Donezk und Lugansk werden zu "eingefrorenen Konflikten"

Das Abkommen von Minsk ist noch immer nicht umgesetzt. Moskau versucht die Volksrepubliken zu bändigen, die von gemeinsam mit Kiew organisierten Wahlen schon nichts mehr wissen wollen

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In Westeuropa gibt es Entspannungssignale. Der Senat Frankreichs hat sich kürzlich für eine schrittweise Lockerung der gegen Russland verhängten Sanktionen ausgesprochen. Für eine schrittweise Lockerung plädiert auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Außenminister Franz-Walter Steinmeier kritisierte in der Bild am Sonntag sogar das Nato-Manöver in Polen und sprach von "Säbelrasseln". Doch ob aus diesen Entspannungssignalen reale Politik wird, ist zurzeit eher zweifelhaft, denn das Minsker Abkommen ist noch immer nicht umgesetzt und die Beschießungen im Donbass nehmen wieder zu. Es sieht danach aus, dass der Konflikt im Donbass eingefroren wird und die Sanktionen gegen Russland noch längere Zeit aufrechterhalten werden.

Das ukrainische Parlament will ein Gesetz über den besonderen Status von Donezk und Lugansk nicht beschließen und Russland will keine ukrainische Kontrolle über die russisch-ukrainische Grenze im Bereich Lugansk zulassen. Das Argument aus Moskau: Die Sicherheit der Bewohner der international nicht anerkannten Volksrepubliken sei nicht garantiert. Auf Druck aus Moskau wurden die Wahlen in den "Volksrepubliken" bereits dreimal verschoben. Russland will sich keine Verletzung des Minsker Abkommens vorwerfen lassen.

Bild: DNIpress

Zunahme der Beschießungen an der Waffenstillstandslinie

Der vergangene Sonnabend war wieder ein harter Tag im Donbass. Beide Seiten meldeten Beschießungen. Die ukrainische Seite meldete am Sonntag einen toten Soldaten und zwei Verletzte. Das Verteidigungsministerium der "Volksrepublik" Donezk meldete die Beschädigung von zehn Häusern durch Beschuss des ukrainischen Militärs. Betroffen seien Häuser im Petrowski-Bezirk von Donezk, im Dorf Staromichailowka und im Dorf Aleksandrowka.

Die Spannung an der Waffenstillstandslinie zwischen den international nicht anerkannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk haben in den letzten Wochen zugenommen. Allein im Mai seien 26 ukrainische Soldaten getötet worden, erklärte die ukrainische Seite.

Bei den Gesprächen der "Kontaktgruppe" in Minsk, welche über die Details der Umsetzung des Minsk-Abkommens spricht, gibt es keinen Durchbruch. Die ukrainische Seite fordert, erst die "Sicherheitsfragen" zu klären, dann könnten politische Regelungen, wie ein Gesetz über den besonderen Status von Donezk und Lugansk sowie ein Wahlgesetz für die beiden abtrünnigen Gebiete, von der Werchowna Rada beschlossen werden. Doch zunächst müssten "alle russischen Truppen" aus den Gebieten um Donezk und Lugansk zurückgezogen werden und die ukrainisch-russische Grenze im Bereich Lugansk wieder von der Ukraine kontrolliert werden, erklärte am Freitag in Kiew der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Kostyantyn Yeliseyev.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte bereits Anfang Juni gesagt, der Konflikt könne nicht gelöst werden, wenn die Ukraine die 100prozentige Lösung aller Sicherheitsfragen zur Bedingung für die Lösung der politischen Fragen macht. "Das ist nicht real, das wird es niemals geben, sowas gibt es in keinem einzigen Konflikt." Für Lawrow muss der Dialog mit der Ukraine mit einer Amnestie beginnen. Zur politischen Lösung gehöre, dass die Werchowna Rada den besonderen Status für Donezk und Lugansk sowie ein Wahlgesetzt beschließt.

Nach Meinung Lawrow müsse die Rolle der OSZE sein, die Sicherheit an der Waffenstillstandslinie und in der Region zu überwachen, aber nicht an der ukrainisch-russischen Grenze. Er sei für eine Aufwertung der Rolle der OSZE, eine Erhöhung der Zahl der Beobachter, um die Lager mit den schweren Waffen auf beiden Seiten beobachten zu können.

Wladimir Putin hatte letzte Woche auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum erklärt, er sei nicht gegen eine leichte Bewaffnung der OSZE-Beobachter, wie von dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko gefordert. Gleichzeitig äußerte der russische Präsident Verständnis für die "Volksrepubliken" bei ihren Anstrengungen, sich militärisch zu schützen. Eine einseitige Aufhebung der russischen Wirtschaftssanktionen gegen die EU als Vorleistung für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, wie von dem ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vorgeschlagen, lehnte Putin ab, denn es gäbe keine Garantie, dass die EU ein russisches Entgegenkommen honorieren werde.

Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow gab zu Protokoll, dass man nichts gegen eine leichte Bewaffnung von OSZE-Beobachtern habe. Endgültig werde man dieser Regelung aber erst zustimmen, nachdem das Parlament in Kiew einen Sonder-Status für Lugansk und Donezk beschlossen hat.

Bürger von Donezk gegen Bewaffnung der OSZE-Beobachter

Die "Volksrepubliken" sind allerdings kategorisch gegen eine leichte Bewaffnung der OSZE-Beobachter. Am 11. Juni demonstrierten in Donezk Hunderte von Menschen gegen die Bewaffnung der Beobachter. Sie hielten Plakate auf Russisch und Englisch mit der Aufschrift "Unsere Sicherheit organisieren wir selbst".

Ein Demonstrant sagte gegenüber Euronews, unter dem Schirm der OSZE könnten "beliebig Terroristen aus dem Rechten Sektor" in die Volksrepubliken gelangen. Eine Demonstrantin meinte, die DNR haben in den letzten Jahren ihre eigenen Streitkräfte aufgebaut und könne selbst für die Sicherheit sorgen. Eine zweite Demonstration sagte: "Ich will keine jugoslawischen Verhältnisse auf unserer Erde." Der Korrespondent des russischen Kanals Life ergänzte die Äußerungen der Frauen und wies darauf, dass eine bewaffnete OSZE-Mission Ziel "ständiger Provokationen" sein werde. Falls ein OSZE-Mitarbeiter zu Tode komme, würden sich "alle 57 OSZE-Mitglieder in den Konflikt in der Ost-Ukraine einmischen".

Der Leiter der Republik Donezk, Aleksandr Sachartschenko, hatte auf einer Pressekonferenz erklärt, jede Art von Waffen, die aus der Ukraine in die Volksrepublik Donezk eingeführt wird, werde an der Kontaktlinie beschlagnahmt und den Streitkräften der "Volksrepublik" Donezk (DNR) übergeben.

Protestaktionen gegen die OSZE-Mission in Donezk gibt es schon seit dem letzten Jahr. Im Juli 2015 wurden OSZE-Fahrzeuge mit Love&Peace-Symbolen besprüht. Im gleichen Monat demonstrierten aufgebrachte Bürger vor dem Hotel Park Inn in Donezk, wo die Beobachter der OSZE und die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes wohnen. Die Demonstranten hielten zweisprachige Plakate mit der Aufschrift "Euer Schweigen tötet unsere Kinder". Ein Sprecher der Demonstranten erklärte gegenüber einer Vertreterin der OSZE: "Während man uns bombardiert, sitzen wir im Keller und ihr im Hotel. Ihr fahrt herum und fixiert Ereignisse. Und 15 Minuten, nachdem ihr weggefahren seid, schlägt dort eine Granate ein."

Der Leiter der Donezk-Delegation in Minsk, Denis Puschilin, erklärte auf einer Kundgebung Ende Mai 2016 in Donezk, bewaffnete Beobachter seien für die ukrainischen Militärs "eine günstige Einmischung" und man werde - "wie immer" - die "Volksrepubliken" beschuldigen.

Chef des ukrainischen Sicherheitsrates warnt vor Munitionsknappheit

Wenig beruhigen kann die Erklärung des Leiters des ukrainischen Sicherheitsrats, Aleksandr Turtschinow, der am 15. Juni beim Besuch der ukrainischen Raketenfabrik Artjom verkündete, dass die ukrainischen Munitionsvorräte, die fast komplett noch aus sowjetischer Zeit stammen, zu Ende gehen. Turtschinow forderte deshalb verstärkte Rüstungsanstrengungen im Land. 800 Betriebe der Ukraine seien in der Lage Rüstungsgüter zu produzieren. Auch ukrainische Chemiebetriebe sollen mit in die Rüstungsproduktion einbezogen werden.

Bereits 2015 hatte Turtschinow damit gedroht, die Ukraine könne eine schmutzige Bombe bauen. Das Land am Dnjepr ist seit 1994 ein atomwaffenfreier Staat. Doch wer garantiert, dass das so bleibt? Haben die Amerikaner in der Ukraine wirklich alles unter Kontrolle, fragt man sich angesichts des rechtsradikal-gewaltbereiten Potentials in der Ukraine.