kaum noch ernst genommen. Mehr noch: US-Unternehmen sind, gelinde gesagt, deutlich selbstbewusster geworden.

Sie scheinen sich in dem Ringen um die Kontrolle der sozialen Netzwerke sicher zu sein, wer einen offenen Konflikt gewinnen würde: Ein deutscher Parlamentsausschuss auf der einen Seite oder US-Präsident Donald Trump und das auf der anderen Seite. Der linksgerichtete kolumbianische Präsident Gustavo Petro musste diese Erfahrung jüngst machen.

Rößner kritisierte die Absage der Medienkonzerne laut Bundestagsmitteilung nun als "gelinde gesagt inakzeptabel". Und doch musste sie sie akzeptieren. Stattdessen diskutierten die Abgeordneten mit Vertretern der EU-Kommission und der Bundesnetzagentur über den Stand der Umsetzung des DSA und die Bemühungen zum Schutz der Wahlintegrität.

Die TV-Journalistin Nicole Diekmann kritisiert die Terminwahl des Ausschusses am Holocaust-Gedenktag und angesichts der Brisanz der geplanten Asylrechtsverschärfung unter möglicher Mithilfe der AfD als "absoluten Wahnsinn". Zugleich sieht sie die mickrige Bedeutung des ohnehin nicht wirklich durchsetzungsstarken Digitalausschusses bestätigt.

Christian-Henner Hentsch, Professor für Urheber- und Medienrecht an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht der TH Köln, hatte schon nach Zuckerbergs Entscheidung auf die neue politischen Umstände verwiesen.

Zu einer ehrlichen Analyse gehöre auch die Erkenntnis, dass die in den vergangenen Jahren immer schärferen Maßnahmen der EU zur Plattformregulierung von den US-Plattformen als verzweifelter Versuch wahrgenommen werden konnten, ihre Regeln auch Wettbewerbern außerhalb der EU aufzwingen zu wollen.

"Mit dieser Ankündigung verabschiedet sich Meta von global einheitlichen Hausregeln und verweigert sich damit dem Ansatz der EU, als großer gemeinsamer Markt die eigenen Standards weltweit durchzusetzen. Insofern kann dies auch als Überforderung des europäischen Regulierungsmodells gesehen werden", so Hentsch in der Legal Tribune Online.

Und er wird noch deutlicher: Der Anspruch der EU, durch Regulierung europäische Standards in die Welt zu exportieren, "ist gescheitert".

Nur wollen das noch nicht alle wahrhaben.