"Do swidanija!" für vier Millionen ukrainische Staatsbürger

Seite 2: Kiew hofft auf "Hunger-Aufstände"

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Kiew scheint darauf zu hoffen, dass in den selbsternannten Republiken, wegen der sozialen Notlage Hungeraufstände gegen die Regierungen der "Volksrepubliken" ausbrechen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte am Sonntagabend im ARD-Interview, ohne Beweise zu nennen, in "den okkupierten Gebieten" gäbe es bereits "Massenproteste gegen die Banditen". Mit "Banditen" sind die Separatisten gemeint. Banken würden in den okkupierten Gebieten faktisch nicht mehr existieren, alles Geld würde von den "Banditen" (gemeint waren offenbar Aufständische) gestohlen, weshalb man alle Sozialtransfers eingestellt habe.

Wie die Bevölkerung in den "Volksrepubliken" die faktische Wirtschaftsblockade durch Kiew aufnimmt, berichtete der deutsche Korrespondent Moritz Gathmann letzte Woche gegenüber dem Schweizer Rundfunk. "Momentan überwiegt die Wut auf Kiew." Von Hungeraufständen berichtete Gathmann nicht. Ukrainische und Kreml-kritische russische Websites sprachen in den letzten Wochen von Bürgerprosteten wegen ausbleibender Nahrungsmittel. Doch zu den von Kiew sehnlichst erhofften "Hungeraufständen" gegen die Separatisten kam es bisher nicht.

Ehemaliger Bürgermeister warnt vor Katastrophe

Humanitäre Hilfe aus Kiew erhalten die Bürger der selbsternannten Republiken nur dann, wenn sie die "Volksrepubliken" verlassen. 60.000 Rentner sind nach Angaben des ehemaligen Kiewer Bürgermeisters, Aleksandr Lukjantschenko, aus den "Volksrepubliken" in die "befreiten Gebiete" übergesiedelt, um dort Rente zu beantragen. Doch 210.000 Rentner, darunter etwa 40.000 Schwerbehinderte, leben immer noch in den aufständischen "Republiken". "Wohin sollen sie im Winter ohne Geld fahren?" fragte der ehemalige Bürgermeister im Fernsehkanal "Ukraina" und warnte vor einer Hungerkatastrophe.

Man mag zu der Moskauer Politik stehen wie man will, doch für die Rentner in den selbsternannten Republiken ist die humanitäre Hilfe aus Russland zurzeit der einzige Rettungsanker. Am Sonntag wurde der achte Hilfskonvoi, bestehend aus 100 LKWs mit Baumaterial und Lebensmitteln, in Lugansk und Donezk entladen. Ein neunter Hilfskonvoi ist in Vorbereitung.

Energieversorgung bedroht

Gas und Strom liefert die Ukraine zwar noch in die "okkupierten Gebiete". Doch ständig müssen dort Reparatur-Trupps ausrücken, um durch Artillerie-Beschuss zerstörte Strom-, Gas- und Wasserleitungen zu flicken. Das ukrainische Energie-Ministerium hatte angeordnet, dass alle dem Ministerium unterstehenden Unternehmen in den "okkupierten Gebieten" ihre Tätigkeit bis zum 28. November einstellen sollten. Unklar ist, inwieweit die selbsternannten Republiken die Energieversorgung in eigener Regie übernehmen können. Erste Anzeichen eines völligen Zusammenbruchs des Energie-Systems gab es am Freitag. Wegen eines "technischen Defektes" in einem Elektrizitätswerk fiel die Stromversorgung in einem Teil der Region Lugansk aus. Außerdem brach die Versorgung mit Fernwärme zusammen, weil 14 Fernwärme-Kraftwerke wegen Überlastung abgeschaltet werden mussten.