Drink, Dance, Party

Sind die iranischen Blogger die politischen Korrespondenten als die sie gerne stilisiert werden?

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Derzeit ist viel die Rede von den iranischen Bloggern, denen eine starke Rolle in der (halb)öffentlichen, untergründigen Meinungsbildung im Iran zugeschrieben wird. Vor allem durch die neuen restriktiven Maßnahmen der Mullahs im Iran und durch die Website einer Prostituierten (siehe Theokratische Netzzensur im Iran) sind sie in den Aufmerksamkeitsfokus einer größeren Öffentlichkeit geraten.

Fraglich allerdings ist, ob die mutigen Blog-Schreiber das sind, wozu sie einige im Westen gerne "upgraden" und in ihrem Sinne vereinnahmen wollen: typische Opfer einer im Nahen und Mittleren Osten üblichen diktatorischen Herrschaft und zugleich deren wahrhaftige politische Korrespondenten, welche die richtig gepolten Einsichten in das Innenleben der Mullah-Republik liefern. Sind sie so politisch, wie wir es gerne hätten?

Am Anfang stand ein kurzer Artikel in einer iranischen Newssite. Der Verfasser, Hossein Derakhshan, ein junger Journalist, der früher für eine reformorientierte iranische Zeitung geschrieben hatte und nach deren Schließung nach Kanada emigrierte, berichtete darin von einer Entdeckung, die er kürzlich gemacht hatte: das Blogging-Format und vor allem, wie sich die neueste Technologie hierzu so verwenden ließ, dass man die Blogs in Farsi schreiben konnte. Zwei Monate später, im November 2001, gab es mehr als 200 iranische Blogs. Heute sind es mehr als 10.000.

"Die Popularität der Weblogs unter jungen Iranern lässt auf große Veränderungen in der iranischen Gesellschaft während der letzten zwei Jahrzehnten schließen - zumindest in der neuen Generation der mittelständischen Bewohner von Großstädten" sagte Derakhshan auf der BlogTalk-Konferenz in Wien, im Frühjahr diesen Jahres. Derakhshans englischsprachiger Blog Editor:Myself ist einer der bekanntesten in der iranischen Blogger-Community.

Mit dem Beginn der diesjährigen Studentenunruhen im Iran sind sie auch für Neugierige außerhalb der Community interessant geworden, was die Blogger einerseits freut und andererseits alte Ängste schürt, die durch die aktuellen Internet-Aktivitäten der Mullahs nicht weniger werden.

You see, writing in English offers me a dramatically broader audience, while finely endangering me of being accused. Accused of providing the enemy(!) with information. With internal information. Yes, my weblog is anonymous. But then, I don't even want to jeopardize my peace. I am sure everyone can understand this. There is nothing in it for me

Steppenwolf.

Steppenwolf mag, wie das Pseudonym schon verrät, Hesse, außerdem Kafka und Kundera. Er zitiert gerne Gedichte, viele seiner Einträge haben nichts mit Politik zu tun. Er sei kein "politischer Typ" bekennt er am Freitag, in einem Eintrag, in dem er sein Schweigen begründet. Und tatsächlich hat es manchmal den Anschein, also ob das "politische Bekenntnis" zum Teil von außen an die Blogger herangetragen wird. Auch von Prominenten innerhalb der Bloggerszene, z.B. von dem Amerikaner Jeff Jarvis, der Buzzmachine.

Natürlich gibt es sie, die explizit politischen Blogger, und manche schreiben auch direkt aus dem Iran, wie etwa kaveh, sind im buchstäblichen Sinne hautnah am Geschehen, wie Plate, "der Junge, der aus dem Herzen des Iran berichtet" und Fotos von Opfern der Schlägerbrigaden zeigt, aber das Politische ist nur eine Seite der iranischen Blogger. Für viele geht es, laut Derakhshan, zuallererst um die grundsätzliche Möglichkeit, sich frei auszudrücken.

Unter dem Titel "What's going on in Tehran" vom Freitag, den 13.Juni, als die Studentenproteste zu hitzigen, lauten (und brutalen) Auseinandersetzungen mit den so genannten Pasdaran, paramilitärischen bewaffneten Kräften, führten, fragt sich der Blogger Steppenwolf, was die Jugend wolle und gibt sich die Antwort selbst:

Drink, Dance, Party, Dress the way they like, Listen to the music they enjoy, Socialize with the opposite sex Forget about political freedom. Forget about hope for the future. Forget about a promising career and a joyful life. These people are only asking for the minimums, and this is how Khamenei is treating them.

In den Postings zu diesem Eintrag gibt es einen kleinen, aber bezeichnenden Aufruhr. Steppenwolf würde den Kampf der Iraner mit solchen Bemerkungen "downgraden", heißt es. Er solle das "Live-Report-aus-Theheran-Zeug" besser lassen, rät ihm der befreundete Blogger Webgard und präzisiert einem weiteren Posting, gerichtet an einen Besucher, die Gründe seines Unmuts:

Meine Theorie ist, dass ihr nicht nur sehen wollt, wie sich die iranischen Blogger selbst befreien, ihr erwartet es von uns. Ihr kommt auf diese Site mit einer prädisponierten Ansicht, wie sich eine Person in Iran anhören sollte. Und deswegen hören sich alle, die bekannt sind auch so an. Diejenigen, die von Iran aus bloggen und sich nicht wie ein Opfer anhören, die über ihren Tag schreiben oder über Kinobesuche oder ihre Erfahrungen bei einer Familienversammlung, die fallen raus aus eurem Aufmerksamkeitsvisier. Es ist so, als ob man den Discovery-Channel eingeschaltet hat: ich will nicht sehen, was Tiere üblicherweise tun (herumgehen und Gras fressen).. ich will sie sich paaren sehen oder gegenseitig töten.