Drive-by-Killing in Thessaloniki
Seite 6: Bilder an der Wand
Auch Picasso setzte sich für Nikos Beloyannis ein. Er fertigte eine Skizze von ihm an, die er "Mann mit der Nelke" nannte (wie ein berühmtes Gemälde Jan van Eycks), weil Beloyannis immer mit einer Nelke in der Hand vor dem Militärgericht erschien. Eine Reproduktion hängt bei den Mitstreitern des Doktors (alias Lambrakis) in Z an der Wand, anstelle des Königs und der Königin. Das heißt nicht, dass die Freunde des Friedens moskauhörige Kommunisten sind und einen Arbeiter- und Bauernstaat nach Vorbild der DDR errichten wollen. Es heißt, dass sie ein anderes Griechenland wollen als jenes der undemokratischen, die Bürgerrechte mit Füßen tretenden Antikommunisten, das im Prozess gegen Beloyannis seine hässliche Fratze gezeigt hatte. Beloyannis soll von amerikanischen Verhörspezialisten gefoltert worden sein und ebenso von Landsleuten, die ihr Handwerk bei der Gestapo gelernt hatten. Als Zeugen der Anklage traten frühere Nazikollaborateure auf, und das Verfahren machte deutlich, wie viele von ihnen ihre Karrieren bei Polizei und Armee fortsetzen konnten oder dort neue Jobs erhielten, während Widerstandskämpfer als Staatsfeinde verfolgt wurden.
Da Z ein Film des gern mit einem Augenzwinkern inszenierenden Regisseurs Costa-Gavras ist, darf bei allem Ernst der Humor nicht fehlen. Nachdem wir bei den für mehr Demokratie und Freiheit und weniger Waffen streitenden Freunden des Friedens die Picasso-Skizze gesehen haben bringt uns die nächste Szene in das Büro des Bezirksstaatsanwalts. Er wird mit einer Einstellung charakterisiert, in der am unteren Rand gerade noch Platz für seinen Kopf bleibt, weil über ihm fünf oval gerahmte Bilder hängen. So führt man lächerliche Figuren ein. Die Damen und Herren in den Rahmen kenne ich nicht. Wahrscheinlich sind sie königlichen Geblüts, denn im damaligen Griechenland war es der Karriere dienlich, sich als Royalist zu geben. Ich habe nicht weiter nachgeforscht, weil die eigentliche Botschaft in der Menge liegt.
Wer eine klare Haltung und eine politische Überzeugung hat, kommt mit einem Bild wie dem von Beloyannis aus. Ein Karrierist dagegen hängt sich so viele Bilder an die Wand, dass für ihn selbst (und eine eigene Meinung) kein Platz mehr übrig ist. Bei einer Herrschaft der Linken würden da fünf eingerahmte Kommunisten hängen, und unter deutscher Besatzung womöglich Hitler, Goebbels und Mitglieder der von den Nazis geduldeten griechischen Marionettenregierung, oder vielleicht Offiziere der den Deutschen zuarbeitenden Sicherheitsbataillone. François Périer trägt einen Führer-Gedächtnisbart und spielt den Bezirksstaatsanwalt als schmierigen Opportunisten, der vor jeder seiner Aktionen überlegt, in welche Richtung er buckeln soll und wen er drangsalieren oder herablassend behandeln kann, ohne seinen Posten damit zu gefährden. Der Mann ist eine Witzfigur wie der General, der Experte für Mehltau und Sonnenflecken. In einem korrupten Staat wie diesem hindert das beide nicht daran, herausgehobene Stellungen zu bekleiden, in der sie großen Schaden anrichten können.
In Z wird das durchexerziert. Die Freunde des Friedens hören von einem Mordkomplott gegen den Doktor. Sie informieren den Bezirksstaatsanwalt. Der ruft beim Chef der Sicherheitsorgane an. Der Oberst ist nicht da. Der Staatsanwalt lässt ausrichten, dass er angerufen hat. Es gibt jetzt eine Aktennotiz, mit der er nachweisen kann, dass er die Sache nicht auf die leichte Schulter genommen hat. Damit ist das abgehakt. In jeder Bürokratie der Welt könnte man sich das so ähnlich vorstellen. Hier kommt hinzu, dass der Oberst nicht zu sprechen ist, weil er sich um das Komplott kümmern muss, hinter dem er selber steckt, zusammen mit dem General. Später, wenn der Doktor im Sterben liegt, werden sich der Staatsanwalt, der Oberst und der General zu einer Krisensitzung treffen. Alle werden sich tief bestürzt geben und so tun, als wüssten sie von nichts. Und alle werden wissen, dass die anderen nur so tun, als hätten sie nichts gewusst. Costa-Gavras inszeniert dieses Schmierentheater wieder mit grimmigem Humor.
Kampf ohne Ende
Es ist schon richtig, dass man ab einem bestimmten Punkt selber schuld ist an dem Schlamassel, in dem man steckt. Richtig ist außerdem, dass Deutschland wegen des Zweiten Weltkriegs Griechenland gegenüber eine besondere Verantwortung hat. Aber auch die USA und Großbritannien haben eine besondere Verantwortung, weil sie nach der Befreiung die Weichen für eine Entwicklung stellten, deren Konsequenzen bis heute zu spüren sind. Es geht da nicht um neue Schuldzuweisungen, sondern darum, die Vergangenheit nicht auf das Massaker von Distomo zu reduzieren wie ARD-Reporter Beckmann, weil das letztlich nur den Schlussstrich-Politikern und sonstigen Exponenten des "gesunden Volksempfindens" in die Hände spielt, die sich in der Talkshow über die faulen Griechen empören. Die Griechen sind nicht faul, aber sie haben ein gutes Gedächtnis.
Als Bill Clinton 1999 zum Staatsbesuch nach Athen kam und dort auf eine Welle des Antiamerikanismus stieß, rang er sich zu einer Entschuldigung für die traurige Rolle durch, die sein Land dort jahrzehntelang gespielt hatte. Sollte Hillary es ins Weiße Haus schaffen, könnte sie den schönen Worten ihres Gatten Taten folgen lassen. Erwünscht wären Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie und zum Stopp der sozialen Desintegration sowie ein Diskurs, der sich ausnahmsweise um die Werte einer aufgeklärten Zivilgesellschaft dreht und nicht um jene von EU-Technokraten oder Hedgefonds-Managern wie dem Schwiegersohn der Clintons (soviel Polemik muss erlaubt sein). Ohne ein geschärftes historisches Bewusstsein wird das nicht gehen.
Ein Blick auf die Nachkriegszeit könnte auch den Ausweg aus der Folklore-Hölle weisen, in der "die Griechen" ewig Ouzo trinken und Sirtaki tanzen, statt hart zu arbeiten und ihre Steuererklärung auszufüllen, weil das ihr Nationalcharakter ist. Mit einem irgendwie gearteten Nationalcharakter nichts zu tun hatte es, als zuerst die Briten und dann die Amerikaner in einem von Diktatur, Nazigräueln und Bürgerkrieg gebeutelten Land ein politisches System etablierten, das sich auf die reaktionärsten Elemente der Gesellschaft stützte, weil bei der Verteidigung der freien Welt gegen den Kommunismus der Zweck die Mittel heiligte. Dabei kam das Simulakrum einer Demokratie heraus. Gefördert wurde nicht so sehr die demokratische Gesinnung als vielmehr "die Eliminierung der Linken als politischer Faktor […] und die Schaffung einer Regierung, die gewillt war, den Interessen der Schutzmächte zu dienen", fasst Roubatis die Strategie von Briten und Amerikanern kurz zusammen (Tangled Webs).
In Griechenland gab es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zehn Jahre lang Kampf. Alte Oligarchen sicherten ihre Privilegien, neue korrupte Cliquen betraten die Bühne, und die Kleptokratie durfte sich frei entfalten, solange sie antikommunistisch blieb. Die besten Köpfe der Opposition starben, landeten im Gefängnis, im Umerziehungslager oder im Exil. Einen solchen Aderlass kann niemand verkraften. Für die Amerikaner war das von Vorteil, weil sie nicht mit nennenswertem Gegenwind rechnen mussten. Für die griechische Gesellschaft war es fatal, weil eine Demokratie vom Wettstreit der Ideen lebt, nicht von "Sicherheit" auf Kosten der Meinungsfreiheit und des Rechts auf Dissens.
Die Konsequenz war eine sich von Generation zu Generation fortpflanzende Klientelpolitik, weil sich unter diesen Umständen keine Kultur des mit demokratischen Mitteln ausgetragenen Konflikts und des Interessenausgleichs in Form von Kompromissen entwickeln konnte, ohne die eine Demokratie nicht funktioniert, auch wenn das Aushandeln von Kompromissen mitunter extrem mühsam ist. Ein Bürgerkrieg, der für beendet erklärt wird, weil eine der beiden Parteien pleite ist, schwelt immer weiter, ändert seine Gestalt und taucht bei Krisen in Form unvereinbarer Gegensätze wieder auf, auch wenn nicht erneut zu den Waffen gegriffen wird. Wenn griechische Politiker in der aktuellen Schuldenkrise in eine aus früheren Jahrhunderten bekannte Staatsbeleidigungs- und Demütigungsrhetorik abgleiten, ist das nicht nur südländisches Pathos. Da kommt zum Ausdruck, dass es in dieser Gesellschaft nie wirklich verheilte Wunden gibt.
Einigen in der "Koalition der Radikalen Linken" (Syriza) bzw. deren Abspaltung, der "Volkseinheit", wird vorgeworfen, dass sie den Bürgerkrieg fortsetzen und - als "Kommunisten" - doch noch in ihrem Sinne entscheiden wollen. Nehmen wir an, dass dem so wäre. Dann wäre immer noch festzuhalten, dass solche Versuche nur möglich sind, weil dieser Krieg nie auf eine für alle Konfliktparteien akzeptable Weise abgeschlossen wurde. Giorgos Varoufakis übrigens wurde 1946 für drei Jahre in ein Umerziehungslager auf der Insel Makronisos gesteckt. Sein Sohn, der ehemalige Finanzminister der Regierung Tsipras, war damals noch nicht auf der Welt, aber schon groß genug, seinen Onkel im Gefängnis zu besuchen, als dieser nach dem Militärputsch von 1967 von den Obristen eingekerkert wurde. Das gegen den Onkel erlassene Todesurteil wurde nicht vollstreckt. Ein Gnadenerweis war das nicht unbedingt. In Griechenland hatte so etwas Methode (Beloyannis beispielsweise wurde erst nach dem zweiten Todesurteil hingerichtet, und Mikis Theodorakis, von dem noch zu reden sein wird, wurde lebendig begraben und wieder ausgebuddelt). Es diente der Zermürbung des politischen Gegners. Viele Griechen haben eine ganz ähnliche Familiengeschichte, was für ihr Denken und Handeln möglicherweise genauso wichtig ist wie - sagen wir - die Spieltheorie oder ein Studium in Essex.
Friedenskundgebung in Thessaloniki
Griechen, die links von der Mitte standen und sich nach dem - formalen - Ende des Bürgerkriegs auf legale Weise politisch engagieren wollten, waren auf die Vereinigung der Demokratischen Linken (EDA) angewiesen. Alles andere war verboten. Ein Hoffnungsträger der EDA war der charismatische, im Widerstand gegen die Besatzungsmächte aktiv gewesene Grigoris Lambrakis, ein gelernter Gynäkologe und erfolgreicher Leichtathlet (von 1936 bis 1953 hielt er den Landesrekord im Weitsprung). Lambrakis arbeitete als Universitätsdozent und betrieb eine kleine, privat finanzierte Armenklinik. 1961 zog er als Abgeordneter von Piräus in das griechische Parlament ein. Als Mitbegründer und Vizepräsident der "Kommission für Internationale Abrüstung und Frieden" (EDYE) nahm der Gegner des Vietnamkriegs regelmäßig an nationalen und internationalen Friedenskundgebungen teil.
Lambrakis hatte keinen geheimen Plan, Griechenland an die Sowjetunion auszuliefern. Er trat für die Abrüstung ein. In gewissen Kreisen machte ihn das zum Staatsfeind, und dies umso mehr, als sein Linksbündnis im Aufwind war und mit großen Zugewinnen bei den nächsten Wahlen rechnen durfte. Am 22. Mai 1963 flog er nach Thessaloniki, um bei einer Protestkundgebung gegen die Stationierung amerikanischer Polaris-Mittelstreckenraketen zu sprechen. Das klingt einfach und ist doch wieder sehr vertrackt. Es war kein simples "Ami go home!", das da propagiert wurde. Strategie der NATO (und der sie anführenden USA) war es, potentiellen Angreifern durch die Stationierung konventioneller Streitkräfte an den Grenzen zu signalisieren, dass man bereit und in der Lage war, das Bündnisgebiet zu verteidigen. Die Ausnahme war Griechenland.
Thessaloniki liegt im Norden, wo viele Griechen sich im Kalten Krieg durchaus bedroht fühlten, weil ihr Land an die kommunistisch regierten Staaten Jugoslawien, Bulgarien und Albanien angrenzte. Von dort waren erst die Truppen Mussolinis und dann die Wehrmacht gekommen, bulgarische Verbände hatten die deutschen und italienischen Besatzer entlastet. Einen nennenswerten US-Truppenstützpunkt gab es im Norden aber nicht. Die Amerikaner zogen Stützpunkte im Süden vor, insbesondere auf Kreta. Aus ihrer Sicht war das verständlich. Im Ernstfall waren ihre Soldaten dort besser vor feindlichen Angriffen geschützt, und strategisch wichtige Ziele im Mittleren Osten und in Nordafrika waren schneller zu erreichen. Aus Sicht vieler Griechen bedeutete das, dass sie Teil eines Militärbündnisses waren, in dem ihre eigenen Sicherheitsinteressen hintan stehen mussten, wenn es den Amerikanern in den Kram passte. Das war nicht geeignet, die Akzeptanz für die ohnehin schon sehr umstrittene Stationierung von US-Raketen zu steigern.
Jetzt muss doch auf die alten Griechen Bezug genommen werden, weil Costa-Gavras zentrale Szenen seines Films auf öffentlichen Plätzen ansiedelt. Der Marktplatz (Agora) war von großer Bedeutung für die Entwicklung der attischen Demokratie. Hier wurde der - in gemeinsame Beschlüsse überführte - Meinungsstreit der freien Bürger ausgetragen, statt sich dem Diktat einer in der Burganlage auf dem Hügel (Akropolis) residierenden Herrscherkaste zu unterwerfen. In Z ist die Agora der Ort der Gewalt und der Unterdrückung politisch Andersdenkender. Es geht los, als Studenten vor dem Picadilly-Kino [sic] Flugblätter verteilen, um über die Verlegung der Friedenskundgebung zu informieren. Ein eigens angekarrter, den Volkszorn simulierender Schlägertrupp prügelt auf die jungen Leute ein. Die Szene wirkt so realistisch, weil sich die beteiligten Laien mit vollem Einsatz ins Kampfgetümmel werfen und es dabei ein wenig übertreiben (es gab Verletzte).
Auf dem Spielplan des Kinos stand zuletzt Zwei glorreiche Halunken (1966), Sergio Leones Western über ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land. In einem Thriller über einen politisch motivierten Mord im Jahre 1963 ist das, streng genommen, ein Anachronismus und doch auch wieder nicht, denn die namenlos bleibende Lambrakis-Figur steht stellvertretend für die ermordeten Politiker des Jahrzehnts, von Ben Barka über John F. Kennedy bis zu seinem Bruder Bobby. Die besten Italowestern rechnen mit einer als ungenügend empfundenen, dem Tod entgegentaumelnden Gesellschaft ab und sind von jenem revolutionären Geist getragen, der auch die jungen Kinogeher beseelte. Die Zensoren gerieten darüber in helle Aufregung, warnten wie immer bei von einer dubiosen Norm abweichenden Gewaltdarstellungen vor der Verrohung der Jugend und malten den Untergang des christlichen Abendlandes an die Wand. Costa-Gavras kommentiert das mit der ihm eigenen Ironie. Bei ihm rücken die Kräfte der Reaktion an, um alle niederzuknüppeln, die sich vor dem Kino eingefunden haben, um Gebrauch von ihrem demokratischen Recht auf Versammlungsfreiheit zu machen. Besondere Freude an der Gewalt haben die beiden Anführer des Schlägertrupps, Vago und Yago. Diese beiden sind definitiv keine Cineasten. Zur Gewalt "angereizt" (wie es im Zensorenjargon heißt) wurden sie nicht durch das Sehen von Italowestern im Kino, sondern bei Hinterzimmertreffen mit einem Biedermann, der früher mit den Nazis kollaboriert hat und schon an Verbotslisten zur Bekämpfung einer aufgeklärten westlichen Kultur arbeitet.
Der Termin für die Friedenskundgebung in Thessaloniki war mit Bedacht gewählt. An diesem Tag trat das Bolschoi-Ballett in der Stadt auf. Lambrakis wollte auf die Heuchelei einer Gesellschaft hinweisen, die ihre kulturellen Beziehungen zur UdSSR zelebrierte und zugleich die Polaris-Raketen aufstellen ließ. Bei Costa-Gavras wird daraus keine Gegenüberstellung von Hoch- und Populärkultur, er verbindet vielmehr Bereiche, die nach dem Willen der Machthaber strikt getrennt sein sollten. Die Szene mit der Prügelei vor dem Kino endet mit einer Einstellung aus Obersicht. Von da wird - wieder aus Obersicht - auf den Platz vor der Oper überblendet. Dort strömen die Spitzen der Gesellschaft zusammen, um den Gastauftritt des Balletts zu genießen, oder wenigstens so zu tun als ob. Der General wird später sagen, er sei kein Schwuler und nur hingegangen, um nach kommunistischen Sympathisanten Ausschau zu halten. Tatsächlich ist er einer von denen, die sich dort nur sehen lassen, um hinterher jede Verantwortung für den Tod des Doktors von sich weisen zu können. Dieser Ballettabend ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Alibiveranstaltung.
Auf dem Programm steht Prokofjews Romeo und Julia, was - in Form zweier verfeindeter Familien in Verona - das Bürgerkriegsmotiv aus Leones The Good, the Bad and the Ugly fortführt (warum im deutschen Titel aus drei Hauptfiguren zwei wurden bleibt das Geheimnis des Verleihs). Im Griechenland der frühen 1960er verschärften sich die sozialen Gegensätze, weil die Rechtsregierung die Steuern erhöhte, während die Löhne auf einem niedrigen Niveau verharrten. Es wäre nicht weiter schwer gewesen, das in ein paar Agitprop-Momente à la Eisenstein umzumünzen: Die werktätige Bevölkerung wird niedergeknüppelt, während die Schmarotzer aus der High Society in einem mit dem Steuergeld der Arbeiter subventionierten Tempel der elitären Hochkultur dem Luxus frönen. Costa-Gavras macht etwas ungleich Interessanteres daraus, indem er nach dem Vorplatz des Theaters nicht die Reichen im Foyer zeigt, ein Champagnerglas in der Hand, sondern das Objektiv einer Photokamera einmontiert.
Bunte Bilder oder ungeschminkte Wirklichkeit?
Die Kamera gehört einem Photojournalisten, der eigentlich wegen des Bolschoi-Balletts in der Stadt ist, dann aber von einem Kollegen auf die Vorgänge rund um die Rede des Abgeordneten aus der Hauptstadt aufmerksam gemacht wurde und jetzt auf dem Platz zwischen dem Hotel des Doktors und dem Versammlungslokal steht. Das wirft die Frage auf, welche Bilder man schießen sollte, um sie der Öffentlichkeit zu zeigen: Die von den Machthabern gewünschten bunten Photos von der Hautevolee, die sich im Theater versammelt hat, um zu demonstrieren, dass sie nicht nur Geld und Einfluss besitzt, sondern auch Kultur? Oder Bilder von einer politischen Realität, in der die Agora in der Hand reaktionärer Schläger ist? Der Film bezieht eindeutig Stellung. Die Medien, sagt er, werden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nur gerecht, wenn sie da hingehen, wo die Bruchstellen sind und die Konflikte sichtbar werden.
Man beachte die Uniformierten vor dem Theatergebäude, die den hohen Herrschaften die Wagentüren öffnen und für Sicherheit sorgen. Solche Polizisten hätte man sich zum Schutz der jungen Leute vor dem Kino gewünscht. In Westdeutschland hatte Z im November 1969 Premiere. Wer den Film damals sah und sich nicht nur durch die Bunte informierte wird sich unwillkürlich an den Staatsbesuch des Schahs von Persien vom 27. Mai bis 4. Juni 1967 erinnert haben, begleitet von einem in der BRD nie dagewesenen Polizeiaufgebot. Es waren überwiegend Studierende, die am 2. Juni vor dem Rathaus Schöneberg in Westberlin gegen den Herrscher auf dem Pfauenthron und sein von Briten und Amerikanern gestütztes Folterregime protestierten. Die Polizei blieb zunächst untätig, als die "Jubelperser", mit Holzlatten und Stahlrohren bewaffnete Schläger, auf die Demonstranten einprügelten und ging dann mit Wasserwerfern gegen die Studierenden vor.
Zum Ärger der Springerpresse und der Illustrierten, die Auflage mit Photos von einem Märchenprinzen aus dem Orient und seiner schönen Gattin machen wollten, waren die Demonstranten auch wieder da, als das holde Paar eine Aufführung von Mozarts Zauberflöte in der Berliner Oper besuchte. Polizeipräsident Erich Duensing hatte offenbar vergessen, dass er nicht mehr Offizier der Wehrmacht war und ordnete von seinem "Gefechtsstand" aus die Leberwursttaktik an: "Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, nicht wahr, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt." An diesem Abend wurde der Student Benno Ohnesorg von Polizeiobermeister (und IM der Stasi) Kurras erschossen.
Eine Königin der Nacht gibt es in Z nicht. Der Komponist heißt Mikis Theodorakis. Doch das Opfer wird auch da getötet, während man in der Nähe klassische Musik spielt. Besonders gruselig wird das, wenn man den historischen Kontext berücksichtigt und verstanden hat, warum diese Musik in Z gespielt wird. "Nazikollaborateur", soviel vorweg, hat in Griechenland eine andere Bedeutung, als man hier bei uns denkt.
Mehr im zweiten Teil von Drive-by-Killing in Thessaloniki: Schützen wir das christliche Abendland.
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